Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 09.10.2018; Aktenzeichen 901 Js 73/17 61 KLs 2/18) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 9. Oktober 2018, soweit es ihn betrifft und er verurteilt ist,
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen schweren Menschenhandels in drei Fällen, davon in einem Fall versucht, wegen schwerer Zwangsprostitution, ausbeuterischer Zuhälterei in Tateinheit mit Betrug, versuchter Erpressung, versuchter Nötigung und unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition schuldig ist;
- im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben, soweit die Einziehung eines Betrages von mehr als 25.000 EUR angeordnet wurde; die darüber hinausgehende Einziehung des Wertes von Taterträgen entfällt.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren Menschenhandels in drei Fällen, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb, wegen schwerer Zwangsprostitution, ausbeuterischer Zuhälterei in Tateinheit mit Betrug, versuchter Erpressung, versuchter Nötigung und Führens einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und einen „Betrag in Höhe von 44.000 EUR eingezogen”. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Entscheidungsformel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
Rz. 2
1. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 3
a) Zwar fehlt es an einer Darstellung, ob und wie sich der Angeklagte zu den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung eingelassen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19, juris Rn. 6; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2 Rn. 2 f.). Auf dieser Darstellungslücke beruht der Schuldspruch indes nicht, da sich die Beweislage angesichts der detaillierten Aussage der Zeugin K., die durch die Angaben der Zeugin W. und WhatsApp-Kommunikation bestätigt wird, als erdrückend darstellt.
Rz. 4
b) Die rund 180 Seiten umfassende Beweiswürdigung gibt dem Senat Anlass darauf hinzuweisen, dass die schriftlichen Urteilsgründe, wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nicht dazu dienen, all das zu dokumentieren, was in der Hauptverhandlung an Beweisen erhoben wurde; sie sollen nicht das vom Gesetzgeber abgeschaffte Protokoll über den Inhalt von Angeklagten- und Zeugenäußerungen ersetzen, sondern vielmehr das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Mai 1999 – 1 StR 104/99, juris Rn. 4 mwN). Eine umfängliche Wiedergabe der Zeugenaussagen in den Urteilsgründen ohne Bezug zu Einzelheiten der Beweiswürdigung oder die breite Wiedergabe von Chat-Inhalten ist deshalb regelmäßig verfehlt und kann die gebotene Würdigung, Abwägung und Gewichtung der einzelnen Beweise nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 271/99 mwN; vom 30. Juni 2015 – 3 StR 179/15, juris Rn. 4).
Rz. 5
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall 11 der Urteilsgründe wegen „Führens einer Schusswaffe” verurteilt hat, war der Schuldspruch zu berichtigen.
Rz. 6
Nach den Feststellungen führte der Angeklagte am 4. Februar 2017 eine von ihm bereits 2016 beschaffte, geladene halbautomatische Kurzwaffe, mit der Vollmantelgeschosse des Kalibers 9 mm Luger verfeuert werden können, nebst der zugehörigen Munition auf dem Weg von der A. Innenstadt zur Wohnung der Zeugin B. mit sich und gab im Erdgeschoss des Wohnhauses zumindest leichtfertig einen Schuss ab, wobei das Projektil in der Verkleidung eines Aufzugs und einer Wand steckenblieb.
Rz. 7
Das Landgericht hat das Geschehen im Rahmen der rechtlichen Würdigung als „unerlaubten Besitz sowie Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit dem Besitz von Munition” bewertet und als „Führen einer Schusswaffe” tenoriert. Da keine Feststellungen dazu getroffen sind, dass der Angeklagte die tatsächliche Gewalt über die Waffe auch innerhalb der eigenen Wohnung ausgeübt hat, besteht keine Strafbarkeit wegen tateinheitlichen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388; Beschluss vom 15. Juni 2015 – 5 StR 197/15, NStZ 2015, 529), sondern nur wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit Besitz von Munition gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2b WaffG. Der Schuldspruch war wie aus der Urteilsformel ersichtlich entsprechend zu ändern.
Rz. 8
3. Das Urteil ist ferner im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufzuheben, soweit gegen den Angeklagten die Einziehung über einen Betrag von 25.000 EUR hinaus angeordnet worden ist. Die über diesen Betrag hinausgehende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen entfällt.
Rz. 9
a) Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 44.000 EUR angeordnet, der sich aus dem Gesamtschaden des Betrugs zum Nachteil der Zeugin R. in Höhe von 25.000 EUR (Fall 9 der Urteilsgründe) und dem von der Zeugin W. erwirtschafteten Prostituiertenlohn von 19.000 EUR (Fall 4 der Urteilsgründe) zusammensetzt. Während die Einziehung im Hinblick auf die Tatbeute aus Fall 9 der Urteilsgründe in Höhe von 25.000 EUR rechtsfehlerfrei ist, begegnet die darüber hinausgehende Einziehung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 10
b) Nach den Feststellungen sprach der Angeklagte im Herbst 2014 der zu diesem Zeitpunkt 18-jährigen Zeugin W. gegenüber immer wieder davon, dass durch Prostitution leicht viel Geld zu verdienen sei und bot ihr eine Wohnung zur Ausübung der Prostitution an. Er ließ Lichtbilder der Zeugin in Reizwäsche anfertigen, die auf einschlägigen Internetportalen eingestellt wurden, um die Dienste der Zeugin anzubieten und erwarb die für die Ausübung der Prostitution erforderlichen Utensilien. Ab Oktober 2014 erklärte sich die Zeugin daraufhin bereit, als Prostituierte zu arbeiten und nahm eine entsprechende Tätigkeit in der vom Angeklagten vermittelten Wohnung auf. Dabei stand ihr die Entscheidung frei, welche sexuellen Dienste sie zu welchem Preis erbrachte; auch den Ort der Prostitutionstätigkeit konnte sie frei wählen. In der Folge war sie im Zeitraum bis September 2015 in verschiedenen Etablissements als Prostituierte tätig. Ohne hierzu durch Drohungen gezwungen oder aufgrund emotionaler oder wirtschaftlicher Abhängigkeit motiviert zu sein, überließ sie dem Angeklagten den hälftigen Teil ihrer Gewinne, insgesamt 19.000 EUR.
Rz. 11
c) Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe dieses Betrags damit begründet, dass zwar „nicht bereits die Aufnahme der Prostitutionstätigkeit der Zeugin W. zu der Erwirtschaftung des vorgenannten Dirnenlohns von mindestens 19.000 EUR geführt” habe, der Angeklagte aber „mit seinem Vorgehen die Absicht verband, von der Zeugin an den in Zukunft erwirtschafteten Geldern beteiligt zu werden und mit ihnen seinen Lebensunterhalt ganz oder zumindest teilweise zu bestreiten”.
Rz. 12
d) Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 13
aa) Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen Vermögensgegenstände, die der Täter durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat, der Einziehung. Durch die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er der faktischen Verfügungsgewalt des Täters unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. September 2018 – 4 StR 78/18, wistra 2019, 96; vom 7. März 2019 – 5 StR 569/18, NStZ 2019, 272). Zwischen der Tat und dem Erlangen des einzuziehenden Etwas muss mithin ein Kausalzusammenhang bestehen (BT-Drucks. 18/11640, S. 78). Dieser ist dann gegeben, wenn der Vermögenszufluss auf der Verwirklichung des Tatbestandes beruht (Köhler, NStZ 2017, 497, 503). Daran fehlt es bei solchen Vermögenswerten, die dem Täter erst durch weitere, nicht tatbestandsmäßige Handlungen oder Rechtsgeschäfte zufließen (vgl. SSW-StGB/Heine, 5. Aufl., § 73 Rn. 45; Rübenstahl in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar, StGB, 3. Aufl., § 73 Rn. 23 ff.) oder als Ersatzgegenstände im Sinne von § 73 Abs. 3 StGB (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – 5 StR 229/19, juris Rn. 3).
Rz. 14
bb) Bei § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. handelt es sich – auch bei gewerbsmäßiger Begehung im Sinne des § 233 Abs. 3 Nr. 3 StGB – um kein Dauer-, sondern um ein Erfolgsdelikt (LK-StGB/Kudlich, 12. Aufl., § 232 Rn. 4; Schönke/Schröder/Eisele, 29. Aufl., § 232 Rn. 23). Die Tat des Angeklagten war mit der Aufnahme der Prostitutionstätigkeit durch die Zeugin W. vollendet und – da das Tatunrecht dadurch seinen Abschluss gefunden hat – auch beendet. Die freiwilligen Zuwendungen der Zeugin sind dem Angeklagten nicht unmittelbar durch die Aufnahme der Prostitution, sondern erst nach Abschluss dieser Tat über einen Zeitraum von etwa einem Jahr als Ertrag aus der (straflosen) Fortsetzung der Prostitutionstätigkeit zugeflossen. Damit fehlt es an dem für § 73 Abs. 1 StGB erforderlichen Kausalzusammenhang.
Rz. 15
4. Der geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Franke, Zeng, Grube, Schmidt, Wenske
Fundstellen
Haufe-Index 14362875 |
NStZ-RR 2021, 104 |