Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 09.11.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. November 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und hat seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten dringt mit der Sachrüge durch. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; dies zieht hier die Aufhebung des gesamten Urteils nach sich.
1. Wegen einer Serie von acht zwischen August 1987 und April 1989 jeweils im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangener Taten (teils versuchter) sexueller Nötigungen bzw. Vergewaltigungen wurde der Angeklagte im Februar 1990 zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendstrafe verurteilt. Nachdem er Ende Oktober 1990 vorzeitig auf Bewährung entlassen worden war, begann er bereits im März 1991 eine bis August 1991 andauernde Serie von fünf erneut im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangener Vergewaltigungen. Deshalb wurde er im Mai 1992 unter Einbeziehung der vorgenannten Bestrafung zu einer einheitlichen Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt, und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet.
Nachdem der Vollzug der Unterbringung Anfang des Jahres 2000 während einer Lehre des Angeklagten erheblich gelockert worden war, beging dieser im Juli 2000 während des fortdauernden Vollzugs der Unterbringung die jetzt zu beurteilende Tat: Er überfiel in den Morgenstunden auf dem Weg zu seiner Lehrstelle in einer Grünanlage von hinten eine Frau, drückte der Geschädigten die Luft ab, zog sie ins Gebüsch, brachte sie zu Boden, würgte sie und versuchte, sie mit Schlägen vom Schreien abzuhalten, bevor er nach einem stärkeren Hilfeschrei von ihr abließ und flüchtete.
2. Das Landgericht hat sich bei diesem Tathergang rechtsfehlerfrei – unter maßgeblicher Berücksichtigung der entsprechenden Vorgehensweise des Angeklagten bei seinen früheren Tatserien – von dessen Ziel überzeugt, gewaltsam sexuelle Handlungen an seinem Opfer vorzunehmen. Auch bestehen angesichts der Feststellungen zu den Schreien des Opfers und den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten an dem nicht völlig unbelebten Tatort (UA S. 29) gegen den Ausschluß eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch der sexuellen Nötigung letztlich keine durchgreifenden Bedenken (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 24 Rdn. 23 m.w.N.), wenngleich es insoweit an grundsätzlich erforderlichen näheren rechtlichen Ausführungen des Landgerichts fehlt.
3. Nicht nachvollziehbar bleibt indes der Ausschluß erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat.
Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, daß beim Angeklagten ungeachtet einiger Therapiefortschritte während der Unterbringung nach wie vor eine „schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzißtischen, dissozialen und emotional-instabilen Anteilen sowie einer Störung der sexuellen Präferenz im Sinne eines sexuellen Sadismus”, mithin eine schwere andere seelische Abartigkeit (UA S. 33) vorlag. Der spezifische enge motivatorische Zusammenhang dieser schweren psychischen Störung des Angeklagten mit der festgestellten Tat indiziert, wie auch die Revision zutreffend ausführt, eine erhebliche Verminderung seiner dabei vorhandenen Steuerungsfähigkeit (vgl. nur Tröndle/Fischer aaO § 21 Rdn. 4 m.w.N.). Die im Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigen von der Strafkammer gegen die Annahme einer Erheblichkeit der zustandsbedingten Herabsetzung des Steuerungsvermögens angeführten Erwägungen sind demgegenüber fast durchweg zweifelhaft und können insgesamt nicht als tragfähig anerkannt werden. Der Umstand, daß es während der andauernden Kontrolle in der Unterbringungssituation lediglich zu einer Einzeltat gekommen ist, mag das Bestehen nach wie vor vorhandener Selbstkontrollmöglichkeiten des Angeklagten belegen; hierdurch läßt sich indes nicht widerlegen, daß diese ungeachtet noch recht massiver Außenkontrolle und trotz nachdrücklichster Warnungen durch den fortdauernden Maßregelvollzug bei ihm anlagebedingt instabil sind. Nichts anderes gilt für den bewußten – wenngleich rechtlich als unfreiwillig bewerteten – Abbruch der Tat, wie er auch bei Einzelfällen der ersten Tatserie des Angeklagten erfolgt war. Die auch sonst gereizte und aggressive Stimmung des Angeklagten im Tatzeitpunkt mag die Überwindung der gebotenen Eigenkontrolle trotz aller Außeneinwirkungen erklären, ein Beleg gegen eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit ist auch hierin nicht zu finden. Schließlich sind auch aus dem planvollen und gezielten Tatverhalten des Angeklagten keine hinreichenden Anzeichen für eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung seines Hemmungsvermögens bei Tatplanung und -begehung zu ersehen (vgl. auch BGH, Beschl. vom 7. März 2002 – 3 StR 335/01 zur minderen Bedeutung des Leistungsverhaltens für die Beurteilung der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit durch schwere seelische Abartigkeit). Allein aus dem eher unauffälligen Nachtatverhalten läßt sich solches auch kaum herleiten.
4. Der Senat sieht sich veranlaßt, das Urteil insgesamt aufzuheben.
Infolge lückenhafter Prüfung enthält es auch Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten. So hat das Landgericht es unterlassen, das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) zu prüfen, die nach den Feststellungen durch eine Begehungsweise mittels eines hinterlistigen Überfalls in Betracht zu ziehen ist, insbesondere aber angesichts der massiven Einwirkungen auf die Luftzufuhr der Geschädigten wegen einer Tatbegehung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung auf der Hand liegt. Nach den rechtsfehlerfrei angestellten Überlegungen zu den Parallelen mit den Vortaten des Angeklagten wäre ferner eine weitergehende Feststellung der Tatziele des Angeklagten in Betracht zu ziehen gewesen, die seine Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) hätte rechtfertigen können. Für eine Durchentscheidung zum Nachteil des Angeklagten fehlt es jedenfalls insoweit an ausreichenden Feststellungen.
Die Rechtsfehler beschweren den Angeklagten zwar nicht. Wenn die lückenhafte Beurteilung aber bei erneuter umfassender Beurteilung vermieden wird, könnte dies auch bei Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB dazu führen, daß die Schuld des Angeklagten im Ergebnis nicht geringer als bislang zu bewerten sein wird.
Eine durch bisherige Feststellungen nicht eingeschränkte, umfassende eigene Sachprüfung durch den neuen Tatrichter ist daher vorzugswürdig (vgl. auch BGH, Urt. vom 23. Januar 2002 – 5 StR 391/01). Der neue Tatrichter wird danach zu Schuldspruch und Maßregelanordnung umfassend ohne Bindung an das angefochtene Urteil, zur Strafe unter Bedacht auf § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO neu zu befinden haben. Auch unter Berücksichtigung der schützenswerten Belange der Nebenklägerin erscheint eine solche Verfahrensweise bei der gegebenen Beweislage, bei der eine sie besonders belastende zeugenschaftliche Vernehmung zu vermeiden sein wird, noch vertretbar.
5. Angesichts des Verlaufs der bisherigen Therapie erscheint es geboten, daß der neue Tatrichter nunmehr einen weder während der Therapie im Maßregelvollzug noch auch nur im Vollstreckungsverfahren mit dem Angeklagten befaßten Sachverständigen zu dessen Schuldfähigkeit vernimmt. Sofern dieser zu gleichen Befunden wie der bisherige Sachverständige gelangt, läge bei gleichen oder gar schwereren Feststellungen zur Tat die gesicherte Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB auf der Hand, welche – neben einer kaum milderen Bestrafung – die erneute Anordnung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nach sich ziehen dürfte.
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sind bei einer Strafhöhe wie bisher, wenn nicht bereits nach § 66 Abs. 1 StGB (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 4), jedenfalls nach § 66 Abs. 2 StGB erfüllt. Es käme daher nicht auf die vom Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, noch nicht entschiedene Rechtsfrage zu den formellen Voraussetzungen der vom Landgericht herangezogenen Norm des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB an, ob bereits eine frühere Verurteilung wegen mehrerer der genannten Straftaten zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe, somit ohne weiteres die gegen den Angeklagten zuletzt verhängte einheitliche Jugendstrafe, ausreichte (so Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 66 Rdn. 61) oder ob eine entsprechend hohe Einzelfreiheitsstrafe zu verlangen wäre (so Hanack in LK 11. Aufl. Nachtrag zu § 66 Rdn. 8); für den letztgenannten Fall fehlte es an der gebotenen tatrichterlichen Prüfung, ob für eine der durch die einheitliche Jugendstrafe sanktionierten einschlägigen Taten allein drei Jahre Jugendstrafe verhängt worden wären.
Neben einer erneuten Unterbringung nach § 63 StGB käme indes eine Unterbringung nach § 66 StGB gemäß § 72 Abs. 1 StGB angesichts identischer Ursachen von psychischer Störung und Hang nicht in Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 19. Februar 2002 – 1 StR 546/01 und vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01). Der gebotene Schutz der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Angeklagten wäre dann allein im Vollzug der Unterbringung nach § 63 StGB zu gewährleisten (BGH aaO).
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2560017 |
NStZ-RR 2002, 230 |