Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 2. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht Essen hatte den Angeklagten wegen „sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 15 Fällen, wovon in zwei Fällen der Tatbestand jeweils zweimal verwirklicht wurde”, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat jenes Urteil durch Urteil vom 12. März 1998 – 4 StR 633/97 – (NJW 1998, 3654) im Strafausspruch auf und verwies die Sache an das Landgericht Hagen zurück. Dieses hat nunmehr den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Auf die Verfahrensbeschwerde kommt es nicht an, weil bereits die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt. Zu Recht macht die Revision geltend, daß das Landgericht eine Strafmilderung nach §§ 46 a, 49 Abs. 1 StGB nicht erörtert hat, obwohl nach den Feststellungen hierzu Anlaß bestand:
Nach seinem bereits in der ersten Hauptverhandlung abgelegten umfassenden Geständnis hat sich der Angeklagte „nunmehr bei den Tatopfern entschuldigt”. Darüber hinaus nahm der Angeklagte im Sommer 1997 „Kontakt zu dem in der damaligen Hauptverhandlung zur Glaubwürdigkeit der Zeugen geladenen Diplom-Psychologen B. auf. Seit dem 04.02.1998 ist er dort in therapeutischer Behandlung. Erst hierdurch hat der Angeklagte gelernt, daß Kinder unter Taten wie den seinen leiden”. Schließlich stellt das Landgericht fest: „Im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten hat sich der Angeklagte mittlerweile um Wiedergutmachung des Schadens bemüht, Zahlungsverpflichtungen gegenüber den geschädigten Kindern anerkannt und auch Teilzahlungen geleistet. Zivilrechtlichen Streit gibt es lediglich mit Daniel R., der DM 15.000,– als Schmerzensgeld verlangt, während der Angeklagte DM 4.500,– anerkannt hat. Für die Zahlung der Beträge will der Angeklagte aus eigenen Mitteln aufkommen und nicht auf die Hilfe seiner Eltern zurückgreifen” (UA 8).
Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, daß das Landgericht auf die Vorschrift des § 46 a StGB nicht eingegangen ist. In Betracht zu ziehen war hier die Vorschrift des § 46 a Nr. 1 StGB, die – anders als die in erster Linie für materiellen Schadensersatz bei Vermögensdelikten vorgesehene Vorschrift des § 46 a Nr. 2 StGB – dem immateriellen Ausgleich zwischen Täter und Opfer dient (BGH NStZ 1995, 492). Die Vorschrift verlangt, daß der Täter im Bemühen, diesen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil” wiedergutgemacht hat, läßt es aber auch ausreichen, daß der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Daß es sich hier so verhält, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler kann der Strafausspruch auch beruhen. Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten ausdrücklich strafmildernd zugutegehalten, „daß bei den Opfern keine Spätfolgen der Taten festgestellt worden sind, der Angeklagte sich um Schadenswiedergutmachung durch Anerkennung und Zahlung von Schmerzensgeldansprüchen bemüht und sich bei den Opfern entschuldigt hat” (UA 15). Dies konnte die hier gebotene Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 46 a StGB aber nicht ersetzen (BGH StV 1999, 89; BGH, Beschluß vom 3. November 1999 – 2 StR 485/99).
Auch wenn der Senat grundlegende Bedenken gegenüber der gesetzlichen Ausgestaltung der Vorschrift des § 46 a StGB als sog. „vertyptem” Strafmilderungsgrund und gegen deren Anwendbarkeit und praktische Handhabbarkeit in Fällen der vorliegenden Art hegt (zur Kritik an der Vorschrift vgl. auch Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 46 a Rdn. 1 m.N.; Kaiser ZRP 1994, 314 ff.; Meier JuS 1996, 436, 441 f.) und namentlich die Gefahr sieht, daß die Vorschrift entgegen den gesetzgeberischen Intentionen doch zu einem Freikauf durch den Täter führt (vgl. BTDrucks. 12/6853 S. 22 li.Sp. Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 46 a Rdn. 4), nötigt die unterbliebene Beachtung des § 46 a StGB zur Aufhebung des Urteils. Der neue Tatrichter wird aber in wertender Betrachtung zu entscheiden haben, ob die von dem Angeklagten erbrachten Leistungen Ausdruck „umfassender Ausgleichsbemühungen” und der „Übernahme von Verantwortung für die Folgen seiner Straftaten” sind (BTDrucks. aaO S. 21). In diesem Zusammenhang würde der Anwendbarkeit des § 46 a StGB zwar nicht von vornherein entgegenstehen, daß der Angeklagte – wie mit der Revision vorgetragen – den finanziellen Ausgleich durch seinen Verteidiger und erst veranlaßt hat, nachdem er von den geschädigten Kindern auf Zahlung in Anspruch genommen worden ist (BGH NStZ 1995, 284; StV 1999, 89). Der Tatrichter ist aber bei der nach Ermessensgesichtspunkten („kann”) zu treffenden Entscheidung, ob er von der Strafmilderungsmöglichkeit Gebrauch macht, nicht gehindert, auch zu berücksichtigen, daß der Angeklagte seine Ausgleichsbemühungen spät – und zwar erst, nachdem der Schuldspruch durch die Entscheidung des Senats vom 12. März 1998 rechtskräftig geworden war – entfaltet hat.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 556842 |
StV 2000, 129 |