Verfahrensgang
LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 06.03.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Rostock 6. März 2010, soweit es ihn betrifft,
- im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Landfriedensbruchs entfällt,
- im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten F. sowie die Revision des Angeklagten G. werden verworfen.
3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
- in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, dass die Angeklagten F. und G. jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig sind, der Angeklagte G. in Tateinheit mit Landfriedensbruch,
- in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie des Angeklagten F., an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Der Angeklagte G. trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten G. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, den Angeklagten F. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Ferner hat es die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit der Sachrüge; auch die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren Rechtsmitteln, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, die Verletzung materiellen Rechts. Während der Revision des Angeklagten G. der Erfolg versagt bleibt, haben die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten F. jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
A.
Rz. 2
Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Rz. 3
Am Vormittag des 30. Juni 2007 waren etwa 150 Sympathisanten der politisch rechten Szene von G. aus in einem S-Bahn-Zug unterwegs nach R., um dort an einer Demonstration der NPD teilzunehmen. In dem ersten Doppelstock-Wagen der S-Bahn befanden sich lediglich sieben Personen dieser Gruppe im Obergeschoß; der größte Teil der Demonstranten fuhr im zweiten und dritten Wagen mit. Während eines Zwischenhaltes im Bahnhof S. stiegen etwa 50 bis 60 dem linken politischen Spektrum zuzuordnende Personen in den ersten Wagen des Zuges. Sie beabsichtigten, in R. an einer für denselben Zeitpunkt organisierten Gegendemonstration teilzunehmen. In dieser Gruppe der Gegendemonstranten befanden sich auch die späteren Geschädigten, die Zeugen T., M., A. und B.. Während der Weiterfahrt entdeckten einige unbekannt gebliebene Gegendemonstranten die an ihrem Äußeren erkennbaren sieben Personen der rechten Szene. Nachdem sie die Zwischentür zum zweiten Wagen versperrt hatten, begannen die Gegendemonstranten ohne ersichtlichen Grund eine verbale und dann auch eine körperliche Auseinandersetzung. Um den zahlenmäßig deutlich überlegenen Gegendemonstranten auszuweichen, stiegen die Angegriffenen am nächstfolgenden Bahnhof P. sämtlich in den zweiten S-Bahn-Wagen um. Noch im Bahnhof verhinderte ein Unbekannter die Weiterfahrt des Zuges durch Betätigung der Notbremse. Zahlreiche Sympathisanten der rechten Szene, darunter die Angeklagten, verschafften sich daraufhin in Gruppen von bis zu 20 Personen Zugang zum ersten Wagen des S-Bahn-Zuges. Dort versetzten sie Gegendemonstranten und unbeteiligten Fahrgästen eine Vielzahl von Schlägen und Tritten, stießen Drohungen aus und forderten die in dem Wagen befindlichen Personen auf, den Zug zu verlassen. Der Angeklagte G., Fraktionsmitarbeiter der NDP im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und nach eigenen Angaben Leiter des Ordnungsdienstes der NPD am Tattag, schlug zunächst einer unbeteiligten Frau, deren Identität nicht näher festgestellt werden konnte, in den Bauch. Ferner trat er der Zeugin K. gegen das Bein, versetzte dem Zeugen T. einen Faustschlag gegen das linke Ohr und schlug den Zeugen B. nieder; sodann trat er auf diesen ein. Währenddessen erteilte er im Befehlston lautstark Anweisungen. Der Angeklagte F. schlug während des insgesamt mehrere Minuten dauernden Geschehens auf den Zeugen A. sowie auf weitere, namentlich nicht bekannte Personen ein. Die Personen, die auf Grund der Gewalttätigkeiten den Zug verließen, mussten ein Spalier von etwa 100 NPD-Sympathisanten passieren und erlitten dabei weitere Misshandlungen. Auch auf dem Bahnsteig kam es zwischen Anhängern der beiden politischen Gruppierungen zu Schlägereien; der Geschädigte T. wurde nach dem Faustschlag des Angeklagten G. von Unbekannten weiter misshandelt und vom Bahnsteigrand eine Böschung hinunter geworfen.
Rz. 4
Durch die Gewalttätigkeiten der Angeklagten erlitten die Geschädigten multiple Kontusionen, Schürfwunden und Schwellungen.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Rz. 5
Zu den Revisionen der Angeklagten:
Rz. 6
1. a) Soweit der Angeklagte F. vom Landgericht wegen Körperverletzung verurteilt worden ist, hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil ergeben. Der Schuldspruch wird insoweit von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen. Die Strafkammer hat insbesondere zu Recht eine Notwehrsituation verneint, da die Aggressionen der Gegendemonstranten im ersten Wagen des Zuges zum Tatzeitpunkt bereits beendet waren.
Rz. 7
b) Jedoch muss die tateinheitliche Verurteilung wegen Landfriedensbruchs im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB entfallen.
Rz. 8
Danach kann eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nur erfolgen, wenn die Tat nicht in einer anderen Vorschrift mit schwererer Strafe bedroht ist. So verhält es sich hier jedoch, da die Körperverletzung gemäß § 223 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Landfriedensbruch gemäß § 125 StGB aber nur mit einer solchen bis zu drei Jahren bedroht ist. Dies hat das Landgericht im Ansatz zwar nicht verkannt, die tateinheitliche Verurteilung jedoch ausnahmsweise „zur Klarstellung des spezifischen Tatunrechts für unbedingt erforderlich” gehalten. Ungeachtet der Frage der Zweckmäßigkeit einer solchen Subsidiaritätsklausel überschreitet deren vom Landgericht vorgenommene Auslegung den Wortsinn, der keine einschränkende Auslegung gestattet (BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – 1 StR 730/96, BGHSt 43, 237, 238).
Rz. 9
c) Zwar wird der auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruhende Strafausspruch von dieser Änderung des Schuldspruchs für sich genommen nicht berührt. Er kann gleichwohl keinen Bestand haben, da die Strafkammer, wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, mit den grundsätzlich gesamtstrafenfähigen Verurteilungen durch das Amtsgericht Sch. vom 8. Oktober 2007 und durch das Amtsgericht W. vom 29. November 2007 keine Gesamtstrafe gebildet und entgegen § 55 StGB mit nicht tragfähiger Begründung von der Einbeziehung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts W. vom 29. Januar 2008 abgesehen hat (zum zwingenden Charakter von § 55 StGB vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 34 m. Nachw. z. Rspr. des BGH).
Rz. 10
2. Die Revision des Angeklagten G. ist unbegründet; die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 11
a) Die Annahme eines – unbenannten – besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs im Sinne des § 125a StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Außerhalb der in § 125a StGB genannten Regelbeispiele kommt eine Verurteilung wegen eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs namentlich dann in Betracht, wenn der Täter – wie nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen der Angeklagte – Rädelsführer der Menschenmenge ist (Senatsbeschluss vom 7. Mai 1998 – 4 StR 88/98). Die für die Anwendung der Strafverschärfung gebotene Prüfung, ob der Ausnahmestrafrahmen unter Berücksichtigung des gesamten Tatbildes, der Täterpersönlichkeit und der besonderen Umstände des Falles geboten erscheint (Senat aaO), hat das Landgericht in den Urteilsgründen vorgenommen. Sie ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Rz. 12
b) Die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB steht der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB nicht entgegen.
Rz. 13
Zwar greift diese Klausel nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann ein, wenn ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a StGB vorliegt. Maßstab für den nach § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB vorzunehmenden Vergleich ist dann aber der Strafrahmen der als Strafzumessungsregel ausgestalteten Bestimmung des § 125 a Satz 1 StGB, die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht (BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – 1 StR 730/96, BGHSt 43, 237, 240; Urteil vom 31. Mai 1994 – 5 StR 154/94; Beschluss vom 11. März 1998 – 3 StR 591/97; Beschluss vom 14. Oktober 1999 – 4 StR 312/99, NStZ 2000, 194, 195; Urteil vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04, BGHR StGB § 125 Abs. 1 Menschenmenge 2; Beschluss vom 6. April 2009 – 5 StR 94/09; vgl. aber auch BGH, Beschluss vom 7. April 2005 – 2 StR 537/04 unter unklarer Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 2. September 1998 – 2 StR 369/98, BGHR StGB § 125a Konkurrenzen 1; zum Schrifttum SSW-StGB/Fahl, § 125a Rn. 7).
II.
Rz. 14
Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft:
Rz. 15
1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht die Angeklagten lediglich wegen Körperverletzung (§ 223 StGB), nicht aber wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) verurteilt hat. Nach den Feststellungen haben die Angeklagten die Tat mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen.
Rz. 16
Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der neben einem weiteren (Mit-)Täter auch den Teilnehmer ausdrücklich einschließt (BGH, Urteil vom 3. September 2002 – 5 StR 210/02, BGHSt 47, 384, 386), setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass mindestens zwei Beteiligte am Tatort bewusst zusammenwirken, wobei die eigenhändige Ausführung von Verletzungshandlungen durch jeden der Anwesenden nicht erforderlich ist (vgl. nur Senatsurteil vom 25. März 2010 – 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236 m.w.N.). Gemessen daran wird die rechtliche Bewertung des Verhaltens der Angeklagten als gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB von den dazu getroffenen Urteilsfeststellungen in jeder Hinsicht getragen, da diese die Körperverletzungshandlungen gemeinsam mit ihren gruppenweise in den S-Bahn-Wagen eingedrungenen Gesinnungsgenossen verübten. Der Senat hat die Schuldsprüche entsprechend geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagten gegenüber dem geänderten Schuldvorwurf ersichtlich nicht anders hätten verteidigen können. Soweit der Angeklagte G. betroffen ist, steht die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB einer tateinheitlichen Verurteilung wegen der übereinstimmenden Strafrahmen der § 125a Satz 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht entgegen.
Rz. 17
2. Im Hinblick auf die höhere Strafdrohung des § 224 Abs. 1 StGB ist jedoch nicht auszuschließen, dass die verhängten Strafen bei zutreffender rechtlicher Bewertung höher ausgefallen wären. Die Sache bedarf daher zu den Strafaussprüchen neuer Verhandlung und Entscheidung.
C.
Rz. 18
Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich gegen Erwachsene richtet, verweist der Senat die Sache daher an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (Senatsurteil vom 28. April 1988 – 4 StR 33/88, BGHSt 35, 267).
Unterschriften
Ernemann, Solin-Stojanović, Roggenbuck, Franke, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 2681255 |
NStZ 2011, 576 |