Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 8. Februar 2000 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat allein zum Maßregelausspruch Erfolg, im übrigen ist es unbegründet.
1. Nach den Feststellungen trank der Angeklagte am Tag vor der Tat zwischen ca. 14.00 und 18.30 Uhr zunächst mit einem Freund vor einem Einkaufsmarkt und später allein in einer Gaststätte Bier. Er kehrte in der Nacht gegen 1.30 Uhr mit dem Fahrrad zu der gemeinsam mit seiner Mutter genutzten Wohnung zurück. Dort entschloß er sich, seiner Mutter für die Jahre, die er mit ihr und seinem Stiefvater erlebt hatte, einen Denkzettel zu verpassen. Er holte aus einem Werkzeugkasten einen Eisenhammer und begab sich in das Schlafzimmer der Mutter. Dort schlug er seiner tief schlafenden Mutter mit der flachen Seite des Hammerkopfes einmal auf den Hinterkopf, um sie zu verletzen. Er verursachte eine blutende Kopfplatzwunde. Das durch den Aufprall des Hammers entstandene Geräusch veranlaßte ihn, innezuhalten. Als seine durch den Schlag erwachte Mutter sich im Bett aufsetzte und ihn ansprach, rannte der Angeklagte aus der Wohnung und lief zu einer Telefonzelle. Von dort rief er zu Hause an, um zu sehen, wie es seiner Mutter geht. Nachdem diese sich am Telefon gemeldet hatte, begab er sich in die Wohnung zurück, versuchte die Blutung am Kopf der Mutter mit einem Handtuch zu stillen und rief sodann die Polizei und einen Krankenwagen. Eine ihm um 2.52 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,11 %o. Nach der Blutentnahme wurde er mit seiner Zustimmung in das Ostseezentrum für seelische Gesundheit der Fachklinik Neustadt gebracht, wo er bereits zuvor zweimal wegen Alkoholmißbrauchs in Behandlung gewesen war. Das Landgericht geht davon aus, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatausführung erheblich vermindert war.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Durch die fehlerhafte, weil den rechtlichen Anforderungen nicht genügende Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB und der auch hierauf beruhenden Strafrahmenmilderung ist der Angeklagte im Strafausspruch nicht beschwert.
3. Dagegen kann die Maßregelanordnung keinen Bestand haben.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB begründete. In diesem Zustand muß er eine rechtswidrige Tat begangen haben, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB tragenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, das heißt mit diesem in einem kausalen, symptomatischen Zusammenhang steht (BGH NStZ 1999, 128, 129 m.w.Nachw.).
Zwar stellt das Landgericht im Anschluß an den von ihm gehörten Sachverständigen bei dem hirnorganisch und psychisch gesunden Angeklagten eine sich in überspitzter Form in der Beziehung zu seiner Mutter darstellende „Persönlichkeitsproblematik” fest, die als „gemischte Persönlichkeitsstörung” mit Merkmalen einer „abhängige(n) (asthenischen)”, „ängstlichen (vermeidenden)” und „dissozialen Persönlichkeitsstörung” für sich so stark sei, daß „die Grenze zur schweren seelischen Abartigkeit überschritten sei mit der Folge einer erheblichen Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens”. Zugrunde liege dem eine weitgehende innere Abhängigkeit des Angeklagten mit Ansprüchen auf Halt, Fürsorge und Versorgung. Daneben gebe es zusätzlich inzestuöse Wünsche als Ausdruck einer ungelösten ödipalen Problematik. Andererseits fühle er sich von seiner Mutter unterdrückt, bevormundet, eingeengt und in seiner Eigenständigkeit behindert. Dies führe zu einer höchst zwiespältigen Einstellung gegenüber der Mutter mit der Folge besonderer Spannungen „und auch immer wieder aggressiver Affekte”. Ein solcher Affekt habe auch zu der abzuurteilenden Tat geführt. Für den Angeklagten habe sich die Tat als ein impulsives Handeln aus einer psychischen Notsituation dargestellt. Es sei von einer erheblichen neurotischen Fehlentwicklung auszugehen, die vor allem eine Reifeverzögerung sowie eine erhebliche Selbstwertproblematik beinhalte. Der aktuellen Alkoholisierung sei daneben keine eigene Bedeutung, sondern lediglich „unterstreichende Funktion” zugekommen. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung werde sich der Angeklagte auch dann, wenn er zu seiner Mutter keinen Kontakt mehr habe, in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld eine Person suchen, zu der er ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis aufbauen werde. Es müsse in diesem Falle mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß sich gegenüber einer solchen Bezugsperson wieder aggressive Affekte aufbauen, so daß auch wieder erhebliche Straftaten gegenüber einer solchen Person zu erwarten seien.
Damit ist jedoch weder eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB noch ein Zustand hinreichend belegt, der die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen könnte.
Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, daß auch nicht pathologisch bedingte Störungen grundsätzlich Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein können. Dies setzt jedoch voraus, daß sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen – mit Ausnahme der weniger gewichtigen – entsprechen und als länger dauernde Umstände den Zustand des Täters widerspiegeln und seine Gefährlichkeit für die Zukunft begründen (BGHSt 34, 22, 28 m.w.Nachw.). Die Diagnose einer „gemischten Persönlichkeitsstörung” mit Merkmalen der abhängigen, ängstlichen und dissozialen Persönlichkeitsstörung läßt jedoch für sich – auch in Verbindung mit der weiteren Schilderung der Symptomatik – noch keine Aussage zu Einschränkungen der Schuldfähigkeit des Täters zu (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 13; BGH NStZ-RR 1999, 77, 78). Hierzu bedarf es vielmehr einer Gesamtschau aller Umstände, die einen Schluß auf eine Verminderung oder gar Aufhebung des Einsichts- oder Hemmungsvermögens zulassen, um festzustellen, ob die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters in vergleichbar schwerer Weise beinträchtigen, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401; BGH NStZ-RR 1999, 77, 78). In die Prüfung sind die Persönlichkeit des Angeklagten, ihre Entwicklung, der unmittelbare Anlaß und die Ausführung der Tat sowie das Verhalten des Angeklagten nach der Tat einzubeziehen (BGHSt 37, 397, 402 m.w.Nachw.). Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH NStZ 1997, 383; BGHR StGB § 63 Zustand 26; BGH, Beschl. vom 9. Mai 2000 – 4 StR 59/00).
Den Gründen der angefochtenen Entscheidung kann nicht entnommen werden, daß das Landgericht diese Gesamtwürdigung vorgenommen hätte. Es beschränkt sich darauf, das vom Sachverständigen aufgrund „psychiatrischer, neurologischer und allgemeiner körperlicher Untersuchung des Angeklagten” sowie eines testpsychologischen Zusatzgutachtens und des Eindrucks in der Hauptverhandlung gewonnene Ergebnis der Begutachtung zu referieren und sich diesem „aus eigener Überzeugung” anzuschließen, ohne weitere maßgebliche Umstände in seine Betrachtung mit einzubeziehen. So hat das Landgericht zunächst unberücksichtigt gelassen, daß keine früheren Aggressionshandlungen des zum Tatzeitpunkt 36 Jahre alten Angeklagten gegen seine Mutter oder sonstige Personen aus seinem sozialen Nahbereich festgestellt sind. Bei den wiedergegebenen, jeweils mit Geldstrafen geahndeten Taten des Angeklagten aus den Jahren 1984 bis 1996 handelte es sich im wesentlichen um Vermögensdelikte, die – nach der Art ihrer Ahndung – nicht dem Bereich schwererer Kriminalität zugerechnet werden können. Auch die im März 1995 abgeurteilte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil eines Taxifahrers läßt keinerlei Beziehung zu der vom Sachverständigen ermittelten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten erkennen. Das Verhalten des Angeklagten nach der Tat war von Sorge um seine Mutter geprägt. Letztlich hatte er Einsicht in das Unrecht seiner Tat gezeigt und sich zur Behandlung seiner Alkoholprobleme freiwillig in eine Fachklinik begeben.
Darüber hinaus hat es das Landgericht unterlassen, die Ausführungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen. So ist dessen Feststellung, ein „aggressiver Affekt” habe zu der Tat des Angeklagten geführt, mit dem der Tat vorausgehenden Geschehen nur schwer vereinbar. Der Angeklagte hatte vom frühen Nachmittag des Vortages bis in die Nacht zunächst mit einem Freund und später allein Alkohol konsumiert, ohne daß in diesem Zeitpunkt irgend eine konfliktträchtige Situation, insbesondere mit seiner Mutter eingetreten wäre. Es ist daher nur schwer nachvollziehbar, wie es beim Angeklagten zu einem Affektaufbau gekommen sein soll. Hierzu hätte es näherer Nachfrage beim Sachverständigen zu den Grundlagen seiner Beurteilung bedurft. Gleiches gilt für das vom Sachverständigen festgestellte impulsive Handeln des Angeklagten aus einer „psychischen Notsituation”. Auch insoweit fehlt es an nachvollziehbaren Darlegungen, welche Umstände den Angeklagten subjektiv in eine psychische Notsituation gebracht haben könnten.
Das Fehlen der gebotenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, seines Vorlebens, seiner Tat und des Nachtatverhaltens führt des weiteren dazu, daß es auch für die vom Landgericht im Rahmen des § 63 StGB angestellte Gefährlichkeitsprognose an einer tragfähigen Grundlage mangelt (vgl. BGHSt 27, 246, 248; BGH NJW 1983, 350; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 2 und 3). Auch insoweit hat das Landgericht insbesondere das Fehlen früherer Aggressivitäten des Angeklagten gegen seine Mutter oder sonstiger Personen aus seinem sozialen Umfeld nicht in seine Bewertung miteinbezogen, ebensowenig das Fehlen sonstiger Straftaten, die in einem symptomatischen Zusammenhang mit der vom Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten stehen könnten.
Über die Unterbringung des Angeklagten muß daher nochmals befunden werden.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, RiBGH von Lienen ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Rissing-van Saan, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 540495 |
NStZ 2000, 585 |
BA 2001, 184 |