Leitsatz (amtlich)
Der Versorgungsausgleich zugunsten eines contergangeschädigten Ehegatten kann nicht nach § 27 VersAusglG mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass der Ausgleichsberechtigte wegen seiner Conterganrente auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht angewiesen sei.
Normenkette
ContStifG § 18; VersAusglG § 27; BGB § 1610a
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Entscheidung vom 24.02.2014; Aktenzeichen 7 UF 188/13) |
AG Schweinfurt (Entscheidung vom 07.06.2013; Aktenzeichen 3 F 369/12) |
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin auf Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Gründe
I.
Rz. 1
Die beteiligten Eheleute streiten im Scheidungsverbund um Versorgungsausgleich.
Rz. 2
Der 1961 geborene Ehemann war in der Ehezeit als Garten- und Landschaftsbauarchitekt selbständig; sein Unternehmen ist mittlerweile insolvent. Zuvor hatte er im Rahmen eines erfolglosen Sanierungsversuchs seine private Altersvorsorge aufgelöst und in das Unternehmen eingebracht. Sonstige Versorgungsanrechte hat der Ehemann in der Ehezeit nicht erworben. Der Ehemann ist Contergangeschädigter und bezieht eine steuer- und sozialabgabenfreie Conterganrente von der Beteiligten zu 3) (Contergan-Stiftung), deren Höhe zunächst monatlich 1.116 EUR betrug und die im Zuge einer erheblichen Anhebung des Rentenniveaus im Jahre 2013 auf mittlerweile monatlich 3.686 EUR (zzgl. einer jährlichen Sonderzahlung i.H.v. 1.840 EUR) erhöht wurde. Ausgezahlt wird dem Ehemann bis Ende Januar 2016 lediglich ein um monatlich 523,56 EUR gekürzter Betrag, weil er sich diesen Teilbetrag seiner Rente Anfang der 2000er Jahre kapitalisieren ließ.
Rz. 3
Die 1966 geborene Ehefrau ist Krankenschwester. Sie ist schwerbehindert und bezieht neben Erwerbseinkünften aus einer Teilzeitbeschäftigung (15 Wochenstunden) eine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie hat in der Ehezeit Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Anrechte in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes erworben.
Rz. 4
Das AG hat den Versorgungsausgleich nach § 27 VersAusglG ausgeschlossen, weil die Ehefrau auf ihre Versorgungsanrechte dringend angewiesen sei und sich die Versorgungssituation des Ehemannes in Ansehung seiner Conterganrente nicht wesentlich verbessern würde. Auf die Beschwerde des Ehemannes hat das Beschwerdegericht die Entscheidung abgeändert und den Versorgungsausgleich durch interne Teilung der Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung und der Zusatzversorgung zu Lasten der Ehefrau durchgeführt.
Rz. 5
Die Ehefrau begehrt Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 6
Die für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragte Verfahrenskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 ZPO) verspricht.
Rz. 7
1. Unbeschadet der für den Senat bindenden Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht stellen sich im vorliegenden Fall keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH v. 24.4.2013 - XII ZR 159/12, FamRZ 2013, 1199 Rz. 4 m.w.N.). Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft oder schwierig ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1235 [1236]).
Rz. 8
So liegt der Fall hier nicht.
Rz. 9
a) Die Conterganrente gehört - was nicht in Zweifel gezogen wird - nicht zu den gem. § 2 Abs. 2 VersAusglG in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechten, weil sie aus Entschädigungsgründen gezahlt wird und weder durch Arbeit noch durch Vermögen erworben worden ist. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde deswegen auch lediglich wegen der Frage zugelassen, ob der Bezug einer Conterganrente im Rahmen des § 27 VersAusglG bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Ausgleichsberechtigten berücksichtigt werden dürfe.
Rz. 10
b) Dieser Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie nach dem geltenden Recht eindeutig zu beantworten ist.
Rz. 11
aa) Gemäß § 18 Abs. 1 ContStifG bleiben Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insb. dem Zweiten, Dritten, Fünften und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Bürgerlichen Gesetzbuch, außer Betracht. Die Aufzählung dieser Gesetze ist - wie die Formulierung "insbesondere" verdeutlicht - nicht abschließend (vgl. BT-Drucks. 15/5654, 13) und schließt deshalb das Versorgungsausgleichsgesetz nicht aus. § 18 Abs. 2 Satz 1 ContStifG bestimmt darüber hinaus, dass Verpflichtungen Anderer, insb. Unterhaltspflichtiger und der Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen, durch das Conterganstiftungsgesetz nicht berührt werden. Im Versorgungsausgleich würde die Ausgleichspflicht des Ehegatten mit den höheren Versorgungsanrechten jedoch durchaus berührt, wenn man (auch) die dem ausgleichsberechtigten Ehegatten gewährten Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz zum Anlass nehmen würde, den auf § 1 Abs. 1 VersAusglG beruhenden Anspruch des Contergangeschädigten auf Halbteilung der in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte nach § 27 VersAusglG herabzusetzen oder auszuschließen. Zwingende gesetzessystematische Gründe, welche die Schlussfolgerung nahelegen könnten, dass § 18 ContStifG der Berücksichtigung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz zumindest bei der Anwendung von Härte- oder Billigkeitsregelungen des bürgerlichen Rechts nicht entgegenstünde, bestehen nicht. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er es - wie beispielsweise in § 11 Satz 4 BEEG und der dort enthaltenen Bezugnahme auf §§ 1579, 1611 Abs. 1 BGB - ausdrücklich anordnen können.
Rz. 12
bb) Im Übrigen gehört die Conterganrente nach allgemeiner Auffassung (Palandt/Brudermüller BGB, 73. Aufl., § 1610a Rz. 3; MünchKomm/BGB/Born 6. Aufl., § 1610a Rz. 10; Soergel/Seibl BGB, 13. Aufl., § 1610a Rz. 5; Erman/Hammermann BGB, 13. Aufl., § 1610a Rz. 6; Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 2. Aufl., § 1610a BGB Rz. 5; NK-BGB/Kath-Zurhorst/Reuter 3. Aufl., § 1610a Rz. 4; Heiß/Heiß in Heiß/Born Unterhaltsrecht [Bearbeitungsstand: 2014] 3. Kap. Rz. 111; Breuer/Louis MedR 2007, 223 [226]; vgl. auch BT-Drucks. 15/5654, 13) zu den Sozialleistungen, die für Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens gewährt werden und bei denen gem. § 1610a BGB bei der Feststellung eines Unterhaltsanspruches vermutet wird, dass die Kosten der Aufwendungen nicht geringer sind als die Höhe dieser Sozialleistungen. Auch wenn die Vorschriften des Versorgungsausgleichsrechts keine unmittelbare Verweisung auf § 1610a BGB enthalten, werden die Grundsätze des § 1610a BGB auch im Rahmen des § 27 VersAusglG bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen sein, ob der Unterhalt des ausgleichsberechtigten Ehegatten durch anderweitige Einkünfte gedeckt ist (vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1277 [1278]). Denn wenn und soweit eine dem Ausgleichsberechtigten aus Entschädigungsgründen gezahlte Sozialleistung lediglich schadensbedingten Mehraufwand abdecken soll, bezweckt sie keine soziale Absicherung für Alter oder Invalidität und kann daher auch keinen Ausschluss des Versorgungsausgleichs rechtfertigen (vgl. bereits Staudinger/Rehme BGB [2000] § 1587c Rz. 22; Soergel/Lipp BGB, 13. Aufl., § 1587c Rz. 13).
Rz. 13
Zwar stellt § 1610a BGB lediglich eine widerlegbare gesetzliche Vermutung auf, so dass die ausgleichspflichtige Person den Gegenbeweis dafür führen könnte, dass die ausgleichsberechtigte Person, die eine Conterganrente bezieht, in voller Höhe ihrer Rente tatsächlich keinen durch Körper- und Gesundheitsschaden bedingten Mehrbedarf hat. Gerade diesen Gegenbeweis wollte der Gesetzgeber aber durch die Fassung des § 18 ContStifG ausschließen; es sollte ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes klargestellt werden, dass die Leistungen nach dem neuen Conterganstiftungsgesetz "als echte Zusatzleistungen" erhalten bleiben (BT-Drucks. 15/5654, 13). Nach diesen Intentionen des Gesetzgebers ist es - trotz der mittlerweile nicht unerheblichen Höhe der Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz - nicht möglich, von der Durchführung des Versorgungsausgleichs mit der Begründung abzusehen, die ausgleichsberechtigte Person sei bereits mit ihrer Conterganrente ausreichend versorgt.
Rz. 14
2. Ergeben sich somit keine Rechtsfragen, die einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung bedürften, kommt es für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe in der Rechtsbeschwerdeinstanz allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an (BGH v. 24.4.2013 - XII ZR 159/12, FamRZ 2013, 1199 Rz. 9; v. 16.10.2013 - XII ZB 176/12, FamRZ 2014, 105 Rz. 36). Diese bestehen nicht.
Fundstellen