Leitsatz (amtlich)
Von einer erneuten persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem im amtsgerichtlichen Verfahren erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - XII ZB 98/15 FamRZ 2015, 1603).
Normenkette
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
LG Kleve (Beschluss vom 29.01.2021; Aktenzeichen 4 T 14/21) |
AG Moers (Entscheidung vom 14.12.2020; Aktenzeichen 200 XVII 407/20) |
Tenor
Der Betroffenen wird im Hinblick auf die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Kleve vom 29.1.2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung.
Rz. 2
Das AG hat im Hinblick auf eine anhaltend wahnhafte Entwicklung mit einer paranoid-halluzinatorischen Symptomatik für die Betroffene eine Betreuung eingerichtet und ihre Tochter, die Beteiligte, als Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge bestellt. Zuvor hatte die Betroffene dem AG ihr Einverständnis mit einer Betreuung mitgeteilt.
Rz. 3
Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen, ohne diese erneut persönlich anzuhören. Die Entscheidung ist der Betroffenen am 9.2.2021 zugestellt worden. Auf ihren am 5.3.2021 eingegangenen Antrag hat der Senat ihr für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt; diese Entscheidung ist der Betroffenen am 7.5.2021 zugestellt worden. Am 11.5.2021 hat sie Rechtsbeschwerde eingelegt und hinsichtlich der Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dies am 17.5.2021 begründet.
Rz. 4
Mit der Rechtsbeschwerde strebt die Betroffene die Ablehnung der Einrichtung einer Betreuung an, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das LG.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 6
1. Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht zu Unrecht von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - XII ZB 98/15 FamRZ 2015, 1603 Rz. 8 ff. m.w.N.).
Rz. 7
a) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich gem. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Zwar kann das Beschwerdegericht gem. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der erneuten Durchführung einer persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Neue Erkenntnisse sind indessen nach der Rechtsprechung des Senats in der Regel dann zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem im amtsgerichtlichen Verfahren erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - XII ZB 98/15 FamRZ 2015, 1603 Rz. 5 f. m.w.N.).
Rz. 8
b) Gemessen daran hätte das Beschwerdegericht die Betroffene selbst erneut anhören müssen. Das AG hat seiner Entscheidung offensichtlich das Einverständnis der Betroffenen mit einer Betreuerbestellung zugrunde gelegt, weil es sich mit der Beachtlichkeit eines entgegenstehenden Willens nicht auseinandergesetzt hat. Von diesem Einverständnis ist die Betroffene indessen, wie das Beschwerdegericht auch zutreffend erkannt hat, durch die Einlegung der Beschwerde wieder abgerückt. Danach durfte das Beschwerdegericht von der gebotenen erneuten Anhörung der Betroffenen nicht absehen.
Rz. 9
2. Der angefochtene Beschluss ist gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Eine abschließende Entscheidung in der Sache (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG) ist dem Senat nicht möglich, da diese wegen der durch das Beschwerdegericht noch durchzuführenden persönlichen Anhörung der Betroffenen nicht zur Endentscheidung reif ist.
Rz. 10
Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, sich mit den Einwendungen der Betroffenen gegen das vom AG eingeholte Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen.
Rz. 11
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen