Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzung von Zwangsmitteln. Öffentliche Zustellung im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Dem Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln gem. § 888 Abs. 1 ZPO wegen Nichterbringung einer Auskunft fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Schuldner unbekannten Aufenthalts ist und ihm deshalb sämtliche im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren zuzustellenden Schriftsätze und gerichtliche Entscheidungen durch öffentliche Bekanntmachung i.S.v. § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt worden sind.
Normenkette
ZPO § 185 Abs. 1, § 575 Abs. 4 S. 2, § 888 Abs. 1
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 08.03.2010; Aktenzeichen 26 W 44/09) |
LG Berlin (Entscheidung vom 01.04.2009; Aktenzeichen 18 O 425/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des 26. Zivilsenats des KG vom 8.3.2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 1.000 EUR
Gründe
Rz. 1
I. Die Schuldnerin war Miteigentümerin eines in Berlin-Pankow belegenen Grundstücks, das aufgrund eines Restitutionsbescheids des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen der Gläubigerin übertragen wurde. Die Gläubigerin nahm die Schuldnerin vor dem LG Berlin im Wege der Stufenklage auf Auskunftserteilung über die im Zeitraum vom 1.7.1994 bis zum 2.5.2003 im Hinblick auf das Restitutionsgrundstück erzielten Einnahmen und entstandenen Forderungen sowie auf Zahlung des sich nach Auskunftserteilung ergebenden Betrags in Anspruch.
Rz. 2
Die Schuldnerin hatte ihren letzten bekannten Aufenthalt in Berne, US-Bundesstaat New York. Nachdem der Versuch des LG fehlgeschlagen war, die Klage und die im Verfahren vor dem LG ergangenen richterlichen Verfügungen im Wege der förmlichen Auslandszustellung gem. Art. 2 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 (nachfolgend Haager Übereinkommen) zuzustellen, ordnete das LG Berlin mit Beschluss vom 2.10.2007 die öffentliche Zustellung sowie zusätzlich gem. § 187 ZPO die Benachrichtigung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter "Amtliche Bekanntmachungen" an. Es erging sodann am 11.12.2007 gegen die Schuldnerin ein Teil-Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren, mit dem die Schuldnerin zur Auskunftserteilung verurteilt wurde. Das Urteil wurde ebenfalls öffentlich zugestellt.
Rz. 3
Die Gläubigerin hat beantragt, gegen die Schuldnerin wegen Nichterbringung der Auskunft ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft festzusetzen. Dieser Antrag ist vom LG zurückgewiesen worden. Die gegen die Zurückweisung gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln weiter.
Rz. 4
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubigerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung von Ordnungsmitteln. Sowohl die Klage als auch das Versäumnisurteil des LG seien der Schuldnerin, die unbekannten Aufenthalts sei und offenbar in den USA gelebt habe oder noch lebe, öffentlich zugestellt worden. Die Gläubigerin mache insoweit auch nicht geltend, dass ihr der Aufenthalt der Schuldnerin inzwischen bekannt sei. Wenn aber eine Vollstreckung des Zwangsgeldes im Hinblick auf eine bereits anfänglich nicht vorhandene Kenntnis vom Aufenthaltsort des Schuldners höchst unwahrscheinlich oder wohl unmöglich sei, sei es eine leere, lediglich Kosten verursachende Förmelei, gegenüber dem Schuldner ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO zu verhängen.
Rz. 5
III. Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hat Erfolg.
Rz. 6
1. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Insbesondere ist das Zustellerfordernis gem. § 575 Abs. 4 Satz 2 ZPO erfüllt. Die Rechtsbeschwerdeschrift vom 30.4.2010 sowie die Rechtsbeschwerdebegründung vom 19.7.2010 sind der Schuldnerin durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 185 f. ZPO zugestellt worden, nachdem ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden konnte.
Rz. 7
2. Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis.
Rz. 8
a) Allerdings ist der Antrag auf Zwangsmittelfestsetzung nur bei bestehendem Rechtsschutzbedürfnis zulässig (Gruber in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 888 Rz. 19). Nach allgemeinen Grundsätzen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann (BGH, Urt. v. 28.3.1996 - IX ZR 77/95, NJW 1996, 2035 [2037]; Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, a.a.O., Vor §§ 253 ff. Rz. 11, jeweils m.w.N.).
Rz. 9
b) So liegt es im Streitfall jedoch nicht.
Rz. 10
Für die Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung greifbare Möglichkeiten zur Vollstreckung eines Titels erkennbar sind. So trägt im Erkenntnisverfahren regelmäßig bereits die Aussicht, dass der obsiegende Kläger einen Titel erhält, der seine etwaigen Ansprüche für die nächsten 30 Jahre vor der Verjährung bewahrt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), die Annahme des Rechtsschutzinteresses. Denn es lässt sich nicht durchweg ausschließen, dass der Kläger in dieser Zeit Gelegenheit findet, den Titel gegen den Beklagten zu vollstrecken (BGH NJW 1996, 2035 [2037 m.w.N.]).
Rz. 11
Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 Abs. 1 ZPO. Eine Zwangsmittelanordnung nach § 888 ZPO ist ein eigener Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, aus dem die Beitreibung des Zwangsgeldes und die Vollstreckung der (Ersatz-)Zwangshaft betrieben werden kann (BGH, Beschl. v. 3.7.2008 - I ZB 87/06, NJW 2008, 2919 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 12
Die Anordnung von Zwangsmitteln gem. § 888 Abs. 1 ZPO ist auch dann nicht objektiv sinnlos, wenn der Schuldner - wie im Streitfall - unbekannten Aufenthalts ist und ihm im Erkenntnisverfahren die zuzustellenden Schriftsätze, die vollstreckbare gerichtliche Entscheidung sowie die Schriftsätze und Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren durch öffentliche Bekanntmachung i.S.v. § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt wurden. Zwar hat das Zwangsgeld den Zweck, den auf die Nichterfüllung gerichteten Willen des Schuldners zu beugen (Schilken in Rosenberg/Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 71 Rz. 2). Eine Einflussnahme auf die Willensbildung durch die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 ZPO ist aber auch im Hinblick auf einen Schuldner nicht auszuschließen, der während des Erkenntnisverfahrens und des Verfahrens auf Festsetzung von Zwangsmitteln unbekannten Aufenthalts war. Es ist nicht unmöglich, dass der Schuldner durch die Benachrichtigung gem. § 186 Abs. 1 ZPO oder anderweitig tatsächlich Kenntnis von der titulierten Verpflichtung erhalten hat oder erhalten wird. Ferner spricht für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses auch der Normzweck des Instituts der öffentlichen Zustellung. Damit hat der Gesetzgeber im Spannungsfeld zwischen dem Justizgewährungsanspruch desjenigen, in dessen Interesse zugestellt wird, und dem Anspruch des Zustellungsadressaten auf Gewährung rechtlichen Gehörs dem Gedanken des effizienten Rechtsschutzes den Vorrang eingeräumt (vgl. Musielak/Wittschier, ZPO, 10. Aufl., § 185 Rz. 1). Die durch die Benachrichtigung gem. § 186 Abs. 1 ZPO eröffnete Möglichkeit der Kenntnisnahme ist der tatsächlichen Kenntnisnahme im rechtlichen Ergebnis gleichgestellt. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist auch bei der Anwendung des § 888 Abs. 1 ZPO zu beachten.
Rz. 13
IV. Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Fundstellen