Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot der Aufrechnung gegen deliktische Forderungen
Leitsatz (amtlich)
Das Verbot der Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gilt auch dann, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultieren.
Normenkette
BGB § 393
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
[1] Zwischen den Parteien kam es am 27.6.2003 zu einer tätlichen Auseinandersetzung, wobei der Kläger einen Kieferbruch und der Beklagte u.a. eine Gehirnerschütterung erlitt. Der Kläger hat ein Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden begehrt. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens i.H.v. insgesamt 5.849,60 EUR erklärt. Das LG hat unter Klageabweisung im Übrigen den Beklagten zur Zahlung von 2.350 EUR verurteilt und dem Feststellungsantrag mit einer Quote von 3/4 stattgegeben, wobei es ein Mitverschulden des Klägers zu 25 % berücksichtigt hat. Auf dessen Berufung hat das OLG, das ein Mitverschulden des Klägers verneint hat, den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 5.000 EUR verurteilt und dem Feststellungsbegehren in vollem Umfang entsprochen. Die Berufung des Beklagten hat das OLG zurückgewiesen. Die Hilfsaufrechnung des Beklagten hat es wegen des in § 393 BGB geregelten Aufrechnungsverbots nicht durchgreifen lassen. Da in Literatur und Rechtsprechung umstritten sei, ob diese Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut jedenfalls dann nicht anzuwenden sei, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultierten, wie es hier der Fall sei, hat das OLG die Revision zugelassen, soweit sich der Beklagte durch die Aufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt.
[2] Der Beklagte beantragt Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Revision.
II.
[3] Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO).
[4] 1. Zwar ist die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht einer Revision in aller Regel dann zu bejahen, wenn eine schwierige, bislang ungeklärte Frage des materiellen Rechts zu entscheiden ist und Grundsätze für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung zu entwickeln sind (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2003 - III ZB 7/03, NJW-RR 2003, 1438). Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung des § 393 BGB ist die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht zulässig (RG, Urt. v. 6.12.1928 - VI 229/28 - RGZ 123, 6). Dieses gesetzliche Aufrechnungsverbot gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - auf beiden Seiten Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen gegeben sind, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultieren. Soweit in Literatur und Rechtsprechung dazu teilweise eine andere Auffassung vertreten wird, vermag der Senat dem nicht zu folgen, zumal der Gesetzgeber die in der Literatur geäußerten Korrekturvorschläge weder bei der Schaffung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I, 3138) noch bei Erlass des am 1.8.2002 in Kraft getretenen Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 (BGBl. I, 2674) aufgegriffen hat.
[5] 2. Die in der Literatur zum Teil vertretene Auffassung, wonach ein Aufrechnungsverbot zu verneinen sei, wenn auf beiden Seiten Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen gegeben sind (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 14. Aufl., Bd. I, § 18 VI b; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl., Rz. 339; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl., § 40 VI 2a; Staudinger/Bittner, BGB [2009], § 273 Rz. 111; Erman/Wagner, BGB, 12. Aufl., § 393 Rz. 2; Kropholler, Studienkommentar BGB, 10. Aufl., Vor § 387 Rz. 10; Jauernig/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 393 Rz. 1; Lüke/Huppert, JuS 1971, 165, 167), ist mit dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht vereinbar. Im Hinblick darauf wird teilweise eine eingeschränkte Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für solche Fälle, in denen die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen Lebensverhältnis - wie etwa einer Prügelei - beruhen, befürwortet (LG Stade, MDR 1958, 99; Soergel/Zeiss, a.a.O.; Deutsch, NJW 1981, 735; BGB-RGRK/Weber, 12. Aufl., § 393 Rz. 7; AnwK/Wermeckes, § 393 Rz. 2; Bamberger/Roth/Denhardt, BGB, § 393 Rz. 7; HK-BGB/Schulze, 4. Aufl., Rz. 1; Jauernig/Stürner, a.a.O.; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 33. Aufl., § 393 Rz. 15). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Vorschrift einem kalkulierten Missbrauch des Aufrechnungsrechts zum Zwecke der Privatrache gegenüber einem zahlungsunfähigen Erstschädiger vorbeugen wolle. Diese Gefahr bestehe aber dann nicht, wenn das Zweitdelikt innerhalb desselben Raufhandels begangen sei oder jedenfalls einen spontanen Racheakt in unmittelbarem Anschluss an das erste Delikt darstelle (so etwa Soergel/Zeiss, a.a.O.). Eine andere Auffassung hält eine Korrektur des § 393 BGB nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB je nach den Umständen des konkreten Falles für geboten (Glötzner, MDR 1975, 718, 720 f.). Wiederum andere sprechen sich schließlich dafür aus, § 393 BGB nur dann anzuwenden, wenn der Schuldner zum Zwecke der Selbsthilfe gehandelt hat (Pielemeier, Das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB: seine Entstehungsgeschichte und seine Bedeutung im geltenden Recht, 1988, S. 116 und Tamblé, Privilegien im Aufrechnungs- und Pfändungsrecht, insb. in ihrer Kollision, 1966, S. 94 ff., 97).
[6] 3. Eine eingeschränkte Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für solche Fälle, in denen die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen Lebensverhältnis beruhen, ist jedoch abzulehnen. Sie würde zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob die Voraussetzung eines einheitlichen Lebensvorgangs gegeben ist. Nach wohl herrschender Meinung gilt das Aufrechnungsverbot deshalb uneingeschränkt (vgl. RGZ, a.a.O.; OLG Celle NJW 1981, 766; Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 393 Rz. 31; Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 15. Aufl., § 73 II 2; v. Feldmann, JuS 1983, 357, 361, Fn. 58; Gerhardt, in: Athenäum-Zivilrecht, I, 731 f.; Haase, JR 1972, 137, 139; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 18. Aufl., Rz. 313; Planck/Siber, BGB, Bd. II, Anm. 4; Staudinger/Kaduk, BGB, 12. Aufl., § 393 Rz. 35; Schlüter in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 393 Rz. 5; Soergel/Zeiss, BGB, 12. Aufl., § 393 Rz. 5; jurisPK-BGB/Rüßmann, 4. Aufl., § 393 Rz. 5; Pfeiffer in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl., § 393 Rz. 5).
[7] 4. Da es mithin dabei zu bleiben hat, dass die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung entsprechend dem Gesetzeswortlaut generell unzulässig ist, hat das Berufungsgericht die Hilfsaufrechnung des Beklagten gegen die mit der Klage geltend gemachte Forderung des Klägers aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zu Recht nicht durchgreifen lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 2226366 |
BB 2009, 2209 |
NJW 2009, 3508 |
NWB 2009, 3249 |
BGHR 2009, 1271 |
JR 2010, 439 |
ZAP 2009, 1183 |
JA 2010, 146 |
MDR 2009, 1338 |
NJ 2010, 116 |
NZV 2010, 73 |
VRS 2010, 71 |
VersR 2009, 1502 |
ZfS 2010, 77 |
GuT 2009, 297 |
NWB direkt 2009, 1071 |
RÜ 2009, 686 |
ZGS 2009, 535 |
r+s 2009, 480 |
FMP 2009, 191 |
GreifRecht 2010, 6 |
LL 2009, 804 |
NRÜ 2009, 493 |
ZJS 2010, 118 |