Verfahrensgang

OLG Koblenz (Beschluss vom 27.10.2020; Aktenzeichen 13 UF 451/20)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. Oktober 2020 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Rz. 1

1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 12. Juli 2019 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; das Urteil ist seit dem 30. April 2020 rechtskräftig. Nach den Feststellungen schloss sich der Verurteilte im Februar 2014 der Organisation „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien” an. In der Folgezeit beteiligte er sich an verschiedenen in bzw. nahe Ras al-Ain, Tel Kocer und Tel Hames (Syrien) stattfindenden Kämpfen gegen die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten” (YPG), indem er logistische Tätigkeiten, Wach- oder Kontrolldienste verrichtete. Später, nach dem 10. Juni 2014, war er in Mossul (Irak) für den Geheimdienst der Vereinigung, die sich zwischenzeitlich in „Islamischer Staat” (IS) umbenannt hatte, als Spitzel aktiv.

Rz. 2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests nach – am 10. Oktober 2020 erreichter – Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache erfolglos.

Rz. 3

2. Der Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten ist (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB), weil dem Verurteilten keine hinreichend günstige Legalprognose gestellt werden kann (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 10. April 2014 – StB 4/14, juris Rn. 3; vom 19. April 2018 – StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228, jeweils mwN), ist beizutreten.

Rz. 4

Zu dieser Entscheidung ist das Oberlandesgericht aufgrund einer Gesamtschau der prognoserelevanten Faktoren gelangt. Es hat bedacht, dass der Verurteilte erstmals eine Haftstrafe verbüßt und sich im Strafvollzug beanstandungsfrei verhält, diese günstigen Umstände allerdings nicht für durchgreifend erachtet. Denn es hat darauf abgestellt, dass er ausweislich der Feststellungen im vollstreckten Urteil sich auch nach seiner Einreise in Deutschland als Anhänger des IS darstellte und kriminogene Persönlichkeitsdefizite (Affinität zu Waffen, Neigung zu Aggressionen, Alkohol- und Drogenmissbrauch mit Affektdurchbrüchen) zeigte, deren Behebung oder Minderung im Strafvollzug bisher nicht hat festgestellt werden können. Dabei hat es sich eingehend mit dem sozialen Empfangsraum des Verurteilten, seiner beruflichen Perspektive, seinen unzureichenden Deutschkenntnissen sowie bislang unterbliebenen Vollzugslockerungen befasst. All dies erweist sich als zutreffend.

Rz. 5

Anlass besteht zu dem folgenden – die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft ergänzenden – Bemerken:

Rz. 6

a) Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Oberlandesgericht zu Recht nicht zu erkennen vermocht, dass sich der Verurteilte zwischenzeitlich innerlich vom IS und dessen Gedankengut distanziert hat.

Rz. 7

Bei seiner persönlichen Anhörung zur Reststrafaussetzung hat der Verurteilte die Tat bestritten. Zwar setzt die bedingte Haftentlassung nicht notwendig voraus, dass der Strafgefangene sein strafbares Verhalten vollumfänglich einräumt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. April 2014 – StB 4/14, juris Rn. 3). Als negativer prognoserelevanter Faktor kommt das Leugnen einer Tat gleichwohl abhängig von sonstigen Umständen in Betracht (s. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 – StB 33/17, NStZ-RR 2018, 126, 127).

Rz. 8

Das Bestreiten des Verurteilten lässt hier ernsthaft besorgen, dass er seine wahren Vorstellungen verbirgt. Denn bei seiner Anhörung hat er auch erklärt, er sei „nie radikal” gewesen und habe sich in Deutschland „nicht eingemischt”; ihn habe es „nicht interessiert, welche Religion … jemand” habe. Dem widerspricht sein in den Urteilsgründen festgestelltes Verhalten. So bekundete er beispielsweise etwa einen Monat vor seiner Festnahme einem Bekannten gegenüber, „Deutsche und Christen” seien „Feinde”, wer „etwas gegen den Islam oder den Propheten Mohammed sage, den werde er umbringen und durch die Tat ins Paradies gelangen”; zwei Tage vor seiner Ergreifung äußerte er, er werde „mit einem großen Messer in die Stadt gehen und dort wahllos ‚Kuffar’ töten”. Zweifel am Vorliegen von zugunsten des Inhaftierten wirkenden Tatsachen gehen zu seinen Lasten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2020 – StB 26/20, juris Rn. 7 mwN).

Rz. 9

Das Beschwerdevorbringen, eine „Rückkehr” des Verurteilten zum IS sei voraussichtlich „mit erheblichen Schwierigkeiten” verbunden, weil er „dort als Deserteur” gelte, rechtfertigt keine für ihn günstige Bewertung; der Einwand ist für andere in Betracht kommende, namentlich islamistisch motivierte Straftaten ohne Belang.

Rz. 10

b) Das Oberlandesgericht hat vor seiner Entscheidung von der – seitens der Justizvollzugsanstalt angeregten – Hinzuziehung eines Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO absehen dürfen. Nicht jede Prüfung, ob der Rest einer Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, löst die Pflicht zur Begutachtung des Verurteilten aus. Vielmehr muss das Gericht ein Gutachten – unter den sonstigen in der Vorschrift genannten Voraussetzungen – nur dann einholen, „wenn es erwägt”, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen. Das Sachverständigengutachten soll es dem Gericht ermöglichen, die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit im Fall einer erwogenen Strafaussetzung zur Bewährung zuverlässiger einschätzen zu können. Kann im Einzelfall, wie beim Beschwerdeführer, wegen besonderer Umstände eine Reststrafaussetzung offensichtlich nicht verantwortet werden und zieht sie das Gericht deshalb nicht in Betracht, ist eine Beurteilung der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr mittels einer Sachverständigenbegutachtung nicht erforderlich (s. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2000 – StB 1/00, BGHR StPO § 454 Gutachten 3; ferner BVerfG, Beschluss vom 3. Februar 2003 – 2 BvR 1512/02, NStZ-RR 2003, 251, 252; LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 454 Rn. 53 mwN).

 

Unterschriften

Schäfer, Berg, Erbguth

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14285315

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