Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 27. September 1999 im Strafausspruch mit den Feststellungen zur eingeschränkten Schuldfähigkeit aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat aufgrund der Verfahrensrüge teilweise Erfolg.
I.
1. Die Strafkammer hat angenommen, beim Angeklagten habe zur Tatzeit um 2.40 Uhr eine maximale Blutalkoholkonzentration von ca. 1,7 [permil] vorgelegen. Diesen Wert hat sie auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung verlesenen Blutalkoholgutachtens über die in der Tatnacht um 4.02 Uhr entnommenen ersten Blutprobe errechnet. Eine zweite, um 4.32 Uhr entnommene Blutprobe des Angeklagten wurde auf Betäubungsmittelrückstände untersucht. Dazu hat die Kammer einen als „Vortest” bezeichneten immunologischen Untersuchungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin der Universität Heidelberg vom 24. Februar 1999 verlesen. Der Vortest war in bezug auf Drogen negativ. Er enthielt jedoch den Hinweis, Ergebnisse immunologischer Tests seien nicht beweisend, weil falschpositive oder falschnegative Befunde nicht ausschließbar seien. Der Vortest müsse durch beweissichere Untersuchungsverfahren – insbesondere Gaschromatographie und Massenspektroskopie – zur differenzierenden Untersuchung oder Konzentrationsbestimmung von Einzelsubstanzen bestätigt werden. Die Anklageschrift vom 11. Mai 1999 enthält im Ergebnis der Ermittlungen den Hinweis an das Landgericht, es seien keine Rückstände von Betäubungsmitteln festgestellt worden.
Die nicht sachverständig beratene Strafkammer hat auf der Grundlage der ärztlichen Untersuchung im Blutentnahmeprotokoll gleichwohl angenommen, der Angeklagte habe deutlich unter Alkohol- und Drogeneinfluß gestanden.
2. Die Revision trägt zutreffend vor, die Staatsanwaltschaft habe am 11. Mai 1999 ein ausführliches Gutachten beim Institut für Rechtsmedizin in Auftrag gegeben. Dieses am 19. Juli 1999 erstellte Gutachten sei jedoch erst nach der Urteilsverkündung an das Landgericht weitergeleitet worden. Nach diesem Gutachten, das mit der Revisionsbegründung vorgelegt worden ist, enthielt das Serum des Angeklagten Kokain in einer Konzentration von 0,145 mg/L bzw. 0,042 mg/L. Dazu heißt es, Kokain sei in Serumproben nicht stabil. Es sei davon auszugehen, die Kokainkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme sei höher gewesen. Der Nachweis von Kokain im Serum sei ein Beleg für eine erhebliche akute Beeinflussung durch Kokain zum Zeitpunkt der Blutentnahme; Alkohol könne die Wirkung des Kokains verstärken. Der Angeklagte habe „zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter dem akuten, kombinierten Einfluß von Kokain und Alkohol” gestanden.
II.
1. Die Überprüfung des Urteils hat aufgrund der Revisionsrechtfertigung im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Die vollständige Aufhebung seiner Schuldfähigkeit im Sinne von § 20 StGB ist nach den Urteilsfeststellungen auszuschließen.
2. Der Strafausspruch kann jedoch keinen Bestand haben. Die Revision beanstandet zu Recht als verfahrensfehlerhaft (§ 244 Abs. 2 StPO), das Landgericht habe die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB auf einer unvollständigen Beweisgrundlage ausgeschlossen.
a) Soweit allerdings die Strafkammer eine bereits länger andauernde Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten aufgrund eigener Sachkunde ausgeschlossen hat, ist diese tatrichterliche Würdigung rechtlich nicht zu beanstanden. Seiner als Zeugin gehörten Freundin ist längerer Drogenmißbrauch nicht aufgefallen. Der Angeklagte – er hat zu seiner Person und zum Tatgeschehen keine Angaben gemacht – hat in der Hauptverhandlung einen psychisch und körperlich gesunden Eindruck vermittelt.
b) Zur Beurteilung der verminderten Schuldfähigkeit durch einen akuten Rausch hätte sich die Strafkammer aufgrund der sich aus dem ärztlichen Untersuchungsbericht des Blutentnahmeprotokolls ergebenden Hinweise gedrängt sehen müssen, die Einflüsse der Kombination aus Alkohol- und Kokainintoxikation auf das Leistungsverhalten des Angeklagten durch die Einholung eines rechtsmedizinischen, notfalls eines fachpsychiatrischen Gutachtens aufzuklären. Ohne nähere Erkenntnisse über die Konzentration der Einzelsubstanzen reicht die Begründung, mit der die Strafkammer sowohl eine erhebliche krankhafte seelische Störung als auch eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung im Sinne von § 21 StGB ausgeschlossen hat, nicht aus.
Für die Beurteilung des Leistungsverhaltens standen der Strafkammer nur wenige psychopathologische Befundtatsachen zur Verfügung (vgl. zu deren Bedeutung für die alkoholische Intoxikation BGHSt 43, 66, 68 f.). Sie hat sich für deren Bewertung auf Aussagen des Geschädigten und weiterer Zeugen zum Handlungsablauf und zu etwaigen Ausfallerscheinungen gestützt. Danach sei der Angeklagte in der Tatanlaufzeit affektiv stark erregt gewesen, habe aber die Situation beherrscht und zielgerichtet gesteuert. Das Folgeverhalten sei rational gesteuert gewesen, denn er habe das Messer von keinem wahrnehmbar eingesteckt und auf raffinierte Art verschwinden lassen. Dazu habe er das Umfeld mit einer Erschöpfung signalisierenden Haltung getäuscht. Keiner der Zeugen habe relevante Ausfallerscheinungen festgestellt, auch wenn der Angeklagte vielfach als angetrunken bezeichnet worden sei.
Diese Zeugenaussagen zum äußeren Geschehen tragen ohne den vollständigen objektiven Befund über das Ausmaß der Intoxikation den auf eigener Sachkunde beruhenden Schluß der Strafkammer nicht, das Erscheinungsbild des Angeklagten passe nicht zu einem akuten Rausch im Sinne einer krankhaft seelischen Störung, sondern spreche eher für eine leichte alkoholische Stimulierung. Auch die Wertung, die Verhaltensweisen des Angeklagten sprächen – trotz der festgestellten starken Erregung – für einen rational gesteuerten Affekt – einen sogenannten Zorneffekt mit leichter Bewußtseinseinengung – und gegen eine krankhafte Störung des Seelenlebens, ist nicht ausreichend belegt.
Die Strafkammer hätte konkret feststellen müssen, in welchem Umfang der Kokaingenuß die Alkoholverträglichkeit des Angeklagten beeinflußt hat. Sie hätte dann in einer Gesamtbetrachtung dessen Leistungsverhalten unter besonderer Berücksichtigung der Kombinationswirkung beider Faktoren würdigen müssen. Eine solche Gesamtbetrachtung war geboten, weil der Kokaingenuß das Hemmungsvermögen zusätzlich mindern kann (BGH, Beschl. v. 14. Juni 1991 – 2 StR 179/91; vgl. BGH StV 1992, 569 für die Kombination Heroin und Alkohol; vgl. zu allem Körner, BtMG 4. Aufl. § 29 Rdn. 824).
Unterschriften
Maul, Granderath, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 556585 |
StV 2000, 612 |
BA 2001, 48 |