Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 27. Februar 2020 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb am 26. September 2016 von einem Dritten einen gebrauchten PKW VW Sharan 2.0 TDI, den die Beklagte hergestellt hat. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. In dem Fahrzeug ist eine Motorensteuerungsgerätesoftware installiert, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, und dann einen besonderen Modus aktiviert (sog. Umschaltlogik). Die Software war dabei so programmiert, dass das Fahrzeug bei der Messung der Schadstoffemissionen auf dem Prüfstand diese Situation erkannte und im NOx-optimierten Modus 1 lief, bei dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate kam, während beim Betrieb im Straßenverkehr durchgehend Modus 0 aktiv war. Bei dem Fahrzeug wurde ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufgespielt, mit dem die Umschaltlogik verändert wurde.
Rz. 3
Am 22. September 2015 wurde der sogenannte Abgasskandal mit der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten über die manipulierten Dieselmotoren publik. Über den Sachverhalt wurde in den nationalen und internationalen Medien berichtet. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015, der weithin veröffentlicht wurde, ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Rückruf von 2,4 Millionen Fahrzeugen der Beklagten an und verpflichtete diese, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA189 die aus Sicht des KBA unzulässige Abschaltvorrichtung zu entfernen und nachzuweisen, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Neben der Ad-hoc-Mitteilung erfolgten noch im Jahr 2015 zahlreiche weitere Pressemitteilungen der Beklagten. Zudem stellte sie eine Abfragemöglichkeit im Internet für die Betroffenheit einzelner Fahrzeuge bereit und arbeitete im Rahmen eines Maßnahmenplans mit dem KBA zum Erhalt der Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge zusammen.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine im Berufungsverfahren gestellten Klageanträge in vollem Umfang weiter.
II.
Rz. 5
1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht (mehr) vor, § 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Rechtsfragen, die das Berufungsgericht veranlasst haben, die Revision zuzulassen, sind durch die nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 (BGHZ 225, 316 ff.), vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 (NJW 2020, 2798 ff.) und 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20 (VersR 2021, 263 ff.) sowie den Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 (WM 2021, 652 ff.) geklärt.
Rz. 6
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz im Ergebnis zu Recht versagt.
Rz. 7
a) Ein Anspruch gemäß § 826 BGB scheitert daran, dass sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht in Frage gestellten Feststellungen das gesamte Verhalten der Beklagten bis zum Eintritt des Schadens bei dem Kläger in der gebotenen Gesamtschau nicht als sittenwidrig darstellt.
Rz. 8
aa) Die Beklagte hat ihr Verhalten im September 2015 nach außen erkennbar maßgeblich geändert. Denn sie ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Hierdurch wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber bisherigen Käufern von Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im September 2016 entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 14 f.; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, WM 2021, 652 Rn. 17).
Rz. 9
(1) Die Beklagte veröffentlichte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung. Darin teilte sie mit, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA stehe und für notwendige Servicemaßnahmen an den betroffenen Motoren rund 6,5 Milliarden Euro zurückstelle. Die Beklagte gab darüber hinaus eine im Wesentlichen gleichlautende Presseerklärung heraus und schaltete eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifikationsnummer überprüft werden kann, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist.
Rz. 10
(2) Der Senat kann diesen Sachverhalt berücksichtigen, auch wenn der Wortlaut der Ad-hoc-Mitteilung und der Presseerklärung vom Berufungsgericht nicht ausdrücklich wiedergegeben und der Inhalt nur recht allgemein umschrieben wird. Grundlage der Prüfung durch das Revisionsgericht ist gemäß § 559 ZPO grundsätzlich der Tatsachenstoff, der sich aus dem Berufungsurteil einschließlich der in ihm enthaltenen wirksamen Bezugnahmen und dem Inhalt des Sitzungsprotokolls erschließt (BGH, Urteil vom 17. Februar 2005 - IX ZR 159/03, NJW-RR 2005, 794, 795, juris Rn. 12; vgl. auch Urteil vom 1. März 1996 - V ZR 327/94, NJW 1996, 1748, juris Rn. 9). Dazu gehören auch der Inhalt der Ad-hoc- und der Pressemitteilung vom 22. September 2015. Das Berufungsurteil nennt die Verlautbarungen mit Datum und beschreibt ihre Informationsfunktion. Das Berufungsgericht hat in den Gründen "zur Chronologie des Abgasskandals" die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle (Beschluss vom 27. Mai 2019 - 7 U 335/18, juris) und des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urteil vom 9. Januar 2020 - 17 U 133/19, juris) und in seiner Qualifikation der Fallkonstellation als "Spätfall" die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Urteil vom 6. November 2019 - 13 U 156/19, NJW-RR 2020, 83 ff.) konkret in Bezug genommen und in diesen veröffentlichten Entscheidungen wird der Inhalt der Ad-hoc-Mitteilung dargestellt.
Rz. 11
(3) Bereits die Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 war objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren des Typs EA189 in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 15; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 37; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, WM 2021, 652 Rn. 19 f.).
Rz. 12
(4) Die dargestellten Maßnahmen der Beklagten sind für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht deshalb irrelevant, weil die Beklagte nicht sichergestellt hatte, dass ihre Informationen tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 38; vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 18). Die Beklagte traf zur Vermeidung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs nicht die Verpflichtung, jeden potentiellen Käufer über die für seine Kaufentscheidung wesentlichen Gesichtspunkte und die Mängel des Kaufgegenstands vollständig aufzuklären.
Rz. 13
bb) Eine abweichende Beurteilung ist schließlich auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten im Anschluss an ihre Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 entwickelte Software-Update nach der mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge haben kann. Auch dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, WM 2021, 652 Rn. 30).
Rz. 14
b) Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB besteht nicht, weil es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden fehlt (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 18 ff.). Soweit die Revision geltend macht, dem Kläger sei "verkäuferseits" vorgespiegelt worden, das Update sei zur Mangelbeseitigung geeignet, zeigt sie weder übergangenen Sachvortrag in der Instanz insoweit auf noch legt sie dar, weshalb die Erklärung des Verkäufers der beklagten Herstellerin zuzurechnen sei.
Rz. 15
c) Der Klaganspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.). Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) wegen der Auslegung der genannten Vorschriften ist entgegen der Ansicht der Revision nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 11, 14,16; vgl. Senatsbeschluss vom 15. Juni 2021 - VI ZR 566/20, juris Rn. 7 ff.). Ein Vorabentscheidungsersuchen ist erforderlich, wenn sich eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts stellt. Das ist hier nicht der Fall. Die Rechtslage ist sowohl im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 77) als auch im Hinblick auf Art. 5 VO 715/2007/EG (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 12 ff.) von vornherein eindeutig ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35).
Rz. 16
3. Es besteht Gelegenheit zur etwaigen Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Verlustigkeitsbeschluss vom 9. November 2021 erledigt worden.
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