Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 18.07.2022; Aktenzeichen 58 KLs 2/21) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 18. Juli 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Körperverletzung in fünf Fällen sowie wegen Bedrohung und wegen Beleidigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die vom Landgericht zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung nicht; sie sind widersprüchlich.
Rz. 3
Das Landgericht hat einerseits festgestellt, dass der Angeklagte „zu den jeweiligen Tatzeitpunkten bei uneingeschränkter Einsichtsfähigkeit in seiner Steuerungsfähigkeit aufgrund seiner jeweiligen Alkoholisierung und der bei ihm vorliegenden alkoholbedingten hirnorganischen Folgestörung im Sinne einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung erheblich vermindert“ war (UA S. 12 f.). Hiervon ist die Strafkammer auch unter Anschluss an das in der Hauptverhandlung erstattete Sachverständigengutachten ausgegangen (UA S. 21 f.). Andererseits hat das Landgericht an anderer Stelle ausgeführt (UA S. 31), dass dem Angeklagten auf Grund seiner hirnorganischen Störung die Fähigkeit fehle, „das Unrecht seiner Taten einzusehen und sein Verhalten zu ändern.“
Rz. 4
Letzteres steht in unauflösbarem Widerspruch zu der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe jeweils im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt. Auf diesem Rechtsmangel beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Schuldspruch und die Strafaussprüche unterliegen der Aufhebung, da nach den bisherigen Urteilsfeststellungen auch eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten nicht ausgeschlossen werden kann.
Rz. 5
2. Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand. Voraussetzung hierfür ist jedenfalls auch das Vorliegen eines länger dauernden Zustands, der unter eines der vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu fassen ist. Dies ist hier nicht rechtsfehlerfrei dargelegt. Es fehlt an der erforderlichen eindeutigen Bewertung des Zustandes des Angeklagten, welcher Grundlage für diese schwerwiegende Anordnung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 2 StR 558/06 Rn. 10; vom 5. April 2022 - 6 StR 99/22 Rn. 8). Es ist zum einen unklar, ob die Voraussetzungen des § 20 StGB oder (nur) des § 21 StGB vorliegen und zum anderen, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten tangiert ist. Bei diesen widersprüchlichen Feststellungen kann der Senat nicht sicher ausschließen, dass ein neues Tatgericht eine nur erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung feststellt.
Rz. 6
3. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen kann der Senat nicht bestehen lassen (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie beruhen - auch eingedenk des begrenzten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 11. Juni 2013 - 5 StR 124/13, NStZ-RR 2013, 277 mwN) - hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin M. (Fälle II.3 bis 7 und II.11) auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
Rz. 7
a) Den gesetzlichen (§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO) Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1954 - 5 StR 392/54; Beschlüsse vom 25. Oktober 2011- 5 StR 357/11, NStZ-RR 2012, 18; vom 11. März 2020 - 2 StR 380/19, NStZ-RR 2020, 258). Dabei ist die Einlassung des Angeklagten zumindest in wesentlichen Grundzügen in einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung nachvollziehbar wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. April 2021 - 5 StR 102/20, Rn. 27; vom 7. September 2022 - 6 StR 225/22). Erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht überprüfen, ob das Tatgericht die Bedeutung der Angaben des Angeklagten zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2021 - 5 StR 102/20Rn. 27; Beschlüsse vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300; vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45; eingehend Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., Rn. 353 mwN).
Rz. 8
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Rz. 9
aa) Zu Beginn seiner Beweiswürdigung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte „hinsichtlich eines Teils der festgestellten Taten ein Teilgeständnis abgelegt“ und insbesondere eingeräumt habe, dass es „möglich sei, dass er die Zeugin M. geschlagen habe“ (UA S. 13). Anschließend hat die Strafkammer ausgeführt, wie sich der Angeklagte zu weiteren Tatvorwürfen verhalten hat und mitgeteilt, der Angeklagte habe sich auch dahin eingelassen, die „übrigen Taten“ nicht begangen zu haben. Wiederum an anderer Stelle hat sie konstatiert (UA S. 16), dass die Feststellungen zu zum Nachteil der Zeugin M. begangenen Taten „in erster Linie“ auf den Aussagen verschiedener Polizeibeamter beruhten, die „das Nachtatgeschehen namentlich zu den Einsatzmeldungen, den sichtbaren Verletzungen bei der Zeugin“ sowie den Zustand der Beteiligten und die „objektiven Tatumstände so geschildert“ hätten, „wie es von der Kammer festgestellt worden“ sei.
Rz. 10
bb) Vor diesem Hintergrund vermag der Senat schon nicht nachzuvollziehen, wie sich der Angeklagte zu den sechs Tatvorwürfen konkret verhalten hat und in welchem Umfang das Landgericht von einem Teilgeständnis ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2020 - 2 StR 380/19, NStZ-RR 2020, 258; vom 26. November 1987 - 1 StR 569/87). Es bleibt unklar, ob das Landgericht seiner Überzeugungsbildung die Angabe des Angeklagten, die Tatbegehung sei „möglich“, in der rechtsirrigen Annahme eines - gar umfassenden - Geständnisses zugrunde gelegt hat. In dieser Äußerung wäre nicht einmal eine formale Unterwerfung (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 - 2 StR 156/98, NJW 1999, 370, 371; ferner BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168, 209) zu erblicken. Gegen ein solches Verständnis der Urteilsgründe könnte freilich sprechen, dass das Landgericht die Feststellungen zu den Taten zum Nachteil der - das Zeugnis verweigernden (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO) - M. „in erster Linie“ auf die Wahrnehmungen von Polizeibeamten gestützt hat, die jeweils zum Tatort gerufen worden waren. Wie diese allerdings als jeweils nach der Tat verständigte Zeugen Angaben zu den „objektiven Tatumständen“ machen konnten, wird nicht ausgeführt. Denkbar ist zwar, dass es Spontanangaben der Zeugin gegenüber den Polizeikräften gab (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 252 Rn. 8 mwN), die sich schlüssig zu dem jeweils durch die Polizeibeamten festgestellten Verletzungsbild fügten; auch solches ist indes nicht dargetan.
Rz. 11
cc) Der Senat kann deshalb auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen hinsichtlich der übrigen Taten ebenfalls nicht bestehen lassen.
Rz. 12
4. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:
Rz. 13
a) Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht ohne nähere Erläuterung bei zahlreichen Taten festgestellt hat, dass der Angeklagte eine jeweils mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration aufgewiesen habe. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung die in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2019 - 2 StR 187/19, Rn. 12). Die Strafkammer hat also entweder nicht das konkrete Messergebnis (zur Frage einer direkten Konvertierbarkeit von AAK- in BAK-Werte vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2001 - 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358, 362 ff.) oder aber irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit damit nicht ausschließbar einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt.
Rz. 14
b) Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird, naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, noch näher als geschehen in den Blick zu nehmen haben, dass - soweit ersichtlich - nicht bei allen Taten Atemalkoholmessungen erfolgten, ein für die Schuldfähigkeit bedeutsames Leistungsverhalten jeweils konkret mitzuteilen und auch mit Blick auf eine festgestellte hohe Alkoholgewöhnung des Angeklagten zu würdigen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Juli 2015 - 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525, 3526; vom 11. Mai 2021 - 2 StR 448/20, NStZ-RR 2021, 241, 242).
Rz. 15
c) Hinsichtlich Fall II.9 der Urteilsgründe wird im neuen Rechtsgang zu berücksichtigen sein, dass für eine Verurteilung wegen § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB Dauer und Stärke der Einwirkung bedeutsam und in den Urteilsgründen grundsätzlich mit Feststellungen zu belegen sind (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, NJW 2002, 3264, 3265; Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 4 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 44).
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Fundstellen
Dokument-Index HI15568046 |