Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 26.01.2022; Aktenzeichen 6 U 72/20) |
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 05.03.2020; Aktenzeichen 2 O 86/19) |
Tenor
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 € nicht.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin aus abgetretenem Recht ihres geschiedenen Ehemanns L. G. (fortan: Zedent) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Zedent erwarb im Jahr 2014 von der Beklagten zu 1, einer Fahrzeughändlerin, einen Neuwagen Mercedes-Benz B 200 CDI Sports Tourer zum Preis von 32.450 €. Die Klägerin behauptet, der Motor des Fahrzeugs enthalte mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen. Weiter behauptet sie, der Zedent habe ihr das Fahrzeug im Jahr 2016 auf der Grundlage einer Scheidungsfolgenvereinbarung übereignet. Damit sei für die ehemaligen Eheleute einhergegangen, dass die Klägerin auch alle Rechte haben solle, die "an dem Fahrzeug hängen".
Rz. 3
Mit ihrer im Jahr 2019 erhobenen Klage hat die Klägerin in erster Instanz - soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse - die Feststellung beantragt, dass die Beklagte zu 2 verpflichtet ist, ihr Schadensersatz zu bezahlen für "Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren". Außerdem hat sie von der Beklagten zu 2 die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Hilfsweise für den Fall der Erfolglosigkeit des Feststellungsantrags hat sie zudem beantragt, die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an sie 32.450 € nebst Zinsen zu bezahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie "abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, welche jedoch mindestens auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km festgesetzt wird". In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat sie den Kilometerstand des Fahrzeugs mit 169.948 km angegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Rz. 4
Ihre zunächst unbeschränkt eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat die Klägerin zwischenzeitlich in Bezug auf die Beklagte zu 1 zurückgenommen. Mit der beabsichtigten Revision, deren Zulassung sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde danach noch begehrt, will die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz hinsichtlich der Beklagten zu 2 weiterverfolgen. Sie meint, sie sei insoweit durch das Berufungsurteil mindestens in Höhe von 32.450 € beschwert.
II.
Rz. 5
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt 20.000 € nicht.
Rz. 6
1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses Interesse ist nach den aus §§ 3 ff. ZPO sich ergebenden allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht ohne Bindung an eine - fehlerhafte - Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts selbst zu befinden. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, und zwar nach Maßgabe der dem Parteivorbringen zu diesem Zeitpunkt zugrundeliegenden tatsächlichen Angaben zum Wert (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - VIII ZR 255/20, NJW 2022, 194 Rn. 15; Beschluss vom 23. Mai 2022 - VIa ZR 205/21, juris Rn. 3; jeweils mwN). Der Beschwerdeführer hat darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass der Wert der Beschwer den Betrag von 20.000 € übersteigt (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 5; Beschluss vom 23. Mai 2022, aaO).
Rz. 7
2. Nach diesen Grundsätzen ist bei der Berechnung der Beschwer der Klägerin sowohl bezogen auf die in erster Linie begehrte Feststellung als auch hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Zahlungsforderung in Höhe des Kaufpreises von 32.450 € eine Nutzungsentschädigung im Umfang von 15.756,61 € in Abzug zu bringen, so dass für beide Anträge, deren Wert nicht zu addieren ist, eine Beschwer von nicht mehr als 16.693,39 € anzusetzen ist.
Rz. 8
a) Für die Bemessung maßgeblich ist der Zahlungshilfsantrag. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass der Wert des Feststellungshauptantrags höher ist. Vielmehr hat sie in der Beschwerdebegründung klargestellt, ausschließlich einen Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht des Zedenten geltend zu machen, und zur Begründung ihrer Beschwer allein auf den vom Zedenten an die Beklagte zu 1 entrichteten Kaufpreis in Höhe von 32.450 € abgestellt. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2 ist damit jedenfalls nicht höher zu bewerten als das von der Klägerin mit dem Zahlungshilfsantrag in Gestalt des großen Schadensersatzes verfolgte Begehren, zumal der Feststellungshauptantrag einem für die Feststellungsklage üblichen Abschlag von 20 % unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2022 - VIa ZR 205/21, juris Rn. 6 f.).
Rz. 9
b) Der Wert der Beschwer für den Zahlungshilfsantrag beträgt nicht mehr als 16.693,39 €. Unbeschadet des Umstands, dass eine Nutzungsentschädigung - auch im Rahmen der Wertberechnung - als Vorteil vom Ersatzanspruch nach §§ 826, 249 BGB abzuziehen ist, ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder der Geltendmachung eines Gegenrechts des Schuldners bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 7 mwN), hat die Klägerin der Beklagten zu 2 in der Vorinstanz eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 15.756,61 € zugebilligt. Daran muss sie sich bei der Bemessung ihrer Beschwer nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festhalten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - VIII ZR 255/20, NJW 2022, 194 Rn. 16 ff.; Beschluss vom 23. Mai 2022 - VIa ZR 205/21, juris Rn. 8).
Rz. 10
aa) Die Klägerin hat mit der Formulierung "abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, welche jedoch mindestens auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km festgesetzt wird" und der Angabe des aktuellen Kilometerstands in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht nur abstrakt erklärt, sich auf die geltend gemachte Hauptforderung eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Sie hat damit zugleich zum Ausdruck gebracht, dass ihr wirtschaftliches Interesse an dem Zahlungshilfsantrag nicht beeinträchtigt ist, soweit diese Nutzungsentschädigung nicht höher ist als der Betrag, der sich unter Zugrundelegung der linearen Berechnungsmethode (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 12) bei einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km und einem Kilometerstand von 169.948 km ergibt. Dies ist bei einem Kaufpreis - wie hier - in Höhe von 32.450 € ein Betrag in Höhe von 15.756,61 €.
Rz. 11
bb) Das Vorbringen der Klägerin in dritter Instanz, auf den Abzug einer Nutzungsentschädigung auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht festgestellten Kilometerstands komme es nicht an, weil die Klägerin einen Anspruch des Zedenten aus abgetretenem Recht geltend mache und demzufolge auf den Kilometerstand zum Zeitpunkt ihres Erwerbs abzustellen sei, ist für die Bemessung des Werts der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer schon deshalb ohne Belang, weil dafür das subjektive Rechtsschutzziel der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 8). Dieses Ziel der Klägerin lag darin, einen Betrag zu erhalten, der dem vom Zedenten entrichteten Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung entsprach, die wiederum nach der linearen Berechnungsmethode bei einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km und dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht mitgeteilten (Gesamt-)Kilometerstand seit Erwerb des Fahrzeugs durch den Zedenten errechnet werden sollte. Konsequent hat die Klägerin in den Vorinstanzen keine Angaben zum Kilometerstand im Zeitpunkt der behaupteten Übereignung des Fahrzeugs gemacht, weil es darauf nach dem von ihr in den Vorinstanzen zugebilligten (Gesamt-)Nutzungsvorteil nicht ankam.
III.
Rz. 12
Im Übrigen hätte die Nichtzulassungsbeschwerde auch in der Sache keinen Erfolg, weil die Klägerin schon keinen durchgreifenden Zulassungsgrund aufzeigt, soweit das Berufungsgericht - selbständig tragend - die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche mit der Begründung verneint hat, es fehle an einer Abtretung dieser Ansprüche des Zedenten an die Klägerin.
Menges |
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Möhring |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15472879 |