Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 19.12.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 19. Dezember 2002 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im wesentlichen Erfolg. Die Verfahrensrügen dringen hingegen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Ehefrau aus niedrigen Beweggründen töten wollen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Zur Tatmotivation hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe aus „Verärgerung, Wut und Rache über ihr Verhalten” gehandelt. Dieses Verhalten habe „im Kern” darin bestanden, daß sie sich von ihm habe trennen wollen. Der Angeklagte habe „die Entscheidung seiner Frau (zur Trennung) nicht akzeptieren” wollen und „ihr Leben seiner Wut und seinem Haß” untergeordnet (UA S. 42).
a) Die vorgenommene Würdigung begegnet schon deswegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie wesentliche Gesichtspunkte der Tat und der inneren Verfassung des Angeklagten außer acht gelassen hat. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind und – in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Haß und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 16; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 18 m. w. N.). Insoweit wäre vorliegend zu bedenken gewesen, daß nicht jede Tötung, die geschieht oder versucht wird, weil sich der Ehepartner vom Täter abwenden will oder abgewandt hat, zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen beruht. Vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit sein, die eine Bewertung als „niedrig” im Sinne der Mordqualifikation namentlich dann als fraglich erscheinen lassen können, wenn – wie hier – die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will (vgl. BGHR StGB § 211 Niedrige Beweggründe 32).
Dies hat das Landgericht trotz entsprechender Feststellungen, die solch eine Gefühlslage des Angeklagten nahelegen, nicht ersichtlich bedacht. Das Verhalten des Angeklagten sowohl vor, als auch nach der Tat hätte insoweit konkreten Anlaß gegeben, sich damit auseinanderzusetzen, ob er aus Verzweiflung und einem Gefühl der Ausweglosigkeit heraus gehandelt hat (vgl. BGH NStZ 1983, 19; StV 1984, 72; 1984, 465). Hierfür könnten nicht nur die dem Kerngeschehen vorausgegangene Erregung des Angeklagten und seine Unruhe sowie seine sowohl demonstrativen wie auch aggressiven Handlungen gegenüber seiner Ehefrau sprechen. Auch die der Tat nachgehenden Suizidversuche, von denen zumindest der Sprung aus dem Schlafzimmerfenster der im dritten Stock gelegenen ehelichen Wohnung unzweifelhaft ernsthaft war und nur aufgrund zufälliger Umstände nicht zum Tode des Angeklagten führte, könnten auf eine entsprechende innere Verfassung schon bei der Tat hindeuten. Die Weigerung, sich trotz erheblicher Stichverletzungen behandeln zu lassen und der geäußerte – durch das Herausreißen der Kanüle unterstrichene – Wunsch, sterben zu wollen, wären im Blick auf die Bedeutung der Gemütslage des Angeklagten bei der Tat für die Bewertung seiner Handlungsantriebe ebenfalls zu bedenken gewesen.
b) Die unzureichende Gesamtwürdigung stellt aus denselben Gründen auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlich in Frage. Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen, wie es die festgestellten Motive Verärgerung, Wut und Rache sind, eine Rolle, so muß sich der Tatrichter in aller Regel damit auseinandersetzen, ob der Angeklagte in der Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; u. a. BGHSt 28, 210, 212). Ausdrücklicher Prüfung bedarf diese Frage insbesondere bei Taten, die sich ohne Plan und Vorbereitung plötzlich aus der Situation heraus entwickeln (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 10). Insoweit wäre die Schwurgerichtskammer bei der Beurteilung der entsprechenden Fähigkeiten des Angeklagten möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt, wenn sie die naheliegenden Gefühle der Verzweiflung und der Ausweglosigkeit in ihre Abwägung einbezogen hätte. Die Urteilsgründe lassen in diesem Zusammenhang zudem die Auseinandersetzung mit der wegen seiner „Alkoholisierung im Zusammenwirken mit einer starken Emotionalisierung” nicht auszuschließenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vermissen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 34).
2. Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Jedoch erstreckt sich die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes notwendig auch auf den Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener schwerer Körperverletzung.
3. Die Nachprüfung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die von den dargestellten Rechtsfehlern nicht beeinflußt sind, hat im übrigen Rechtsfehler nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Sie können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen des neuen Tatrichters sind dadurch nicht ausgeschlossen.
Unterschriften
Tolksdorf, Winkler, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2558861 |
NJW 2004, 1057 |
NStZ 2004, 34 |
StV 2003, 670 |
LL 2004, 178 |