Tenor
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Ein gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB strafbefreiender Rücktritt vom Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts setzt nicht voraus, daß der Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindert und dies auch anstrebt, unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die sicherste oder „optimale” gewählt hat.
2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.
Gründe
Der Senat hat über folgenden vom Landgericht festgestellten Sachverhalt zu entscheiden:
Der Angeklagte öffnete in Selbsttötungsabsicht zwei Gashähne in seiner im Erdgeschoß eines 12-Familien-Hauses gelegenen Wohnung. Hierbei dachte er nicht daran, daß durch sein Handeln möglicherweise andere Hausbewohner zu Schaden kommen könnten. Nach dem Öffnen der Gashähne wurde dem Angeklagten bewußt, daß es durch das ausströmende Gas zu einer Explosion kommen könnte und daß hierdurch andere Hausbewohner verletzt oder getötet werden könnten. Dies nahm er zunächst billigend in Kauf. Kurze Zeit später änderte er insoweit seine Willensrichtung. Er rief über die Notrufnummer zunächst die Feuerwehr, unmittelbar darauf die Polizei an, nannte seinen Namen und seine Anschrift und forderte die genannten Stellen auf, sogleich für eine Rettung der Hausbewohner zu sorgen, da er nicht wollte, daß diese durch eine – vom Angeklagten als möglich erkannte – Gasexplosion zu Schaden kämen. Seinen Entschluß, sich selbst durch Gasvergiftung zu töten, gab er nicht auf; der Aufforderung, das Gas abzudrehen, kam er daher nicht nach. Nach Beendigung des zweiten Telefongesprächs wurde der Angeklagte bewußtlos; wenige Minuten später traf die Feuerwehr ein, evakuierte etwa 50 Personen und drehte den Gashahn zu. Ob das Gasgemisch in der Wohnung des Angeklagten schon explosionsfähig war, konnte nicht festgestellt werden.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen – durch aktives Tun begangenen – Versuchs des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in Tateinheit mit Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verurteilt; einen strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung abgelehnt, die Bemühungen des Angeklagten seien nicht ausreichend gewesen.
2. Der Senat neigt der Ansicht zu, daß der Angeklagte von dem – durch Unterlassen begangenen – Versuch nach § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB strafbefreiend zurückgetreten ist. Da das auf Rettung des bedrohten Rechtsguts abzielende Handeln des Angeklagten, der eine als möglich erkannte Vollendung der Tat jedenfalls nicht mehr billigte, für die Verhinderung der Vollendung kausal war, kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, ob dem Angeklagten schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Rettung zur Verfügung gestanden hätten; die Anforderungen an ein „ernsthaftes Bemühen” im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gelten für diesen Fall nicht.
a) Entsprechend hat der Senat in den Entscheidungen vom 3. Juli 1981 – 2 StR 357/81 (NStZ 1981, 388), 7. November 1985 – 2 StR 521/84 (NJW 1985, 813), 26. März 1997 – 2 StR 650/96 (NStZ-RR 1997, 233, 234) und 3. Februar 1999 – 2 StR 540/98 (NStZ 1999, 299) entschieden; ebenso der 5. Strafsenat in den Beschlüssen vom 28. November 1998 – 5 StR 176/98 (BGHSt 44, 204, 207) und vom 9. Dezember 1998 – 5 StR 584/98 (NStZ 1999, 128).
Der 1. Strafsenat hat im Urteil vom 27. April 1982 – 1 StR 873/81 (BGHSt 31, 46, 49) entschieden, der Täter dürfe sich nicht mit Maßnahmen begnügen, die, wie er erkennt, (möglicherweise) unzureichend sind, wenn ihm bessere Verhinderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Er müsse solche Möglichkeiten ausschöpfen und dürfe dem Zufall keinen Raum bieten. Wenn der Erfolg ohne Zutun des Täters abgewendet werde (also ein Fall des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gegeben ist), „(ändere) sich dadurch nichts” (BGHSt 31, 46, 49). Ähnlich haben der 3. Strafsenat (BGH bei Dallinger MDR 1972, 751) sowie der 4. Strafsenat entschieden (Beschl. vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96; vom 25. Februar 1997 – 4 StR 49/97 [NStZ-RR 1997, 193, 194]), wobei aber jeweils offen bleibt, ob die auf BGHSt 31, 46, 49 Bezug nehmenden Ausführungen einen Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB betreffen (vgl. auch Urteil vom 5. Dezember 1985 – 4 StR 593/85 [NJW 1986, 1001, 1002]).
Der 1. Strafsenat selbst hat im Urteil vom 15. Mai 1990 – 1 StR 146/90 (NJW 1990, 3219) unter Bezugnahme auf BGHSt 31, 46 angeführt, im Fall der Ursächlichkeit der Verhinderungsbemühungen sei der Rücktritt nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter zur Rettung mehr als geschehen hätte tun können (so auch der 4. Strafsenat in der Entscheidung StV 1981, 396, 397).
b) In der Literatur ist die Frage umstritten (vgl. die Überblicke bei Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 24 Rdn. 59; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 24 Rdn. 32 ff.; Roxin in Festschrift für H.J. Hirsch, 1999, S. 327 ff.; Kolster, Die Qualität der Rücktrittsbemühungen des Täters beim beendeten Versuch, 1993, S. 74 ff.). Die Entscheidung BGHSt 31, 46, 49 ist in der Literatur dahin verstanden worden, daß auch bei kausaler Erfolgsverhinderung „bestmögliche” Bemühungen des Täters erforderlich seien (vgl. Puppe NStZ 1984, 488, 490; Rudolphi NStZ 1989, 508); die Autoren, die diese Ansicht vertreten (vgl. insbesondere Herzberg NJW 1989, 867; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 26. Abschn. Rdn. 21; 29. Abschn. Rdn. 119; ders. ZStW 104 [1992], 89; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Aufl. § 27 Rdn. 28; Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., § 15 Rdn. 89 ff.; alle m.w.N.), berufen sich in der Regel auf die Entscheidungen BGH (bei Dallinger) MDR 1972, 751 f. und BGHSt 31, 46, 49.
c) Der Senat will – im Anschluß an die in der Literatur verbreitete Gegenansicht (vgl. etwa Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 24 Rdn. 59; Rudolphi in SK-StGB § 24 Rdn. 27 b, 27 c; Vogler in LK, 10. Aufl. § 24 Rdn. 112 a; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil 5. Aufl. § 51 V 2; Wessels/Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil, 31. Aufl. Rdn. 644; jeweils m.w.N.) – an seiner oben genannten Auffassung festhalten; er sieht für die Fälle kausaler Erfolgsverhinderung auch keine Notwendigkeit, im Grundsatz zwischen eigenhändiger Verhinderung und Zuziehung Dritter zu differenzieren (vgl. Roxin, Festschrift für H.J. Hirsch, 1999, 327, 353 ff.). Für den Fall des Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts ergibt sich nach Ansicht des Senats aus der Ingerenzhaftung des Garanten insoweit keine Besonderheit (so insbesondere Jakobs a.a.O., 29. Abschn. Rdn. 119). Die im Ergebnis ungleiche Behandlung des Rücktritts vom beendeten untauglichen Versuch, bei dem mangels Kausalität der Bemühungen stets der Maßstab des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB anzuwenden ist, sieht der Senat; sie rechtfertigt es nach seiner Ansicht nicht, den Wortlaut des § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB in den Fällen kausaler Verhinderung auszudehnen. Erforderlich ist danach allein, daß der Täter seinen Vollendungsvorsatz vollständig aufgibt, im Fall bedingten Vorsatzes also den als weiterhin möglich erkannten Taterfolg nicht mehr billigt, und daß er – erfolgreich – eine solche Rettungsmöglichkeit wählt, die er für geeignet hält, die Vollendung zu verhindern.
3. Dem könnten die oben genannten Entscheidungen des 1. Strafsenats (insbesondere BGHSt 31, 46, 49), aber auch des 4. Strafsenats entgegenstehen; der Senat vermag ihnen nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob sie auf einer von der Ansicht des Senats abweichenden Rechtsauffassung beruhten und ob diese gegebenenfalls in späteren Entscheidungen aufgegeben wurde. Da der 1. Strafsenat in der Entscheidung NJW 1990, 3219 sowohl auf die Entscheidung in StV 1981, 396 als auch auf BGHSt 31, 46 verwiesen hat, liegt die Annahme nahe, daß die letztgenannte Entscheidung in der Literatur mißverstanden worden ist.
Der Senat fragt im Hinblick auf die nicht ganz eindeutige Rechtsprechung gleichwohl vorsorglich bei den anderen Strafsenaten an, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Otten, Fischer, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2559555 |
NJW 2002, 3719 |
NStZ 2003, 28 |
JA 2003, 277 |
StraFo 2002, 360 |
JURAtelegramm 2003, 56 |
LL 2003, 179 |