Leitsatz (amtlich)

a) Gegen einen die Anordnung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG ablehnenden Beschluss ist kein Rechtsmittel eröffnet.

b) Das gilt auch, wenn erst das Beschwerdegericht die in erster Instanz getroffene Anordnung aufhebt, selbst wenn es die Rechtsbeschwerde zugelassen hat.

 

Normenkette

GVG § 174 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 19.12.2019; Aktenzeichen 12 W 54/19)

LG Darmstadt (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 11 O 60/17)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des OLG Frankfurt mit Sitz in Darmstadt vom 19.12.2019 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

 

Gründe

Rz. 1

I. Der Kläger, der bei der Beklagten eine private Krankenversicherung unterhält, wendet sich mit seiner Klage gegen mehrere von der Beklagten vorgenommene Beitragserhöhungen.

Rz. 2

Mit ihrer Klageerwiderung reichte die Beklagte zur Begründung der Zulässigkeit der Beitragserhöhungen umfangreiche Unterlagen ein, die den zuständigen Treuhändern seinerzeit überlassen worden seien, und beantragte, diese Unterlagen der Gegenseite erst nach Abgabe einer Verschwiegenheitserklärung zu überlassen. Als Anlage zum Schriftsatz vom 24.4.2019 reichte die Beklagte ein weiteres Anlagenkonvolut (B 71) ein, das erneut die Unterlagen, die nach ihrem Vorbringen dem Treuhänder vorgelegen haben sollen, enthielt, sowie zusätzliche Unterlagen, die die individuelle Beitragserhöhung des Klägers sowie eine Tariferhöhung betreffen. Sie beantragte erneut, die Verpflichtung zur Verschwiegenheit für den Kläger, seinen Prozessbevollmächtigten und den Sachverständigen anzuordnen, hilfsweise auch für ihre eigenen Prozessbevollmächtigten. In einer weiteren Anlage (B 72) zu diesem Schriftsatz konkretisierte die Beklagte, welcher Teil der Unterlagen in dem Konvolut B 71 geheimhaltungsbedürftig sei und aus welchem Grund.

Rz. 3

In der mündlichen Verhandlung vor dem LG vom 30.10.2019 wurde zunächst gem. § 172 Nr. 2 GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil damit zu rechnen sei, dass Geschäftsgeheimnisse der Beklagten zur Sprache kämen. Sodann wurde dem Kläger und dem Klägervertreter die Geheimhaltung von Tatsachen zur Pflicht gemacht, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, soweit sie die in der Anlage B 71 überreichten und in der Anlage B 72 als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen betreffen.

Rz. 4

Die Parteivertreter haben anschließend übereinstimmend zu Protokoll erklärt: "Die Ausfertigung der Anlage B 71 für die Klägerseite wird heute dem Gericht übergeben und soll der Klägerseite vom Gericht übersandt werden, sobald der Beschluss über die Auferlegung der Geheimhaltung in Rechtskraft erwachsen ist. Sollte der Beschluss nicht in Rechtskraft erwachsen, verbleibt der Ordner beim Gericht."

Rz. 5

Auf die sofortigen Beschwerden des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten hat das OLG die vom LG angeordnete Geheimhaltungsverpflichtung aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der angefochtene Beschluss nicht von der Vorschrift des § 174 Abs. 3 GVG gedeckt sei. Zwar seien die als Anlage B 71 eingereichten Unterlagen, zumindest in der von der Beklagten vorgenommenen Konkretisierung, als Geschäftsgeheimnisse anzusehen. Das LG habe aber die Verpflichtung zur Geheimhaltung nicht auf den Kläger und dessen Prozessbevollmächtigte beschränken dürfen.

Rz. 6

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, hilfsweise den in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung "Anwesenden - dem Kläger, dem Klägervertreter sowie der Beklagtenvertreterin -" eine Geheimhaltungspflicht bezüglich der als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen der Anlage B 71 aufzuerlegen.

Rz. 7

II. Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft und damit unzulässig.

Rz. 8

1. Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts statthaft, falls das Beschwerdegericht sie in dem Beschluss zugelassen hat. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Eine Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn das Gesetz eine Anfechtung der Entscheidung ausschließt. Die Bindungswirkung des § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO tritt nur hinsichtlich des Vorliegens eines Zulassungsgrundes nach § 574 Abs. 2 ZPO ein, eröffnet aber nicht ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel (vgl. BGH, Beschl. v. 22.7.2015 - XII ZB 667/14 MDR 2015, 1197 Rz. 6; v. 8.7.2010 - VII ZB 36/08, NJW-RR 2010, 1318 Rz. 8; jeweils m.w.N.). Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden (BGH, Beschl. v. 22.7.2015, a.a.O., [juris Rz. 7]; v. 26.9.2012 - XII ZB 664/10, FamRZ 2013, 213 Rz. 7; v. 13.9.2011 - VI ZB 67/10 VersR 2011, 1588 Rz. 5; v. 8.10.2002 - VI ZB 27/02 VersR 2003, 1007 [juris Rz. 2 f.]; jeweils m.w.N.).

Rz. 9

2. So liegt der Fall hier. Gegen das Absehen von der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 GVG ist kein Rechtsmittel gegeben. Die allein in Betracht kommende sofortige Beschwerde ist nicht eröffnet.

Rz. 10

a) Die sofortige Beschwerde gegen das Absehen von der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung ist nicht nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, weil das Gesetz keine Vorschrift zur Anfechtbarkeit eines solchen Beschlusses vorsieht. Insbesondere bestimmt § 174 Abs. 3 Satz 3 GVG nur die Statthaftigkeit der (sofortigen) Beschwerde gegen einen die Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden Beschluss (vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz 9. Aufl., § 174 Rz. 30; Löwe-Rosenberg/Wickern, StPO 26. Aufl., § 174 GVG Rz. 35; a.A. Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl., § 174 GVG Rz. 6, unter Hinweis auf § 567 Abs. 1 ZPO ohne weitere Begründung; offengelassen von KG, Beschl. v. 12.12.2017 - 6 W 59/17, juris Rz. 3 i.V.m. Rz. 16), trifft jedoch keine Aussage zur Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Nichtanordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung. In § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG ist nach dessen eindeutigem Wortlaut nur ein anordnender Beschluss geregelt. Darauf beziehen sich die weiteren Regelungen in § 174 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GVG. Die in § 174 Abs. 3 Satz 3 GVG mit dem Wort "er" eröffnete Anfechtbarkeit bezieht sich somit auf den in § 174 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten Beschluss, der die in § 174 Abs. 3 Satz 1 genannte Anordnung der Geheimhaltung zum Gegenstand hat. Ein ablehnender Beschluss wird in der Vorschrift nicht erwähnt.

Rz. 11

b) Das Absehen von der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung ist auch nicht nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anfechtbar. Danach findet die sofortige Beschwerde gegen solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde erstinstanzliche Entscheidungen statt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Letzteres ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Rz. 12

aa) Die sofortige Beschwerde ist nach Ablehnung eines Gesuchs nur statthaft, wenn der Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Antrag der Partei voraussetzt. Hingegen ist dem Antragsteller die Beschwerde versagt, wenn die angefochtene Entscheidung ohne die Notwendigkeit eines Antrags von Amts wegen ergehen kann (BGH, Beschl. v. 29.11.2016 - VI ZB 23/16 VersR 2017, 908 Rz. 9; v. 6.11.2013 - I ZB 48/13 GRUR 2014, 705 Rz. 8; v. 13.11.2008 - IX ZB 231/07 NJW-RR 2009, 210 Rz. 12; jeweils m.w.N.), selbst wenn mit ihr zugleich ein "Gesuch" der Partei ablehnend beschieden wird (BGH, Beschl. v. 27.1.2004 - VI ZB 33/03 MDR 2004, 698 [juris Rz. 9]). Es kommt daher nicht darauf an, aus welchen Gründen das Gericht die begehrte Anordnung nicht erlässt (vgl. zu § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO: BGH, Beschl. v. 29.11.2016, a.a.O., Rz. 10). Die Parteien sollen nicht die gesamte Amtstätigkeit des Gerichts einer Beschwerde zugänglich machen können (BGH, Beschl. v. 27.1.2004, a.a.O.).

Rz. 13

bb) Danach ist die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den das Gericht - wie hier - von der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung absieht, schon deshalb nicht statthaft, weil die Entscheidung einen förmlichen Antrag nicht erfordert. Dem Antrag der Beklagten auf Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung kommt nur die Bedeutung einer Anregung zu, die keine verfahrensgestaltende Funktion hat. Gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen, wenn die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit oder aus den in §§ 171b und 172 Nr. 2 und 3 GVG bezeichneten Gründen ausgeschlossen ist. Diese Geheimhaltungsverpflichtung wird nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift von Amts wegen angeordnet und steht im Ermessen des Gerichts (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.6.2020 - 12 W 5/20, juris Rz. 23; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz 9. Aufl., § 174 Rz. 27; Löwe-Rosenberg/Wickern, StPO 26. Aufl., § 174 GVG Rz. 27; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 174 GVG Rz. 14; Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO, 4. Aufl., § 174 GVG Rz. 9). "Anträge" der Beteiligten auf Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung binden das Gericht nicht (Zimmermann in MünchKomm/ZPO, a.a.O.; Wieczorek/Schütze/Schreiber, a.a.O.).

Rz. 14

cc) Anderes folgt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht aus den Regelungen in §§ 16 Abs. 1, 20 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 5 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) vom 18.4.2019 (BGBl. I, 466). Von einem Gleichlauf der dort getroffenen Regelungen, die ausschließlich für Klagen nach diesem Gesetz gelten (§ 16 Abs. 1 GeschGehG), mit den Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz, wie sie die Beschwerde für erforderlich hält, hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen; die Gesetzesbegründung verweist gerade auf die Unterschiede zu § 174 Abs. 3 GVG (BT-Drucks. 19/4724, 35 zu § 16). Auch die Anfechtbarkeit ist in § 20 Abs. 5 GeschGehG im Vergleich zu § 174 Abs. 3 GVG abweichend, nämlich gerade gegenteilig geregelt. Im Gegensatz zu der ausdrücklichen Regelung in § 174 Abs. 3 Satz 3 GVG kann der eine Beschränkung nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GeschGehG anordnende Beschluss nach § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache angefochten werden, während gegen den eine Beschränkung ablehnenden Beschluss nach § 20 Abs. 5 Satz 5 GeschGehG die sofortige Beschwerde stattfindet (vgl. auch BT-Drucks. 19/4724, 38).

Rz. 15

d) Die sofortige Beschwerde gegen eine von einer Geheimhaltungsverpflichtung absehende Entscheidung ist auch nicht deshalb abweichend vom Wortlaut des § 174 Abs. 3 GVG zuzulassen, weil dies im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, das Gebot effektiven Rechtsschutzes oder den Grundsatz prozessualer Waffengleichheit erforderlich wäre.

Rz. 16

aa) Unbedenklich ist zunächst, dass das Gesetz nur die Anfechtung einer eine Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden Entscheidung zulässt. Die um Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung nachsuchende Partei wird durch deren Ablehnung im Vergleich zu ihrer Ausgangsposition nicht schlechter gestellt. Anders als für die anwesenden Personen, denen das Prozessgericht eine strafbewehrte Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG auferlegt, begründet das Absehen von der Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung für den Geheimnisträger keine bisher nicht bestehenden Verpflichtungen.

Rz. 17

bb) Der Ausschluss einer selbstständigen Anfechtung der von einer Geheimhaltungsverpflichtung absehenden Entscheidung hat grundsätzlich auch keine Verkürzung der Rechte des Geheimnisträgers - hier der Beklagten - zur Folge, weil eine effektive Überprüfung mit dem gegen die Endentscheidung eingelegten Rechtsmittel möglich bleibt. Das Absehen von einer Geheimhaltungsverpflichtung führt für ihn zu keinem bleibenden rechtlichen Nachteil, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr beheben ließe.

Rz. 18

Zwar könnte der Eingriff in die geschützten Interessen der Beklagten als solcher nicht mehr rückgängig gemacht werden, soweit dem Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten die von der Beklagten in der Anlage B 71 vorgelegten und in der Anlage B 72 als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen übergeben würden und ihnen dabei noch nicht bekannte Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der Beklagten zur Kenntnis kämen. Die Beklagte kann sich aber vor einer Offenbarung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dadurch schützen, dass sie bis zur Rechtskraft der die Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden Entscheidung keine Ausfertigung der Unterlagen zur Weiterleitung an die Klägerseite vorlegt, wobei der Inhalt dieser Unterlagen dann mangels der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Kläger bei der Endentscheidung nicht berücksichtigt werden dürfte (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.2020 - X ZR 33/19 NJW-RR 2020, 246 Rz. 20; OLG München NJW 2005, 1130 unter II 1b [juris Rz. 19]; s. zur möglichen Verhinderung einer Kenntnisnahme von Geschäftsgeheimnissen durch die Gegenpartei durch eigene Maßnahmen der Partei auch BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - I ZB 118/07 NJW-RR 2009, 995 Rz. 13 [dort: Verhinderung der Beweisaufnahme durch Ausübung des Hausrechts]).

Rz. 19

Dementsprechend hat die Beklagte eine Ausfertigung der Anlage B 71 zur Weiterleitung an die Klägerseite mit deren Einverständnis auch nur unter der ausdrücklichen Bedingung eingereicht, dass der Beschluss über die Auferlegung der Geheimhaltungsverpflichtung in Rechtskraft erwächst (vgl. auch BGH, Beschl. v. 14.1.2020 - X ZR 33/19 NJW-RR 2020, 246 Rz. 20; OLG München NJW 2005, 1130 [juris Rz. 19]). Zwar wird dadurch ein versehentliches Übersenden oder Überlassen der Unterlagen im Rahmen einer Akteneinsicht nicht ausgeschlossen, so dass dieser Umstand der einstweiligen Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses auf Antrag der Beklagten bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde nicht entgegenstand (vgl. Senat, Beschl. v. 11.3.2020 - IV ZB 8/20, juris Rz. 16). Dies rechtfertigt aber nicht eine im Gesetz nicht vorgesehene Anfechtbarkeit der von einer Geheimhaltungsverpflichtung absehenden Entscheidung. Insbesondere kann auch der von der Rechtsbeschwerde angeführte Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit nicht dazu führen, die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels auszuhebeln (vgl. BGH, Beschl. v. 20.2.2020 - I ZB 45/19, juris Rz. 26 [in MDR 2020, 878 insoweit nicht abgedruckt]).

Rz. 20

Sollte das Gericht, weil die Beklagte die Weiterleitung der Unterlagen an den Kläger verweigert hat, diese bei der Entscheidungsfindung mangels Gewährung rechtlichen Gehörs für den Kläger nicht verwerten können und deshalb zum Nachteil der Beklagten entscheiden, so kann diese durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Endentscheidung etwaige insoweit vorliegende Rechtsfehler zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht stellen. Dabei kann sie geltend machen, dass sie durch eine fehlerhafte Nichtanordnung der Geheimhaltung gehindert worden sei, entsprechend vorzutragen und damit ihrerseits im Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Dadurch sind ihre rechtlichen Interessen hinreichend gewahrt (vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - I ZB 118/07, MDR 2009, 645, 646 [juris Rz. 10 ff.]).

Rz. 21

Im Hinblick auf dieses mögliche Rechtsmittel gegen die gerichtliche Endentscheidung, das zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG führen kann (vgl. auch BVerfG, Plenarbeschluss vom 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 unter C II 4 [juris Rz. 49]), begegnet die Versagung eines gesonderten Rechtsmittels gegen die Nichtanordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Rz. 22

3. Ist danach das Absehen von einer Geheimhaltungsverpflichtung durch das Ausgangsgericht unanfechtbar, so ändert sich hieran nichts, wenn erst das Beschwerdegericht im Beschwerdeverfahren eine solche Entscheidung durch Aufhebung der erstinstanzlich angeordneten Geheimhaltungsverpflichtung trifft (vgl. BGH, Beschl. v. 8.7.2010 - VII ZB 36/08 NJW-RR 2010, 1318 Rz. 10; v. 8.10.2002 - VI ZB 27/02 VersR 2003, 1007 [juris Rz. 1 f.]; HK-ZPO/Koch, 8. Aufl., § 574 Rz. 11; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 17. Aufl., § 574 Rz. 3). Insoweit steht die Aufhebung der Geheimhaltungsverpflichtung durch das Beschwerdegericht dem Absehen von deren Anordnung durch das Erstgericht gleich, da beide Entscheidungen zur Folge haben, dass eine Geheimhaltungsverpflichtung nicht angeordnet wird.

Rz. 23

Soweit die Beschwerde meint, es fehle an einer ablehnenden Entscheidung des Beschwerdegerichts, würde es bereits an der Zurückweisung eines Gesuchs i.S.v. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO fehlen und die sofortige Beschwerde wäre bereits aus diesem Grund nicht eröffnet. Ohnehin ist die Beschwerde aber, wie dargelegt, nur gegen einen eine Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden und damit nicht gegen den die Anordnung aufhebenden angefochtenen Beschluss eröffnet.

Rz. 24

III. Vorsorglich weist der Senat für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:

Rz. 25

Auch wenn das Beschwerdegericht in dem angefochtenen Beschluss keine Zurückverweisung der Sache ausgesprochen hat, scheint es selbst ausweislich der Hinweise auf Seite 9 f. seines Beschlusses von einer erneuten Entscheidung des LG über die Anregung der Beklagten, eine Geheimhaltungsverpflichtung auszusprechen, auszugehen. Eine solche erneute Beschlussfassung in einer weiteren mündlichen Verhandlung wäre auch zulässig, sofern dort erneut geheim zu haltende Unterlagen erörtert werden sollen. Insoweit weist der Senat zu den hier mangels Statthaftigkeit der Beschwerde nicht entscheidungserheblichen materiellen Fragen der Beschlussfassung gem. § 174 Abs. 3 GVG auf seine weitere Entscheidung vom heutigen Tage im Verfahren IV ZB 4/20 (zur Veröffentlichung bestimmt) hin.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14197937

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