Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (amtlich)
Ergibt sich der Grund zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, läuft im Allgemeinen die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab, wenn sich die Partei zur Begründung des Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen muss.
Normenkette
ZPO § 406 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 19.10.2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht von den Beklagten die Zahlung des hälftigen Betrages der Schadensersatzleistungen, die sie als Berufshaftpflichtversicherer des Dr. E. an die Witwe des Patienten F. erbracht hat. F., dessen Hausarzt Dr. E. war, ließ sich im Januar 1995 wegen einer erektilen Dysfunktion in der andrologischen Sprechstunde der Urologischen Abteilung der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2 beraten. Im Dezember 1995 wurde bei F. ein Darmkarzinom in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert, an dem er inzwischen verstorben ist.
Die Klägerin behauptet, unter den gegebenen Umständen hätte der Beklagte zu 2 differenzialdiagnostische Erwägungen anstellen und weitere Befunde erheben müssen. Mit hinreichender Sicherheit wäre im Januar 1995 bereits das Rektumkarzinom erkannt worden. Das Verkennen dieses Befundes oder das Unterlassen einer Reaktion hierauf wäre auf jeden Fall als grober Behandlungsfehler zu werten. Die Beklagten wenden ein, dass in dem fraglichen Zeitraum das Dickdarmkarzinom noch nicht vorgelegen habe.
Durch Beweisbeschluss v. 5.12.2003 hat das LG Prof. Dr. S. mit der Erstattung eines schriftlichen medizinischen Gutachtens beauftragt. Durch Verfügung v. 1.3.2004 hat das Gericht das Gutachten den Parteien zugeleitet und Frist zur Stellungnahme bis 30.3.2004 gesetzt. Die Frist ist auf Antrag der Klägerin bis 15.4.2004 verlängert worden. Mit am 15.4.2004 beim LG eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Einwände gegen das Gutachten vorgebracht und unter Bezugnahme darauf den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das LG hat den Befangenheitsantrag mit Beschluss v. 17.5.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen hat die Klägerin sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG hat mit Beschluss v. 19.10.2004 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Ablehnungsantrag verspätet und deshalb unzulässig sei, weil die Geltendmachung des Befangenheitsgrundes keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfordert habe. Das OLG hat im Hinblick auf den uneinheitlichen Meinungsstand in der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frist nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Klägerin verfolgt mit dem von ihr eingelegten Rechtsmittel die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit weiter.
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO; sie ist auch im Übrigen zulässig, § 575 ZPO.
Die Beschwerde hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Der Antrag auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ist allerdings entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht bereits als unzulässig - weil verspätet - zurückzuweisen.
a) Nach § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag grundsätzlich spätestens binnen zwei Wochen nach der Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen anzubringen. Ergeben sich die Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, aus dessen Gutachten, ist die Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO maßgebend. Die Ablehnungsgründe sind in diesem Falle nicht binnen einer kalendermäßigen Frist, sondern grundsätzlich unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 BGB) nach Kenntnis des Gutachtens geltend zu machen. Das bedeutet, dass der Ablehnungsantrag zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, d.h. innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist anzubringen ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 121 Rz. 3). Zugleich hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. In einem einfach gelagerten Fall können bereits wenige Tage ausreichend sein, um die das Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen und vorzutragen. Hingegen kann sich die Frist je nach Sachlage verlängern, wenn der Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung des Gutachtens zu erkennen ist. Von diesen Grundsätzen geht auch das Beschwerdegericht aus.
b) Von den OLG werden zur Länge der Frist nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO unterschiedliche Auffassungen vertreten.
aa) Einige OLG (OLG Koblenz v. 13.7.1998 - 4 W 407/98, OLGReport Koblenz 1998, 470; OLG Köln, Beschl. v. 7.8.1994 - 11 W 25/94, OLGReport Köln 1995, 147; OLG Naumburg - 10 W 23/01, juris-Abfrage; OLG München v. 2.9.2003 - 13 W 2082/03, MDR 2004, 228 = OLGReport München 2004, 117; v. 14.3.2002 - 1 W 831/02, OLGReport München 2003, 58) sind in Übereinstimmung mit Stimmen im Schrifttum (Musielak/Huber, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rz. 14; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 406 Rz. 7) der Meinung, die Zwei-Wochen-Frist nach § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO gelte grundsätzlich auch für § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO. Sie bilde im Interesse des Prozessgegners die Obergrenze und gelte auch dann, wenn eine längere Frist zur Stellungnahme zu einem Gutachten nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzt worden sei. Durch Letztere solle die sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens ermöglicht werden. Eine solche sei für die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht erforderlich.
bb) Teilweise wird in der Rechtsprechung die Auffassung des Beschwerdegerichts vertreten, eine allgemeine Fristbindung sei zwar nicht sachgerecht. Es sei vielmehr ausschließlich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen und jeweils zu prüfen, welche Zeit im konkreten Fall erforderlich sei, um den Ablehnungsgrund erkennen und unverzüglich geltend machen zu können. Doch entspreche die Frist auch nicht der vom Gericht gem. § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme zum Inhalt des Gutachtens, da die Geltendmachung des Ablehnungsgrundes eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens gerade nicht erfordere (BayObLG v. 16.6.1994 - 1Z BR 73/94, BayObLGZ 1994, 183 = BayObLGReport 1994, 56 = MDR 1995, 412; KG v. 10.7.2000 - 8 W 4866/00, KGReport Berlin 2001, 183; OLG Nürnberg v. 11.5.1999 - 5 W 1347/99, VersR 2001, 391; OLG Frankfurt v. 29.5.1995 - 1 W 16/95, OLGReport Frankfurt 1995, 139; OLG München v. 19.9.1994 - 13 W 2224/94,OLGReport München 1994, 237; v. 5.11.1999 - 1 W 2570/99, OLGReport München 2000, 211; OLG Jena v. 22.11.1999 - 4 W 694/99, OLGReport Jena 2000, 113 [115 f.]; OLG Brandenburg v. 9.3.2000 - 12 W 8/00, OLGReport Brandenburg 2000, 275; OLG-NL 2003, 92; Stein-Jonas/Leipold ZPO, 21. Aufl., § 406 Rz. 19; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 406 Rz. 11).
cc) Das OLG Düsseldorf vertritt die Auffassung (OLG Düsseldorf v. 24.8.2000 - 12 W 39/00, OLGReport Düsseldorf 2001, 469; Damrau in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 406 Rz. 7]), dass ein Befangenheitsantrag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist eingereicht wird, zumindest dann nicht nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO verspätet sei, wenn sich die Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten ergebe. Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müssten sich innerhalb der nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist abschließend mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen und mitteilen, ob und ggf. in welchen Punkten Ergänzungsbedarf gesehen werde. Komme hierbei eine Partei auf Grund der inhaltlichen Prüfung des Gutachtens nicht nur zu dem Ergebnis, dass dieses unrichtig oder ergänzungsbedürftig sei, sondern dass bestimmte Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf Voreingenommenheit ihr gegenüber zurück zu führen seien, sei auch diese Besorgnis Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten. Die Länge der Frist, binnen derer die Partei das Ergebnis ihrer Prüfung des Gutachtens in Antragsform anzubringen habe, könne in einem solchen Fall nicht davon abhängig sein, ob lediglich ein Ergänzungsantrag oder auch ein Befangenheitsantrag oder - wie im vorliegenden Fall - eine Kombination aus beiden Anträgen eingereicht werde. Der Antragsteller könne nicht gezwungen sein, binnen kürzerer Frist eine Vorprüfung des Gutachtens vorzunehmen, nur um feststellen zu können, ob das Gutachten Mängel enthalte, die aus seiner Sicht nicht nur einen Ergänzungsantrag nötig machten, sondern sogar die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten. Das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 24.8.2000 - 12 W 39/00, OLGReport Düsseldorf 2001, 469) weist darauf hin, dass die Anwendung einer ggü. der Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 ZPO verkürzten Frist zur Einreichung des Befangenheitsantrags auch nicht geboten sei, um zu verhindern, dass Ablehnungsanträge aus prozesstaktischen Gründen zurückgehalten würden. Zum einen ergebe sich die Möglichkeit des Antragstellers, binnen längerer Frist zulässigerweise einen Ablehnungsantrag stellen zu können, ohnehin nur in den Fällen, in denen die Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 ZPO länger sei als die angemessene Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO. Zum anderen könne das Gericht prozessleitende Maßnahmen erst dann treffen, wenn die Stellungnahmefrist des § 411 Abs. 4 ZPO abgelaufen sei. Deshalb verfange nicht der Einwand, die Prozessförderungspflicht der Parteien gebiete eine schnellere Geltendmachung des entsprechenden Ablehnungsgrundes.
dd) Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, Urt. v. 13.1.1987 - X ZR 29/86, MDR 1987, 581 = NJW-RR 1987, 893). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können. Ergibt sich der Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, muss der Partei eine angemessene Zeit zur Überlegung und zur Einholung von rechtlichem Rat zur Verfügung stehen. Auch wenn durch die zeitliche Begrenzung des Ablehnungsrechts gem. § 406 Abs. 2 ZPO bezweckt werden soll, der Verzögerung von Prozessen durch verspätete Ablehnungsanträge entgegenzuwirken (Jeßnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 10. Aufl., Rz. 223), ist andererseits zu bedenken, dass der Anspruch einer Prozesspartei auf einen aus ihrer Sicht unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf. Darauf weist die Rechtsbeschwerde mit Recht hin. Vor diesem Hintergrund darf die Frage nach der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsantrags nicht ausschließlich von der Beurteilung der Umstände des Einzelfalles durch das Prozessgericht abhängig gemacht werden. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss die Partei wissen, welcher Zeitraum ihr zur Prüfung des Gutachtens in jedweder Hinsicht zur Verfügung steht. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab.
ee) Nach den dargestellten Grundsätzen hat die Klägerin den Befangenheitsantrag gegen den gerichtlichen Sachverständigen am letzten Tag der verlängerten Frist zur Stellungnahme, dem 15.4.2004, noch rechtzeitig gestellt. Die Klägerin hat den Antrag damit begründet, dass der Sachverständige eine einseitige Beweiswürdigung zu Gunsten des Beklagten zu 2 vorgenommen habe. Diesen Vorwurf hat die Klägerin anhand des Gutachtens im Einzelnen belegt. Dafür musste sie sich offensichtlich mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen.
2. Der Antrag ist aber unbegründet. Er wird ausschließlich auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen haben. Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (BGH, Urt. v. 5.11.2002 - X ZR 178/01, BGHReport 2004, 990 = FF 2003, Sonderheft 1, 101). Die Klägerin rügt, der Sachverständige habe das Gutachten erstellt, ohne dass ihm originale Krankenunterlagen oder ärztliche Dokumentationen vorgelegen hätten; er habe die Tatsachen unzureichend erfasst und sei deshalb von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Damit erhebt sie den Vorwurf einer fehlerhaften Gutachtenserstattung auf Grund mangelnder Sorgfalt. Dieser Vorwurf begründet aber regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft. Der mangelnden Sorgfalt eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt. Das Prozessrecht gibt in den §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichende Mittel an die Hand, solche Mängel zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1343813 |
NJW 2005, 1869 |
BGHR 2005, 1004 |
BauR 2005, 1070 |
BauR 2005, 1205 |
IBR 2005, 350 |
ZAP 2005, 761 |
AnwBl 2005, 50 |
ArztR 2006, 102 |
MDR 2005, 1007 |
BauSV 2005, 60 |
GesR 2005, 327 |
Info M 2005, 215 |
NJW-Spezial 2005, 406 |
r+s 2005, 531 |
BauRB 2005, 295 |
DS 2005, 232 |
Mitt. 2005, 327 |
ProzRB 2005, 200 |