Leitsatz (amtlich)
›Der Vermieter ist nicht berechtigt, das Mietverhältnis allein deshalb fristlos wegen vertragswidrigen Gebrauchs gemäß § 553 BGB zu kündigen, weil die Wohnung durch Zuzug von Kindern des Mieters in erheblichem Umfang überbelegt ist, den Vermieter beeinträchtigende Auswirkungen indessen nicht festzustellen sind.
Verfahrensgang
Gründe
I. Die beklagten Eheleute haben 1976 oder 1977 mündlich eine Wohnung in K. angemietet. Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der früheren Vermieterin. Die Wohnung ist unter Berücksichtigung von Dachschrägen etwa 30 groß und besteht aus zwei als Wohnküche und Schlafzimmer genutzten Räumen sowie Diele und Bad. Die Beklagten haben zwei Söhne und eine Tochter, die 1976, 1978 und 1983 in K. geboren sind. Die Kinder lebten zunächst bei den Großeltern in der Türkei. 1985 holten die Beklagten den ältesten Sohn zu sich nach K. zurück. Im August 1990 nahmen sie auch die beiden jüngeren Kinder in ihrer Wohnung auf.
Mit Anwaltsschreiben vom 16. August 1990 forderte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Beklagten unter Fristsetzung zum 31. Dezember 1990 auf, die beiden jüngeren Kinder in die Türkei zurückzubringen oder sich um eine größere Wohnung zu bemühen, da die Wohnung mit zwei weiteren Kindern überbelegt sei. Auf die mit Schreiben vom 14. Januar 1991 erklärte fristlose Kündigung reagierten die Beklagten nicht.
Die daraufhin erhobene Räumungsklage hat das Amtsgericht Köln mit der Begründung abgewiesen, der Vermieter sei gemäß § 553 BGB nur dann zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn die Fortsetzung des vertragswidrigen Gebrauchs durch den Mieter seine Rechte in erheblichem Maße verletze. Davon könne nicht schon bei jeder Überbelegung die Rede sein. Die Kündigung sei in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe in dessen Rechtsentscheid vom 16. März 1987 (NJW 1987, 1952 = WuM 1987, 180 = ZMR 1987, 263) nur gerechtfertigt, wenn entweder eine erhebliche Überbelegung bestehe oder bei einfacher Überbelegung eine unzumutbare Abnutzung der Wohnung oder Störung der übrigen Hausbewohner drohe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Wohnung sei zwar überbelegt, jedoch liege keine totale Überbelegung vor. Sonstige Umstände, die eine Gefährdung der Wohnung oder Störungen der übrigen Hausbewohner befürchten ließen, seien weder substantiiert vorgetragen noch anläßlich eines Ortstermines ersichtlich geworden.
Das auf die Berufung der Klägerin mit der Sache befaßte Landgericht Köln meint zwar - abweichend vom Amtsgericht -, die Wohnung sei bei ca. 6 qm pro Person erheblich überbelegt. Gleichwohl möchte es die Berufung zurückweisen, weil entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe (aaO) eine Kündigung auch bei einer erheblichen Überbelegung nur gerechtfertigt sei, wenn weitere, den Vermieter beeinträchtigende Umstände hinzukämen, die im Ausgangsfall nicht vorgetragen seien. Darüber hinaus sieht das Landgericht eine Divergenz zwischen dem Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Oktober 1982 (NJW 1983, 48 = WuM 1982, 323) und einem Rechtsentscheid des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 1988 (BGHZ 103, 91) hinsichtlich der Berücksichtigung entgegenstehender Interessen des Mieters bei einer ordentlichen Kündigung gemäß § 564 b BGB. Das Landgericht hat deshalb dem Oberlandesgericht Hamm folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Ist der Vermieter berechtigt, das Mietverhältnis allein deshalb fristlos wegen vertragswidrigen Gebrauchs gemäß § 553 BGB oder fristgemäß wegen nicht unerheblicher Vertragsverletzungen gemäß § 564 b Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 BGB zu kündigen, weil die Wohnung durch Zuzug von Familienmitgliedern in erheblichem Umfang überbelegt ist, obwohl sonst keine weiteren, den Vermieter beeinträchtigenden Umstände vorliegen?."
Das Oberlandesgericht Hamm (WuM 1993, 30 = ZMR 1993, 109 = GE 1993, 147) möchte ebenfalls von der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe abweichen. Die Frage, ob infolge der Überbelegung eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte des Vermieters anzunehmen sei, könne ausschließlich unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Eine generalisierende Betrachtung, wie sie das Oberlandesgericht Karlsruhe vorgenommen habe, sei nicht möglich. Für die Frage, ob unzumutbare Störungen der übrigen Hausbewohner einträten, komme es auf die konkrete Wohnanlage und die sich daran bemessende Akzeptanzschwelle der Mitbewohner an. Die Vielfältigkeit der in Betracht zu ziehenden Sachverhalte lasse einen undifferenzierten Schluß, von einem gewissen Grad der Überbelegung an sei zwangsläufig mit einer weit überdurchschnittlichen Abnutzung der Wohnung zu rechnen, nicht zu. Der Grad der Abnutzung hänge mit dem Wohnverhalten, dem Alter und den Lebensgewohnheiten der Mieter zusammen; von Bedeutung sei auch, in welchem Umfang der Mieter selbst Renovierungsarbeiten zu tragen habe. Überbelegung sei mit den in § 553 BGB genannten Regelbeispielen nicht vergleichbar. Während bei diesen die Gefahr der Beschädigung oder der Zerstörung aus der Sicht des Vermieters unmittelbar drohe, handele es sich bei den infolge von Überbelegung entstehenden Abnutzungen um Allmählichkeitsschäden, die in der Regel erst im Laufe der Zeit entstünden, so daß eine fristlose Beendigung des Mietverhältnisses nur geboten sei, wenn im Einzelfall tatsächlich gravierende Auswirkungen auf das Vermieterinteresse festzustellen seien.
Das Oberlandesgericht hat die ihm vom Landgericht vorgelegte Rechtsfrage beschränkt. Es hält die Vorlage für unzulässig, soweit diese sich auf die Voraussetzungen einer fristgemäßen Kündigung gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 1 BGB bezieht. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe ausdrücklich nur eine fristlose Kündigung erklärt. Anhaltspunkte dafür, daß zugleich oder mit der Räumungsklage eine fristgemäße Kündigung habe ausgesprochen werden sollen, seien vom Landgericht nicht dargelegt und nicht ersichtlich. Jedenfalls fehle es an einer Divergenz zwischen den Rechtsentscheiden des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Oktober 1982 und des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 1988, weil die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zu § 564 b Abs. 1 BGB, die des Bundesgerichtshofs zu § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB ergangen sei. Bei einer Divergenz genösse im übrigen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Vorrang vor der des Oberlandesgerichts Hamm. Der Vorlagebeschluß des Landgerichts lasse auch nicht erkennen, daß es von der Auffassung des Bundesgerichtshofs abweichen wolle. Das Oberlandesgericht Hamm hat deshalb dem Bundesgerichtshof folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Ist der Vermieter berechtigt, das Mietverhältnis
allein deshalb fristlos wegen vertragswidrigen Gebrauchs gemäß § 553 BGB zu kündigen, weil die Wohnung durch Zuzug von Familienmitgliedern in erheblichem Umfang überbelegt ist, obwohl sonst keine weiteren, den Vermieter beeinträchtigenden Umstände vorliegen?"
II. Das Oberlandesgericht durfte die Vorlage beschränken. Zwar müssen die Oberlandesgerichte dem Bundesgerichtshof die gleiche Rechtsfrage vorlegen, die ihnen von den Landgerichten vorgelegt worden ist. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof kommt jedoch nicht in Betracht, soweit die Vorlage ganz oder teilweise unzulässig ist (BGHZ 89, 275, 281). Soweit der Vorlagebeschluß des Landgerichts auch die Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung betrifft, hat das Oberlandesgericht seine Zulässigkeit mit zutreffender Begründung verneint.
III. In dem vom Oberlandesgericht beschränkten Umfang ist die Vorlage zulässig (§ 541 Abs. 1 ZPO).
1. Die Vorlagefrage stellt sich in einem Rechtsstreit über den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum, den das Landgericht als Berufungsgericht zu entscheiden hat (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
2. Die vom Oberlandesgericht vorgelegte Rechtsfrage ist erheblich.
Für die Beantwortung der Vorlagefrage ist davon auszugehen, daß im Ausgangsfall eine erhebliche Überbelegung der Wohnung eingetreten ist, die Klägerin beeinträchtigende Auswirkungen der (erheblichen) Überbelegung ("weitere Umstände"), die auf eine Gefährdung der Wohnung oder Störung der übrigen Hausbewohner schließen ließen, indessen weder substantiiert vorgetragen noch anläßlich eines Ortstermins erkennbar geworden sind. Danach hängt die Berechtigung der fristlosen Kündigung und damit die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob der Vermieter berechtigt ist, das Mietverhältnis allein deshalb fristlos wegen vertragswidrigen Gebrauchs gemäß § 553 BGB zu kündigen, weil die Wohnung durch Zuzug von Kindern des Mieters in erheblichem Umfang überbelegt ist, den Vermieter beeinträchtigende Auswirkungen aber nicht festzustellen sind.
3. Das vorlegende Oberlandesgericht möchte dies - ebenso wie das Landgericht - verneinen. Mit dieser Entscheidung wurde es vom Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. März 1987 (aaO) abweichen (§ 541 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Danach soll eine erhebliche Überbelegung, die im Laufe der Zeit durch Vergrößerung der Familie eingetreten und mit Größe und Einrichtung der Wohnung schlechterdings unvereinbar ist, in der Regel allein aufgrund der Fortsetzung des vertragswidrigen Gebrauchs trotz Abmahnung die fristlose Kündigung rechtfertigen, ohne daß es weiterer Voraussetzungen bedarf.
Darüber hinaus würde das Oberlandesgericht auch von dem Rechtsentscheid des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. September 1983 (BayOblGZ 1983, 228 = NJW 1984, 60) abweichen. Danach kann ein Vermieter von Wohnraum das Mietverhältnis in der Regel gemäß § 553 BGB fristlos kündigen, wenn die Wohnung deshalb überbelegt ist, weil der Mieter seinen Ehegatten und ein gemeinsames Kind auf Dauer aufgenommen hat. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat sich zwar nicht ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt, ob in diesen Fällen eine erhebliche Verletzung der Rechte des Vermieters gegeben ist. Es geht aber offensichtlich stillschweigend davon aus, daß dies stets anzunehmen ist, da es ein Recht zur fristlosen Kündigung in derartigen Fällen regelmäßig bejaht. Nach beiden Rechtsentscheiden wäre der Klage daher ohne weitere Feststellungen stattzugeben.
IV. Der Senat beantwortet die Vorlagefrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
1. Diese entspricht nicht wörtlich der Fragestellung, ohne deren Kern zu berühren. Unter dieser Voraussetzung kann der Senat eine Vorlagefrage einschränken, konkretisieren oder anders formulieren, wenn ihm dies zweckmäßig erscheint (BGHZ 101, 253, 261; 105, 71, 76). Der Senat hat die Entscheidungsformel auf Kinder des Mieters begrenzt, da es einer weitergehenden Beantwortung der Frage im Hinblick auf sonstige Familienangehörige für den Ausgangsfall nicht bedarf. Ferner hat er die Worte "weitere Umstände" durch den Begriff "Auswirkungen" ersetzt, um zu verdeutlichen, daß die erhebliche Verletzung der Vermieterrechte, deren Feststellung die "weiteren Umstände" dienen sollen, auf dem vertragswidrigen Gebrauch beruhen muß.
2. Nach § 553 BGB kann der Vermieter ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist das Mietverhältnis kündigen, wenn der Mieter ungeachtet einer Abmahnung des Vermieters einen vertragswidrigen Gebrauch der Sache fortsetzt, der die Rechte des Vermieters in erheblichem Maße verletzt.
a) Nach in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend vertretener Auffassung stellt die Überbelegung, auch wenn sie auf der Aufnahme des Ehegatten und von Kindern des Mieters beruht, einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache dar. Das Recht des Mieters, nahe Familienangehörige in seine Wohnung aufzunehmen, gilt nur innerhalb der Grenzen einer vertragsgemäßen Nutzung (BayObLG aaO; OLG Karlsruhe aaO; Palandt/Putzo, BGB, 52. Aufl., § 550 Rdnr. 7; Erman/Jendrek, BGB, 9. Aufl., § 549 Rdnr. 5; Soergel/Kummer, BGB, 11. Aufl., §§ 535, 536 Rdnr. 255; Staudinger/Sonnenschein, BGB, 12. Aufl., 2. Bearb. 1981, § 564 b Rdnr. 43; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., § 549 Rdnr. 1 a; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. IV 382; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl. B 139 und B 690). Das vorlegende Oberlandesgericht will demgegenüber einen vertragswidrigen Gebrauch nur dann bejahen, wenn dadurch die Rechte des Vermieters in erheblichem Maße verletzt sind. Es verkennt insoweit, daß die erhebliche Verletzung der Vermieterrechte - wie der Vergleich zwischen § 550 BGB und § 553 BGB zeigt - keine Voraussetzung des vertragswidrigen Gebrauchs, sondern neben diesem eine weitere Voraussetzung der fristlosen Kündigung nach § 553 BGB ist (Soergel/Kummer aaO, § 550 Rdnr. 5).
b) Die erhebliche Verletzung der Vermieterrechte ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Fallen erheblicher Überbelegung zu bejahen, ohne daß dies besonderer Feststellung bedarf. Das Oberlandesgericht Karlsruhe begründet seine Auffassung damit, daß in Fällen erheblicher Überbelegung die Wohnung wie bei einer unbefugten Gebrauchsüberlassung an einen Dritten in erheblichem Umfang unbefugt gebraucht werde. Zudem sei in einem solchen Falle geradezu zwangsläufig mit einer weit überdurchschnittlichen Abnutzung der Wohnung zu rechnen. Durch die Vielzahl der Bewohner, die auf engstem Raume wohnen, essen und schlafen müssten, werde die Wohnung so stark in Anspruch genommen, daß sich dies auf deren Bestandteile wie Decken, Fußböden, Wände und sanitäre Einrichtungen in erheblichem Maße nachteilig auswirken müsse.
3. Der Senat teilt die Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichtes Hamm (vgl. auch Sternel aaO Rdnr. 384). Die Rechte des Vermieters sind nicht allein deswegen erheblich verletzt, weil die Wohnung durch den Zuzug von Kindern des Mieters erheblich überbelegt ist, obwohl keine den Vermieter beeinträchtigenden Auswirkungen festzustellen sind. Ob die Rechte des Vermieters durch einen vertragswidrigen Gebrauch in erheblichem Maß verletzt sind, ist grundsätzlich anhand der besonderen Umstände aufgrund einer Abwägung der Interessen beider Parteien zu entscheiden. Für die Überbelegung - gleich welchen Umfangs - gilt nichts anderes.
a) Die erhebliche Überbelegung der Wohnung durch Zuzug von Kindern des Mieters ist kein Fall der in § 553 BGB besonders angeführten unbefugten Gebrauchsüberlassung an einen Dritten, bei der eine erhebliche Verletzung der Vermieterrechte indiziert ist, ohne daß es hierzu besonderer Feststellungen bedarf (Senatsurteil vom 28. November 1984 - VIII ZR 186/83 = WM 1985, 233 unter 2 b). Der Mieter ist grundsätzlich berechtigt, nächsten Familienangehörigen - insbesondere den Kindern - den Mitgebrauch an der Wohnung einzuräumen, da diese Personen nicht "Dritte" sind (Senatsurteil vom 15. Mai 1991 - VIII ZR 38/90 = WM 1991, 1306 unter II 2 b aa).
b) Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe läßt sich die erhebliche Überbelegung auch nicht mit der unbefugten Gebrauchsüberlassung an einen Dritten vergleichen.
Die unbefugte Gebrauchsüberlassung stellt eine Abweichung vom vorgesehenen Vertragsinhalt dar. Demgegenüber gehört die Aufnahme von nahen Familienangehörigen von vornherein zum eigenen Gebrauchsrecht des Mieters. Auch wenn er Kinder in die Wohnung über die Grenze des vertragsgemäßen Gebrauchs hinaus aufnimmt, begibt er sich dadurch nicht der Möglichkeit, die Obhut über die Wohnung unmittelbar auszuüben.
Zudem ist Überbelegung, anders als die unbefugte Gebrauchsüberlassung an einen Dritten, kein eindeutig definierter Tatbestand. Den Fall einer "einfachen" Überbelegung will auch das Oberlandesgericht Karlsruhe nicht wie eine unbefugte Belassung der Mietsache an einen Dritten behandeln. Ob aber noch von einer "einfachen" oder einer darüber hinausgehenden "erheblichen" Überbelegung im Sinne der vom Oberlandesgericht Karlsruhe getroffenen Differenzierung die Rede sein kann, wird vielfach nicht nach einheitlichen, hinreichend sicheren Kriterien zu entscheiden sein. Die Anforderungen an "angemessenen" oder "ausreichenden" Wohnraum können nicht nur im Hinblick auf die jeweilige Situation am Wohnungsmarkt (AG Köln WuM 1990, 508; AG Limburg WuM 1990, 509), sondern auch unter Berücksichtigung der subjektiven Ansprüche der Bewohner verschieden sein. Daß bei beträchtlicher Überbelegung der Wohnraum ebenfalls in erheblichem Umfang unbefugt benutzt werden mag (OLG Karlsruhe aaO), rechtfertigt es deshalb nicht, Überbelegung ab einem bestimmten Grad wie eine unbefugte Gebrauchsüberlassung an Dritte zu beurteilen und ohne weiteres davon auszugehen, daß die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Vermieterrechte durch sie indiziert sei.
c) Die in jedem Einzelfall erforderliche Feststellung der erheblichen Verletzung der Vermieterrechte ist in Fällen einer - erheblichen - Überbelegung auch nicht deshalb entbehrlich, weil insoweit zwangsläufig mit einer weit überdurchschnittlichen Abnutzung der Wohnung zu rechnen ist. Das Ausmaß der mit einer Überbelegung im Einzelfall verbundenen Verletzung der Vermieterrechte kann - worauf das Oberlandesgericht Hamm zutreffend hinweist - unterschiedlich zu beurteilen sein. Obwohl die Gefahr einer übermäßigen Abnutzung oder gar Beschädigung der Wohnung mit dem Ausmaß der Überbelegung zunehmen wird, ist es nach Auffassung des Senats nicht möglich, einen bestimmten Grad der Überbelegung zu definieren, von dem ab die Annahme zwingend ist, die Abnutzung führe ohne weiteres zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vermieterinteressen und erfordere die sofortige Auflösung des Mietverhältnisses. Insoweit können Ausstattung und Zuschnitt der bewohnten Räume, vertragliche Regelungen über die Durchführung von Schönheitsreparaturen, Alter und Lebensgewohnheiten der Bewohner ebenso von Bedeutung sein wie die Zusammensetzung der übrigen Hausbewohnerschaft. Auch ob eine erhebliche Überbelegung durch Zuzug bereits erwachsener Angehöriger oder durch Geburt eines weiteren Kindes eintritt, das zunächst nur wenig Raum für sich in Anspruch nehmen wird, kann im Hinblick auf das Erfordernis einer sofortigen Auflösung des Mietvertrages eine unterschiedliche Beurteilung erfahren. Nach allem verbieten sich schematische Lösungen.
d) Die Kündigung eines Mietverhältnisses stellt regelmäßig einen so schweren Eingriff in den persönlichen Lebensbereich der Benutzer dar, daß an deren Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen sind. Das gilt für die ordentliche wie für die außerordentliche fristlose Kündigung gleichermaßen (BayObLGZ 1983, 50, 52 f). Das Recht des Mieters, mit seinen nächsten Angehörigen zusammenzuleben, wäre in erheblichem Maße beeinträchtigt, wenn er stets mit einer fristlosen Kündigung zu rechnen hätte, weil sich seine Familie durch die Aufnahme von Kindern über ein bestimmtes Maß hinaus vergrößert und ihm eine andere Unterkunft nicht zur Verfügung steht. Die jeweiligen Interessen des Mieters und seiner Familie am Fortbestand des Mietverhältnisses einerseits sowie des Vermieters andererseits lassen sich nur im Einzelfall angemessen würdigen, wobei darauf abzustellen ist, ob die Beeinträchtigung des Vermieters so schwerwiegend ist, daß sie eine sofortige Beendigung des Mietverhältnisses erfordert.
Ob danach das Interesse des Vermieters an einem vertragsgemäßen Verhalten des Mieters in hohem Maße beeinträchtigt und die Störung seiner Belange von besonderem Gewicht ist, was Voraussetzung einer fristlosen Kündigung gemäß § 553 BGB wäre, beurteilt sich - insbesondere soweit es um eine mögliche Gefährdung der Wohnsubstanz geht - in erster Linie nach den Auswirkungen der vertragswidrigen Verhaltensweise (Schmidt-Futterer/Blank aaO, B 123). Pflichtverletzungen mit geringfügigen Auswirkungen berechtigen grundsätzlich nicht zur fristlosen Kündigung. Um so mehr ist auch in Fällen einer durch die Aufnahme von Kindern des Mieters eingetretenen Überbelegung eine erhebliche Beeinträchtigung der Vermieterrechte im Sinne von § 553 BGB zu verneinen, wenn überhaupt keine auf die Überbelegung zurückzuführenden Auswirkungen festzustellen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 2993220 |
BGHZ 123, 233 |
BGHZ, 233 |
BB 1993, 2187 |
NJW 1993, 2528 |
BGHR BGB § 553 Überlegung 1 |
DRsp I(133)496b |
FamRZ 1993, 1299 |
WM 1993, 1811 |
ZMR 1993, 508 |
MDR 1993, 970 |
WuM 1993, 529 |
BGH, HdM Nr. 33 |