Entscheidungsstichwort (Thema)
Landfriedensbruch
Tenor
I. Auf die Revisionen der Angeklagten H. und L. wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 16. Juli 1998, soweit es sie betrifft,
- in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß sie jeweils des Landfriedensbruchs schuldig sind,
- in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
IV. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten H. und L. des „besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs” für schuldig befunden und zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten (H.) bzw. unter Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten (L.) verurteilt; außerdem hat es die gegen den Angeklagten L. in dem rechtskräftigen Verfahren angeordnete Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB aufrechterhalten. Den Angeklagten M. hat es wegen „Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Anstiftung zum besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs und zur gefährlichen Körperverletzung” zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; die Angeklagten H. und L. beanstanden außerdem das Verfahren.
Die Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den Feststellungen wiegelte der Angeklagte M. eine Gruppe junger Leute, die wie er der „rechten Szene” zuzuordnen waren und die er eigens nach Hobeck eingeladen hatte, zu einem Angriff auf den Wirt und die Gäste der Gaststätte des Rene C. auf, mit denen er Streit hatte. Dabei benutzte er Worte wie „langhaarige Assis” und „Zeckenkneipe”. Schließlich waren etwa 15-25 Personen bereit, diese Gaststätte „platt” zu machen. Der Angeklagte M. führte sie kurz vor 23 Uhr zu dem ihnen bis dahin unbekannten Lokal. Unterwegs rüstete er sie mit Holzlatten aus, die er von einem Zaun abbrach, und beschrieb ihnen mögliche Fluchtwege der Gäste. Kurz vor Erreichen des Ziels blieb der Angeklagte M., der ebenfalls eine Holzlatte trug, zurück und gab den anderen das Zeichen zum Angriff. 10 bis 12 Mitglieder der Gruppe, darunter die Angeklagten H. und L., stürmten daraufhin das Lokal und schlugen mit den Zaunlatten auf den Wirt und die männlichen Gäste ein. Diese wurden zum Teil erheblich verletzt und mußten stationär behandelt werden; außerdem wurde die Inneneinrichtung der Gaststätte stark beschädigt. Die Gewalttätigkeiten endeten erst, als von außerhalb „zum Rückzug aufgefordert wurde”.
II. Nach diesen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen haben sich die Angeklagten H. und L. des Landfriedensbruchs schuldig gemacht.
1. Allerdings hat das Landgericht verkannt, daß § 125 a StGB keine den Landfriedensbruch qualifizierende Vorschrift ist sondern eine Strafzumessungsregel, wobei die angeführten Regelbeispiele lediglich Anhaltspunkte für ihre Anwendung geben (BGHR StGB § 125 a Waffe 1 und Konkurrenzen 1 m.w.N.; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 125 a Rdn. 1).
Der Senat berichtigt daher die Schuldsprüche, da die Kennzeichnung einer Tat als besonders schwerer Fall nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist (BGHSt 23, 254, 257; 27, 287, 289; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 260 Rdn. 25).
2. Die Strafaussprüche hinsichtlich der Angeklagten H. und L. haben keinen Bestand.
Zwar haben beide Angeklagte, als sie während des Überfalls die Gelegenheit nutzten und drei Flaschen mit alkoholischen Getränken (H.) bzw. Bargeld in Höhe von etwa 500 DM (L.) entwendeten, das Regelbeispiel des § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt. Dies eröffnet aber noch nicht den gegenüber § 125 StGB höheren Strafrahmen, da den Regelbeispielen nur indizielle Bedeutung zukommt. Für die Annahme eines besonders schweren Falles kommt es darauf an, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erwartungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 23, 254, 257; 29, 319, 322; BGHR StGB § 125 Strafzumessung 1). Eine solche Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen.
Im Rahmen einer solchen Würdigung ist auch das Nachtatverhalten des Täters zu berücksichtigen. Der Angeklagte L. hat sich bei dem Gastwirt nicht nur schriftlich entschuldigt, sondern dem Schreiben auch 500 DM zur Wiedergutmachung des Diebstahlsschadens beigefügt. Auch wenn der Gastwirt beides nicht angenommen hat (UA 25), so ist doch das Bemühen des Angeklagten um Schadenswiedergutmachung im Rahmen der Gesamtabwägung zu seinen Gunsten zu werten.
Die gegen den Angeklagten H. verhängte Jugendstrafe hat ebenfalls keinen Bestand. Auch bei der Bemessung einer Jugendstrafe kann die gesetzliche Bewertung des Tatunrechts, wie sie in der Strafandrohung des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommt, nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Hier hat die Jugendkammer zudem ausdrücklich darauf abgestellt, daß die „von ihm begangene Tat … dem Bereich der schweren Kriminalität zuzuordnen” sei (UA 39), was jedenfalls für den Landfriedensbruch nach § 125 StGB nicht zutrifft.
III. Der Schuld- und Strafausspruch bezüglich des Angeklagten M. können nicht bestehen bleiben.
1. Soweit dieser Angeklagte wegen „Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Anstiftung zum besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs” verurteilt worden ist, beruht dies auf der unzutreffenden Annahme des Landgerichts, § 125 a StGB sei ein Qualifikationstatbestand. Da dies nicht zutrifft, kommt insoweit nur eine Verurteilung wegen täterschaftlich begangenen Landfriedensbruchs in Betracht.
Auch hinsichtlich der von den Gruppenmitgliedern begangenen gefährlichen Körperverletzungen ist der Angeklagte M. – worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat – nicht Anstifter, sondern Mittäter. Für eine gemeinschaftliche Tatbegehung ist es nicht erforderlich, daß jeder der Mittäter eigenhändig an der Körperverletzungshandlung teilnimmt; auch kann ein dritter Mittäter abwesend sein, vorausgesetzt, daß zwei weitere Täter dem Opfer gegenüberstehen (BGH StV 1998, 127, 128; vgl. auch Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 223 a Rdn. 11; Tröndle/Fischer aaO § 224 Rdn. 11) und die Täter die Tat als gemeinschaftliche wollen (BGHR StGB § 223 a Abs. 1 gemeinschaftlich 1). Hier wirkte der Angeklagte M. mit den übrigen Tatbeteiligten bewußt zusammen; er hatte das Geschehen, zu dem auch die von ihm vorausgesehenen Körperverletzungshandlungen gehören, in der Hand, indem er die Gruppe aufwiegelte und zum Angriff führte.
2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kommt eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nicht in Betracht. Dazu müßte feststehen, daß der Angeklagte M. wegen eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs nach § 125 a StGB zu bestrafen ist; andernfalls würde nämlich die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB dazu führen, daß die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung wegen der höheren Strafandrohung eine solche wegen Landfriedensbruchs nach § 125 StGB verdrängt.
Ein Regelbeispiel des § 125 a StGB hat der Angeklagte M. nicht erfüllt; denn dieses setzt voraus, daß die Tatbestandsalternative eigenhändig vorgenommen wird (BGHSt 27, 56, 58 f.). Die Annahme eines besonders schweren Falles außerhalb der Regelbeispiele macht aber die Prüfung erforderlich, ob der Ausnahmestrafrahmen unter Berücksichtigung des gesamten Tatbildes, der Täterpersönlichkeit und aller besonderen – auch mildernden – Umstände geboten erscheint (BGHSt 29, 319, 322). Dies ist Aufgabe des Tatrichters, der bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben wird, daß dann, wenn bei einer mittäterschaftlich begangenen Tat ein Teil der Mittäter ein Regelbeispiel erfüllt hat, bei den anderen Mittätern jedenfalls ein unbenannter besonders schwerer Fall gegeben sein kann (BGHSt 27, 56, 59; 43, 237, 240; Tröndle/Fischer aaO § 125 a Rdn. 8).
Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil, soweit es den Angeklagten M. betrifft, insgesamt auf; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen sind, aufrechterhalten.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 556815 |
NStZ 2000, 194 |
LL 2000, 398 |