Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer sexueller Mißbrauch eines Kindes
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 4. Mai 1999
- im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in neun Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und in zwei Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Mißbrauch eines Kindes, schuldig ist,
- in den die Fälle II 2, 8 und 9 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafaussprüche und dem Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellen Mißbrauchs eines Schutzbefohlenen in neun Fällen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit das Landgericht ihn in den Fällen II 1 und 3 bis 7 der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen zu den verhängten Einzelstrafen verurteilt hat. Allerdings ist der Schuldspruch – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. August 1999 insoweit zu Recht ausgeführt hat – dahin klarzustellen, daß der Angeklagte in den Fällen 6 und 7 der Urteilsgründe (neben § 174 StGB) wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (§ 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt ist. Daß der Angeklagte in diesen Fällen, in denen er im Herbst 1998 mit seiner damals 9jährigen Stieftochter den Geschlechtsverkehr vollzog, den durch das 6. StrRG als Verbrechen eingeführten qualifizierten Tatbestand (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 31) verwirklicht hat, hat das Landgericht ausweislich der Liste der angewandten Vorschriften und der rechtlichen Würdigung in dem angefochtenen Urteil auch nicht übersehen (UA 2, 12). Doch ist die Verurteilung wegen des qualifizierten Delikts auch in der Urteilsformel selbst kenntlich zu machen (Engelhardt in KK-StPO 4. Aufl. § 260 Rdn. 30 a.E.).
2. Dagegen hat der Schuldspruch keinen Bestand, soweit das Landgericht den Angeklagten auch in den Fällen II 8 und 9 der Urteilsgründe des schweren sexuellen Mißbrauchs nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB für schuldig befunden hat. Nach dieser Vorschrift wird nur die Vornahme solcher sexuellen Handlungen erfaßt, „die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind”. Nach der Gesetzesbegründung zum 6. StrRG ist dieses qualifizierende Merkmal dem durch das 33. StrÄndG in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung (nunmehr § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG) nachgebildet (BTDrucks. 13/8587 S. 31 f.). Hiernach sollte „vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfaßt” werden (BTDrucks. 13/2463 S. 7 und 13/7324 S. 6; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 11; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 176 a Rdn. 4; Lenckner NJW 1997, 2801, 2802). Wie die Revision zu Recht geltend macht, ergeben die Feststellungen eine solche Penetration in den Körper nicht.
Nach den zu den Fällen 8 und 9 getroffenen Feststellungen „manipulierte das Mädchen mit dem Mund an dem Glied des Angeklagten” (UA 7, 8). Damit ist nicht belegt, daß der Angeklagte mit seinem Glied jeweils auch in den Mund des Kindes eingedrungen ist. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ergibt sich dies auch nicht daraus, daß das Landgericht diese Tathandlungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung als „Oralverkehr” gekennzeichnet hat (UA 12 a. E.). Zwar ist richtig, daß in dem qualifizierten Tatbestand ausdrücklich die Fälle einbezogen werden sollten, in denen der Täter z.B. Oralverkehr an sich von dem Kind vornehmen läßt (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Doch ersetzt die pauschale Kennzeichnung als „Oralverkehr” nicht die notwendigen Feststellungen zur vom Tatbestand vorausgesetzten Penetration. Daß es sich insoweit auch nicht um einen bloßen Mißgriff im Ausdruck handelt, ergibt sich – worauf die Revision zutreffend hinweist – im Umkehrschluß aus den Feststellungen zu dem Oralverkehr im Fall II 4 der Urteilsgründe, wonach der Angeklagte das Mädchen „erfolgreich” aufforderte, „seinen Penis in den Mund zu nehmen” (UA 6; Hervorhebungen durch den Senat).
Nach den Feststellungen kommt deshalb in den Fällen II 8 und 9 der Urteilsgründe (neben § 174 StGB) nur eine Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 176 StGB in Betracht. Die hiernach gebotene Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der betreffenden Einzelstrafen nach sich.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt im Ergebnis auch zur Aufhebung der im Fall II 2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe. Auch in diesem Fall, der sich Ende 1996 ereignete, „manipulierte Stefanie mit ihrem Mund an dem Geschlechtsteil des Angeklagten” (UA 5). Das Landgericht hat insoweit – im Ansatz richtig – in Anwendung des Tatzeitrechts (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB) einen unbenannten besonders schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes angenommen und die Strafe demgemäß § 176 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. entnommen. Wie in den Fällen II 8 und 9 ist es auch hierbei von einem „Oralverkehr” ausgegangen (UA 10), der nach der Rechtsprechung zum früheren Rechtszustand außerhalb der Regelbeispiele einen besonders schweren Fall des Absatzes 3 zu begründen vermochte (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 176 Rdn. 11 m.N.). Doch kann der Senat nicht sicher ausschließen, daß das Landgericht bei der Gesamtwürdigung unter Einschluß der zahlreichen Milderungsgründe (UA 13/14) hinsichtlich Strafrahmenwahl und Strafhöhe zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es die fehlende Feststellung einer Penetration mit dem Glied in den Mund des Kindes berücksichtigt hätte.
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II 2, 8 und 9 hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge; die übrigen Einzelstrafen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540803 |
NStZ 2000, 27 |
StV 2000, 19 |