Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Betrug
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 6. Februar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten des versuchten gemeinschaftlichen Betruges schuldig gesprochen. Die Angeklagte Rosemarie W. hat es deswegen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, den Angeklagten Reinhold W. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die geltend gemachte Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO führt zur Aufhebung des Urteils. Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht einen Verstoß gegen § 247 StPO bei der Vernehmung des Zeugen Merlin W..
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Am achten Hauptverhandlungstag wurde der Zeuge Merlin W. vernommen. Nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht als Sohn der Angeklagten erklärte der Zeuge, daß er aussagen wolle, wie er es bereits in einem Schreiben vom 20. November 2000 an den Verteidiger seiner Mutter, der Beschwerdeführerin Rosemarie W., angekündigt hatte. Die unmittelbar anschließenden Vorgänge stellen sich nach dem Hauptverhandlungsprotokoll wie folgt dar:
„Die Angeklagten erklären mit Zustimmung ihrer Verteidiger, daß sie während der Vernehmung ihres Sohnes Merlin den Sitzungssaal verlassen wollen, um ihm eine unbefangene und wahrheitsgemäße Aussage zu ermöglichen. Merlin W. erklärt, er wolle nicht in Gegenwart seiner Eltern aussagen, weil er sich in ihrer Abwesenheit unbefangener fühle.
Die Staatsanwältin war mit der Entfernung der Angeklagten einverstanden.
Die Kammer stimmte aus den von dem Angeklagten und dem Zeugen genannten Gründen der Entfernung der Angeklagten aus dem Sitzungssaal zu (§ 247 StPO).
Die Angeklagten verließen um 9.18 Uhr im allseitigen Einverständnis den Sitzungssaal.” (Protokollband, Bl. 109)
b) Die Rüge ist begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der zeitweise Ausschluß des Angeklagten stets durch förmlichen Gerichtsbeschluß anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; BGHSt 22, 18, 20). Die Begründung muß zweifelsfrei ergeben, daß das Gericht von zulässigen Erwägungen ausgegangen ist (BGH NStZ 1999, 419, 420; Diemer in KK 4. Aufl. § 247 Rdn. 13). Eine nähere Begründung war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil sämtliche Beteiligten mit der Anordnung einverstanden waren. Der Angeklagte kann nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; BGHSt 22, 18, 20).
Diesen rechtlichen Anforderungen wird der Beschluß des Landgerichts nicht gerecht. Den protokollierten Verfahrensvorgängen läßt sich nicht entnehmen, ob die Kammer ihrem Beschluß einen der in § 247 StPO abschließend aufgezählten Ausschließungsgründe zugrunde gelegt hat, weil es ohne nähere Erläuterung sowohl auf die von den Angeklagten als auch auf die von dem Zeugen genannten Gründe Bezug nimmt. Ein gesetzlicher Grund, der nach § 247 StPO die Entfernung der Angeklagten rechtfertigen könnte, läßt sich den Erklärungen der Verfahrensbeteiligten nicht entnehmen. Der allgemein gehaltene Wunsch der Angeklagten, ihrem Sohn eine unbefangene und wahrheitsgemäße Äußerung zu ermöglichen, begründet mangels tatsächlicher Anhaltspunkte noch nicht die Befürchtung, der Zeuge werde in ihrer Gegenwart nicht die Wahrheit sagen (§ 247 Satz 1 StPO). Auch die Äußerung des Zeugen Merlin W., er wolle nicht in Gegenwart seiner Eltern aussagen, weil er sich in ihrer Abwesenheit „unbefangener” fühle, enthält für sich genommen nicht die Ankündigung, er werde bei einer Vernehmung in Anwesenheit der Angeklagten die Unwahrheit sagen, wie der Generalbundesanwalt meint. Befangenheit umschreibt lediglich die Befindlichkeit des Zeugen während der ins Auge gefaßten Aussage. Die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ist nicht bereits dann zulässig, wenn ein Zeuge sich in Gegenwart des Angeklagten befangen fühlt und daher den Wunsch äußert, in dessen Abwesenheit aussagen zu dürfen (vgl. BGHSt 22, 18, 21; BGH NStZ 1999, 419, 420). Da der Zeuge Merlin W. unmittelbar zuvor auf entsprechende Belehrung des Vorsitzenden seine Aussagebereitschaft bekundet hatte, kann seine Äußerung auch kaum als Ankündigung verstanden werden, er werde bei Anwesenheit der Angeklagten von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen (vgl. BGH NStZ 1997, 502; BGH StV 1995, 509). Ob das Landgericht, auf dessen Einschätzung es ankommt, eine vollständige und wahrheitsgemäße Aussage des Zeugen Merlin W. in Gegenwart der Angeklagten nicht gewährleistet sah, läßt sich seiner fragmentarischen Begründung gerade nicht entnehmen. Die gewählte Formulierung, es werde der Entfernung der Angeklagten „zugestimmt”, läßt eher befürchten, daß die Kammer die Voraussetzungen des § 247 StPO rechtsirrig zu weit gefaßt hat, indem sie dem – verständlichen – Wunsch des Zeugen Merlin W., in Abwesenheit seiner Eltern auszusagen, entsprochen hat. Nach der Rechtsprechung ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, wenn – wie im vorliegenden Fall – wegen der unvollständigen oder unzureichenden Begründung zweifelhaft bleibt, ob das Gericht von zulässigen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist (BGHR StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 1 und 2; BGHSt 22, 18, 20; 15, 194, 196).
Der Geltendmachung des Verstoßes steht nicht entgegen, daß die Entfernung der Beschwerdeführer während der Zeugenaussage ihres Sohnes ihrer eigenen Anregung entsprach. Die Voraussetzungen des § 247 StPO unterliegen nicht der Disposition der Verfahrensbeteiligten (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; § 338 Nr. 5 Angeklagter 10, 18). Zureichende Anhaltspunkte für ein gezielt auf die – vorsorgliche – Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes Verhalten, das Anlaß zur Prüfung geben könnte, ob dadurch in einer den Angeklagten zurechenbaren Weise die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen (rechtsmißbräuchlichen) Verhaltens beeinflußt sein könnte (vgl. dazu BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1 m.w.Nachw.) ergeben sich aus dem dem Senat bekannten Sachverhalt nicht.
2. Im übrigen weist der Senat auf folgendes hin:
Die Beschwerdeführer beanstanden mit Recht, daß das Landgericht seiner Beweiswürdigung Angaben des erfolgreich abgelehnten Sachverständigen Dr. H. zugrunde gelegt hat, obwohl dieser nicht als Zeuge vernommen worden war.
Der Brandsachverständige Dr. H. hatte im Auftrag der Allianz-Versicherung, bei der die zerstörte Mühle versichert war, die Brandstelle besichtigt. Anhand von Zeichnungen und Plänen hatte ihm der Angeklagte Reinhold W. den Aufbau der Mühle im Detail erörtert. Die Angeklagten lehnten den Sachverständigen im Anschluß an seine einzige Vernehmung in der Hauptverhandlung im Hinblick auf seine Tätigkeit für die Versicherung wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit Beschluß vom 21. November 2000 erklärte das Landgericht die Ablehnung des Sachverständigen für begründet, würdigte jedoch in den Urteilsgründen seine Angaben zum Aufbau der Mühle und den Folgen der Gasexplosion als Zeugenaussage (UA S. 33, 40), obwohl der Sachverständige nicht als Zeuge belehrt und vernommen worden war.
Die erfolgreiche Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit hindert nicht, ihn als Zeugen oder sachverständigen Zeugen über Tatsachen zu vernehmen, die ihm bei Durchführung des erteilten Auftrages bekannt geworden sind (BGHSt 20, 222, 224; Senge in KK 4. Aufl. § 74 Rdn. 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 74 Rdn. 19). Dazu gehören zunächst die sogenannten Befundtatsachen, die der Sachverständige allein aufgrund seiner besonderen Sachkunde bei der Vorbereitung seines Gutachtens festgestellt hat. Ihre Kenntnis vermittelt der Sachverständige dem Gericht als Teil des Gutachtens, ohne daß eine weitere Beweisaufnahme durch den Tatrichter erforderlich wäre (BGHSt 18, 107, 108; 20, 164, 165 f; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO § 79 Rdn. 10).
Die vom Landgericht ausweislich der Urteilsgründe verwerteten Angaben Dr. H. 's zum Aufbau der zerstörten Mühle, insbesondere zum Gasanschluß und der Aktendurchreiche zwischen Kellerabgang und Erdgeschoß (UA S. 33), betrafen dagegen Zusatztatsachen, zu deren Ermittlung und Wahrnehmung keine besondere Sachkunde erforderlich war. Diese Tatsachen hätte jeder beliebige Zeuge feststellen können, da sie allein auf Angaben des Angeklagten Reinhold W. beruhten, der dem Sachverständigen die Baulichkeiten anhand von Plänen erläutert hatte. Vom Sachverständigen ermittelte Zusatztatsachen müssen stets im Wege des Zeugenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt werden (BGHSt 18, 107, 108 f; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO § 74 Rdn. 11). Das Landgericht hätte deshalb – und zwar ohne Rücksicht auf die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen – Dr. H. förmlich als Zeugen belehren und über die Angaben des Angeklagten vernehmen müssen; dies ist nicht geschehen. Im Ergebnis wäre dieser Rüge allerdings der Erfolg versagt geblieben, da ausgeschlossen werden kann, daß das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 640237 |
NStZ 2002, 44 |
wistra 2002, 23 |
StV 2002, 8 |