Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbfall. dieselbe Rechtssache. Pflichtteilsberechtigte. Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen. Erstmandat. Abwehr von Nachlassforderungen. Zweitmandat. Interessenkollision. Vertretung widerstreitender Interessen. Mandatsbeschränkung. Vertretungsverbot. Rückwirkende Aufhebung der Beiordnung. Parallelverfahren
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt, der anlässlich desselben Erbfalles Pflichtteilsberechtigte bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen und deren Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen vertritt, verstößt ohne die Interessenkollision auflösende Mandatsbeschränkungen gegen das Vertretungsverbot gem. § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA.
Ein solcher Verstoß kann die rückwirkende Aufhebung seiner Beiordnung gem. § 121 ZPO rechtfertigen.
Normenkette
BRAO § 43a Abs. 4; BORA § 3 Abs. 1; ZPO § 121
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG Hamm vom 8.8.2012 werden auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführer zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Rechtsbeschwerdeführer wenden sich gegen die rückwirkende Aufhebung der Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten wegen Vertretung widerstreitender Interessen.
Rz. 2
Die Klägerin macht als Alleinerbin ihrer Mutter eine Nachlassforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Witwe ihres vorverstorbenen Bruders - Beklagte und Rechtsbeschwerdeführerin zu 1 - geltend.
Rz. 3
Der Beklagten wurde unter Beiordnung des von ihr mandatierten Rechtsbeschwerdeführers zu 2 als Verfahrensbevollmächtigtem Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Hinweis der Klägerin, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 2 die Kinder der Beklagten bei der Durchsetzung ihrer Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin in dem inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Parallelverfahren vertrat, hob das LG dessen Beiordnung rückwirkend auf.
Rz. 4
Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Beklagten und des Rechtsbeschwerdeführers zu 2 sind vor dem OLG erfolglos geblieben. Dagegen wenden sie sich mit ihren vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden.
Rz. 5
II. Die Rechtsbeschwerden sind gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft; an ihre Zulassung ist der Senat gem. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebunden. Sie sind auch im Übrigen zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.
Rz. 6
1. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 2 mit der Wahrnehmung der Interessen der Kinder der Beklagten bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen gegen die Klägerin (Erstmandat) einerseits und der Interessen der Beklagten bei der Abwehr von Nachlassforderungen der Klägerin (Zweitmandat) andererseits gegen das Vertretungsverbot gem. § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA verstößt und deswegen seine Beiordnung rückwirkend aufzuheben war.
Rz. 7
Beide Mandate betreffen dieselbe Rechtssache (§ 3 Abs. 1 BORA), die jeweils wahrzunehmenden Interessen widersprechen einander (§ 43a Abs. 4 BRAO) und dieser Interessenkonflikt ist im Streitfall nicht nur latent gegeben, sondern er besteht auch konkret. Die dafür herangezogenen maßgeblichen Rechtsgrundsätze sind höchstrichterlich geklärt (BGH, Urt. v. 23.4.2012 - AnwZ(Brfg) 35/11, BeckRS 2012, 15772 = NJW 2012, 3039; vgl. ferner BGH, Urt. v. 25.6.2008 - 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307; vom 7.10.1986 - 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190; vom 16.11.1962 - 4 StR 344/62, BGHSt 18, 192; BAG, Beschl. v. 25.8.2004 - 7 ABR 60/03, BAGE 111, 371; BVerfG, Beschlüsse v. 20.6.2006 - 1 BvR 594/06, ZEV 2006, 413; v. 3.7.2003 - 1 BvR 238/01, BVerfGE 108, 150; BayObLG, Urt. v. 26.7.1989 - RReg 3 St 50/89, BayObLGSt 1989, 120). Diese Grundsätze sind vom Beschwerdegericht beanstandungsfrei angewandt worden; gegen seine Feststellung, es seien keine Anhaltspunkte für eine den Interessenwiderstreit etwa entschärfende oder gar ausschließende Beschränkung bei der Erteilung des Erstmandats vorgetragen oder sonst ersichtlich, ist nichts zu erinnern. Zur weiteren Begründung verweist der erkennende Senat, auch um bloße Wiederholungen zu vermeiden, auf die überzeugenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung.
Rz. 8
2. Weiterer abstrakt-genereller höchstrichterlicher Klärungsbedarf ist nicht auszumachen und wird auch von den Rechtsbeschwerden nicht dargelegt. Insoweit ist lediglich Folgendes ergänzend anzumerken:
Rz. 9
a) Der Annahme, bei den beiden Mandaten handele es sich um dieselbe Rechtssache i.S.v. § 3 Abs. 1 BORA, steht nicht entgegen - wie die Rechtsbeschwerdeführer an dieser Stelle meinen -, dass es an der erforderlichen Sachverhaltsidentität fehlt. Insoweit reicht es, wenn sich die übernommenen Mandate zumindest teilweise sachlich-rechtlich decken (BGH, Urt. v. 23.4.2012, a.a.O., Rz. 8 m.w.N.). Daran bestehen allein schon wegen der Klammerwirkung des vom Erbfall bestimmten Nachlassbestandes keine Zweifel, aus dem sich die gegenläufigen Beratungspflichten gegenüber Pflichtteilsberechtigtem und in Anspruch genommenem Nachlassschuldner ergeben. Insoweit sind insb. mit Blick auf Gegenstände und Wert des Nachlasses die gleichen tatsächlichen Umstände von Bedeutung für die von den Auftraggebern bezogenen unterschiedlichen Rechtspositionen (vgl. BayObLG, a.a.O., unter 1 m.w.N.).
Rz. 10
b) Dabei hat das Berufungsgericht entgegen den Rechtsbeschwerden auch nicht die Interessenlage anhand des konkreten Auftrags vernachlässigt. Diese Rüge betrifft zunächst schon nicht die Tatbestandsvoraussetzung für das in Rede stehende Vertretungsverbot, "dieselbe Rechtssache", sondern den Interessenwiderspruch und ob dieser im konkreten Falle festzustellen ist. Abgesehen davon hat sich das Beschwerdegericht - wie vor allem die Beschlussgründe S. 9 und S. 11 belegen - ausdrücklich mit den Interessen befasst, die mit der Mandatserteilung verfolgt werden. Das wird auch von den Rechtsbeschwerden nachfolgend anerkannt, wenn sie hervorheben, das Beschwerdegericht halte zutreffend fest, "dass die Mandatspflichten eines Anwalts wesentlich durch den ihm erteilten Auftrag bestimmt werden".
Rz. 11
c) Bei der Festlegung des konkreten Interessenwiderstreits halten die Rechtsbeschwerdeführer zu Unrecht dem Beschwerdegericht vor, rechtsfehlerhaft die Frage offengelassen zu haben, inwieweit ein solcher Interessenkonflikt im Streitfall allein "mit einer grundsätzlich fehlenden Dispositionsbefugnis der Parteien über das Verbot der Doppelvertretung zu begründen" sei. Die spätere Einverständniserklärung der Beklagten und ihrer Kinder schließt diesen konkreten Interessengegensatz bei der Vertretung durch denselben Prozessbevollmächtigten offensichtlich nicht aus. Zu Recht hat das Beschwerdegericht dieser Erklärung eine konfliktlösende Wirkung bei Mandatserteilung nicht entnommen. Auch das Verständnis der Rechtsbeschwerden, dass "die weitere Verfolgung (weiterer) Pflichtteilsansprüche vom Bestand der behaupteten Nachlassforderung abhängig gemacht wird und dieser im vorliegenden Rechtsstreit geklärt werden soll", lässt den Konflikt konkret bestehen.
Rz. 12
Der Rechtsbeschwerdeführer zu 2 ist gehalten, die Durchsetzung der Nachlassforderung, zu der die Klägerin verpflichtet ist (§ 2313 Abs. 2 BGB, vgl. MünchKomm/BGB/Lange, 5. Aufl., § 2313 Rz. 14), zu verhindern, was den Interessen der Pflichtteilsberechtigten nach wie vor zuwiderläuft, auch wenn sie letztlich bereit sind, den Ausgang des Rechtsstreits hinzunehmen. Die Gesamtumstände führen insoweit gerade nicht über eine etwaige Mandatsbeschränkung zu einem nur noch latent vorhandenen Interessenkonflikt (anders insoweit die Sachlage in BGH, Urt. v. 23.4.2012, a.a.O., Rz. 14 und 15).
Rz. 13
d) Damit ist schließlich zugleich den Bedenken der Rechtsbeschwerden gegen die rückwirkende Aufhebung der Beiordnung die Grundlage entzogen (vgl. insoweit KG FamRZ 2008, 510 f. = juris Rz. 20 ff.; OLG Celle FamRZ 1983, 1045). Der Rechtsbeschwerdeführer zu 2 hätte diesen Konflikt von Anfang an unschwer erkennen können, zumal er in dem Parallelverfahren von der Klägerin (dortige Beklagte) frühzeitig darauf hingewiesen worden ist. Das rechtfertigt - wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat - angesichts der gleichwohl vorgenommenen anwaltlichen Beratung der Beklagten und ihrer Kinder den - auch rückwirkenden - Entzug der Beiordnung ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (vgl. Musielak/Fischer, ZPO, 9. Aufl., § 121 Rz. 27). Dem etwa entgegenstehende Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht dargetan oder sonst ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 3597447 |
DB 2013, 8 |
NJW 2013, 1247 |
EBE/BGH 2013 |
FamRZ 2013, 542 |
ZAP 2013, 452 |
ZEV 2013, 212 |
ZEV 2013, 7 |
AnwBl 2013, 293 |
JZ 2013, 259 |
MDR 2013, 431 |
NJ 2013, 297 |
NJ 2013, 7 |
VersR 2013, 733 |
ErbR 2013, 220 |
ErbStB 2013, 210 |
FF 2013, 172 |
FamRB 2013, 107 |
NJW-Spezial 2013, 158 |
ZErb 2013, 157 |
AK 2013, 1 |
BRAK-Mitt. 2013, 83 |
EE 2013, 114 |
PAK 2013, 55 |