Leitsatz (amtlich)
›Der Rechtsanwalt muß das Zustellungsdatum eines Urteils in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermitteln und so zuverlässig notieren, daß die Rechtsmittelfrist gewahrt werden kann.‹
Verfahrensgang
Saarländisches OLG |
LG Saarbrücken |
Gründe
I. Das am 27. Oktober 1995 verkündete Urteil des Oberlandesgerichts ist der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses ihres zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt E., am 21. November 1995 zugestellt worden. Ihre Revisionsschrift ist am 27. Dezember 1995 beim Bundesgerichtshof eingegangen. Mit am 13. Februar 1996 eingegangenem Schriftsatz hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und dazu vorgetragen, die verspätete Einlegung der Revision beruhe auf einer Divergenz zwischen dem Datum des Empfangsbekenntnisses und dem mit 27. November 1995 aufgestempelten Datum auf der Urteilsausfertigung, anhand derer die Revisionsfrist ermittelt und dem Revisionsanwalt mitgeteilt worden sei. Das sei auf ein Büroversehen der sonst zuverlässigen und in Fristsachen erfahrenen Büroangestellten K. zurückzuführen, auf deren eidesstattliche Versicherung wegen der Einzelheiten verwiesen werde. Hieraus ergebe sich, daß in der Kanzlei von Rechtsanwalt E., dessen eidesstattliche Versicherung ebenfalls vorgelegt worden ist, alle denkbaren Vorkehrungen getroffen worden seien, um eine solche Divergenz zu vermeiden.
II. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist ist zulässig und insbesondere innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO eingegangen. Er erweist sich jedoch als unbegründet.
Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Indessen trifft den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Fristversäumung, das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß.
1. Wie sie selbst geltend macht, ist es zur Fristversäumnis gekommen, weil dem mit der Einlegung der Revision beauftragten Rechtsanwalt nicht das richtige Zustellungsdatum mitgeteilt worden ist. Sie trägt hierzu vor, Rechtsanwalt E. habe angenommen, daß der Eingangsstempel auf der Urteilsausfertigung mit dem Datum des Empfangsbekenntnisses identisch sei. Damit hat er jedoch seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt. Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Erteilung des Rechtsmittelauftrags machte es nämlich erforderlich, das für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln (Senatsbeschluß vom 7. März 1995 - VI ZB 3/95 = NJW-RR 1995, 825; BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 = NJW 1992, 574; vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 16/93 = VersR 1994, 873, 874 und vom 7. Dezember 1993 - XI ZR 207/93 = VersR 1994, 956).
Zu Unrecht meint die Klägerin, Rechtsanwalt E. treffe kein Verschulden, weil er nicht daran habe zweifeln müssen, daß der Eingangsstempel auf dem Urteil mit dem Datum im Empfangsbekenntnis übereinstimme. Indessen durfte Rechtsanwalt E. bei Prüfung des Fristablaufs für die Einlegung der Revision nicht ohne weiteres von dem Eingangsstempel auf der Urteilsausfertigung ausgehen. Vielmehr mußte ihm bekannt sein, daß nicht dieser Stempel, sondern allein das Datum, unter dem das Empfangsbekenntnis nach § 212 a ZPO unterzeichnet worden war, für den Beginn der Revisionsfrist maßgebend war (BGH, Beschluß vom 13. März 1991 - XII ZB 22/91 = VersR 1992, 118, 119, ebenso Senatsbeschluß VI ZB 13/93 vom 6. Juli 1993 m.w.N.). Deshalb bedarf es eines besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Diesen Vermerk vermag der Eingangsstempel des Anwaltsbüros auf dem zugestellten Urteil nicht zu ersetzen, weil er nur den Eingang des Dokuments in der Kanzlei bestätigt, nicht jedoch die für eine Zustellung gemäß § 212 a ZPO erforderliche und für den Fristbeginn maßgebliche Entgegennahme durch den Rechtsanwalt (BGH, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - aaO.). Durfte Rechtsanwalt E. mithin den Eingangsstempel auf der Urteilsausfertigung nicht ohne nähere Prüfung für das Zustelldatum ansehen, so kommt es nicht im einzelnen darauf an, durch wessen Versehen es zur Aufstempelung dieses Datums gekommen ist.
2. Daneben ist Rechtsanwalt E. zur Last zu legen, daß er nach seiner eigenen eidesstattlichen Versicherung das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, obwohl es ihm ohne Handakte und das Urteil vorgelegt worden ist. Im Hinblick auf die zu 1) erörterte Bedeutung des Zustellungsdatums muß durch organisatorische Vorkehrungen gewährleistet werden, daß der Zustellungszeitpunkt und damit der Beginn der Rechtsmittelfrist in zuverlässiger Weise festgehalten wird (BGH, Beschl. v. 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - BGHR-ZPO § 233 Empfangsbekenntnis 1 - und vom 15. Februar 1995 - XII ZB 5/95 - BGHR-ZPO § 233 Anwaltsverschulden 10). Soweit sich die Klägerin auf eine im Büro von Rechtsanwalt E. bestehende Weisung beruft, wonach Schriftstücke mit Empfangsbekenntnis nur zusammen mit der Akte bearbeitet werden dürften, vermag eine solche Weisung den Rechtsanwalt nicht zu entlasten. Zwar dürfte Frau K. gegen diese Weisung ebenso wie gegen andere Sorgfaltspflichten verstoßen haben, wenn sie das ihr vom Berufungsgericht übersandte Urteil nebst Empfangsbekenntnis wegen Unauffindbarkeit der Akte für einen längeren Zeitraum - den anderen Prozeßbeteiligten ist das Urteil bereits am 6./7. November 1995 zugestellt worden - auf ihrem Schreibtisch hat liegen lassen und Urteil und Empfangsbekenntnis sodann getrennt hat, um Rechtsanwalt E. das Urteil zur Besprechung mit der Klägerin zu überlassen. Diesen trifft jedoch ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Frist. Es ist schon fraglich, ob er sich bei der zunächst erfolgten Vorlage des Urteils ohne Empfangsbekenntnis mit der Anweisung begnügen durfte, ihm Handakte und Urteil sofort wieder vorzulegen. Jedenfalls mußte er dann, als ihm in der Folgezeit das vom Berufungsgericht zurückgeforderte Empfangsbekenntnis allein zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, klar erkennen, daß der weisungswidrige Zustand noch immer fortbestand und unter diesen Umständen die zuverlässige Notierung des Zustellungsdatums nicht gesichert war. Bei einem derartigen Sachablauf, auf dessen Ungewöhnlichkeit die Klägerin selbst hinweist, durfte Rechtsanwalt E. das Empfangsbekenntnis nicht unterzeichnen, ohne die Notierung der hierdurch in Lauf gesetzten Frist zur Einlegung der Revision in geeigneter Weise sicherzustellen. Dies hatte er selbst bei fortbestehender Unauffindbarkeit der Handakte - die ihn ohnehin unter dem Blickpunkt einer geordneten Organisation im Anwaltsbüro nicht auf Dauer zu entlasten vermöchte - bereits dadurch erreichen können, daß er sich gleichzeitig mit dem Empfangsbekenntnis zumindest die Urteilsausfertigung vorlegen ließ und auf dieser das Datum der Zustellung in der erforderlichen Weise vermerkte.
3. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob die übrigen Organisationsvorkehrungen in der Kanzlei von Rechtsanwalt E. ausreichend zur Vermeidung derartiger Vorkommnisse waren, zumal der Klägervortrag nicht im einzelnen erkennen läßt, in welcher Weise Frau K. die Revisionsfrist zu notieren beabsichtigte und ob insbesondere die Eintragung in einen zentralen Fristenkalender oder ein Fristenbuch vorgesehen war (hierzu Senatsbeschluß vom 26. März 1996 - VI ZB 1 u. 2/96 m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2993402 |
BB 1996, 1300 |
NJW 1996, 1968 |
BRAK-Mitt 1996, 220 |
BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 50 |
AP Nr. 49 zu§ 233 ZPO 1977 |
MDR 1996, 967 |
VersR 1996, 1170 |