Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 27.07.2020; Aktenzeichen 1 Ks 111 Js 107393/18) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2020
- im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags entfällt;
- im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Senat hat die Verurteilung mit den Feststellungen aufgehoben (Beschluss vom 17. September 2019 – 1 StR 343/19).
Rz. 2
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten erneut wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
Rz. 3
Nach den Feststellungen kam es am Abend des 28. Oktober 2018 nach einem verbalen Streit zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten – insoweit im gegenseitigen Einvernehmen – zu einem Gerangel, indem beide dem jeweils anderen einen Faustschlag in das Gesicht versetzten. Sodann zog der Angeklagte ein Messer aus der Jacke und stieß es dem Geschädigten in den rechten Unterbauch, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Nachdem der Angeklagte das Messer sogleich wieder herausgezogen hatte, krümmte sich der Geschädigte sofort – was der Angeklagte bemerkte – und schrie laut auf, der Angeklagte habe ihn gestochen. Anschließend entfernte sich der Angeklagte.
Rz. 4
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen unternahm oder solche veranlasste. Der Angeklagte habe bemerkt, dass ihm ein tiefer, potenziell tödlicher Stich in den Unterleib gelungen war. Da der Angeklagte habe flüchten wollen und ihm die Folgen seiner Tat gleichgültig gewesen seien, habe er sich nach Tatausführung weder ein Bild über den Zustand des Geschädigten verschafft, noch habe er sich dazu Gedanken gemacht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
1. Der Verfahrensrüge bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen der Erfolg versagt.
Rz. 6
2. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten Versuch, bei dem nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, und einem beendeten Versuch das Vorstellungsbild des Täters unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ist (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17 Rn. 7 ff.). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 – 4 StR 464/18 Rn. 7).
Rz. 8
b) Das Landgericht hat die Annahme eines beendeten Versuchs nicht hinreichend belegt. Es hat die für den Rücktrittshorizont maßgebliche Feststellung, der Geschädigte habe sich unmittelbar nach dem Stich in den Unterleib zusammengekrümmt, allein auf die Angabe des bei der Tat anwesenden Zeugen S. gestützt. Eine Auseinandersetzung des Schwurgerichts damit, dass weder der Geschädigte noch der weitere bei der Tat anwesende Zeuge Z., dessen Angaben die Kammer als vollumfänglich glaubhaft qualifiziert hat, oder der Angeklagte eine entsprechende Reaktion des Geschädigten nach dem Stich in den Unterbauch geschildert haben, sowie mit dem Umstand, dass der Zeuge S. diese Angabe erstmals in der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang gemacht hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Rz. 9
c) Auch die weitere Argumentation des Landgerichts, der Angeklagte habe sich nach der Tatausführung keine Gedanken zum Zustand des Geschädigten gemacht, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein beendeter Versuch auch dann vor, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht. Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen aber positiv festgestellt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 469/13 Rn. 8 mwN und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13 Rn. 6). Hier hat das Landgericht jedoch – wenn auch fehlerhaft – Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten zur Schwere der Verletzungen getroffen, so dass eine entsprechende gedankliche Gleichgültigkeit nicht ohne Rechtsfehler angenommen werden kann. Die positive Feststellung der gedanklichen Indifferenz darf mit dem Fall, dass zu den Gedanken des Angeklagten keine Feststellungen getroffen werden können, nicht gleichgesetzt werden, da es in dem letztgenannten Fall noch Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 469/13 Rn. 8 mwN und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13 Rn. 6).
Rz. 10
d) Der Senat schließt aus, dass in einem dritten Rechtsgang noch Feststellungen möglich sind, die die Annahme eines beendeten Versuchs, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB zurückgetreten werden kann, tragen könnten. Da die Voraussetzungen eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch vorliegen, lässt der Senat die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen versuchten Totschlags im Schuldspruch entfallen.
Rz. 11
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 12
4. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, da eine Zuständigkeit des Schwurgerichts nicht mehr besteht.
Rz. 13
Unterschriften
Raum, RiBGH Prof. Dr. Jäger befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum, Hohoff, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 14669711 |
NStZ-RR 2021, 272 |
StV 2022, 86 |