Leitsatz (amtlich)

Schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, offenbaren in der Regel nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung, nicht aber exakte Abmessungen.

Ein Gericht ist grundsätzlich nicht gehalten, einen Beteiligten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es eine in einer Patentschrift wiedergegebene Zeichnung nur als schematische Darstellung und nicht als maßstabsgerechte Konstruktionszeichnung ansieht.

 

Normenkette

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 1, § 100 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BPatG (Beschluss vom 19.10.2011; Aktenzeichen 19 W(pat) 92/09)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den am 19.10.2011 verkündeten Beschluss des 19. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des BPatG wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents 10 2005 039 619 (Streitpatents), das am 19.8.2005 angemeldet worden ist und eine Steckverbindung betrifft. Patentanspruch 1, auf den sechs weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung:

"Steckverbindung mit wenigstens drei vielpoligen Kontaktreihen, vorzugsweise aus Messer- und Federleisten bestehende Steckverbindungen, wobei die Messerleisten (100) mindestens ein erstes Kontaktelement (120) und die Federleisten (200) mindestens ein zweites, zum ersten Kontaktelement korrespondierendes Kontaktelement (220) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass Lötanschlüsse (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') wenigstens einer Kontaktreihe so angeordnet sind, dass die Abstände zwischen den Lötanschlüssen (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') dieser wenigstens einen Kontaktreihe und den Lötanschlüssen (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') der restlichen Kontaktreihen größer sind als die Abstände zwischen den Lötanschlüssen (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') innerhalb der restlichen Kontaktreihen."

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben und geltend gemacht, dessen Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Patentinhaberin hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.

Rz. 3

Das Patentamt hat das Streitpatent widerrufen. Die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der sie das Patent in geänderten Fassungen verteidigt hat, ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Patentinhaberin mit der Rechtsbeschwerde, der die Einsprechende entgegentritt.

Rz. 4

II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist statthaft, weil die Patentinhaberin einen Zulassungsgrund i.S.v. § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend macht. Es ist jedoch unbegründet. Das PatG hat den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Rz. 5

1. Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (vgl. nur BGH, Beschl. v. 27.6.2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 = GRUR 2007, 862 Rz. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II).

Rz. 6

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs schließt keine allgemeine Pflicht zu Hinweisen an die Parteien ein. Ein Hinweis kann jedoch geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird (BGH, Beschl. v. 16.9.2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 Rz. 9 - Antennenhalter; Beschl. v. 25.1.2000 - X ZB 7/99, GRUR 2000, 792, 793 - Spiralbohrer). Diese Voraussetzung kann z.B. gegeben sein, wenn das Gericht den Antrag eines Beteiligten in einer Weise auslegt, die in erkennbarem Widerspruch zu dessen Bestreben liegt (BGH, Beschl. v. 22.9.2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rz. 15 - Schwingungsdämpfer), wenn das Gericht seine Beurteilung auf eine Entgegenhaltung stützt, die von den Beteiligten nur beiläufig angeführt worden ist (BGH, Beschl. v. 12.4.2011 - X ZB 1/10, GRUR 2011, 656 Rz. 7 - Modularer Fernseher I; Beschl. v. 8.9.2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rz. 16 - Polyolefinfolie), oder wenn ein Beteiligter erkennbar einem Missverständnis oder einem Rechtsirrtum erlegen ist (BGH, Beschl. v. 22.9.2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rz. 17 - Schwingungsdämpfer).

Rz. 7

2. Im Streitfall war das PatG nicht verpflichtet, die Patentinhaberin zur Wahrung des rechtlichen Gehörs darauf hinzuweisen, dass es die Zeichnungen in den Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als nicht maßstabsgetreue perspektivische Darstellungen ansieht.

Rz. 8

Das PatG ist zu dem Ergebnis gelangt, das in allen verteidigten Fassungen von Patentanspruch 1 vorgesehene Merkmal, wonach für die Kontaktelemente der Messerleiste und die Kontaktelemente der Federleiste jeweils (nur) ein Kontaktelement (eines einzigen Typs) vorgesehen ist, sei in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Dieses Merkmal werde weder in der ursprünglichen Fassung der Patentansprüche noch in der Beschreibung explizit genannt. Es sei auch keiner der Figuren eindeutig zu entnehmen. Bei perspektivischen Darstellungen der in den Figuren 1 bis 6 wiedergegebenen Art würden Einzelheiten regelmäßig nicht maßstäblich, sondern verzerrt wiedergegeben. Der Fachmann habe daher keinen Anlass gehabt, aufgrund dieser Figuren zu mutmaßen, in der Art der Darstellung der Kontakte könnte eine Erfindung offenbart sein, zumal die Patentansprüche und die Beschreibung einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten, nämlich die Gestaltung der Lötanschlüsse. Die Figuren 7 und 8, die den Anschein einer Konstruktionszeichnung erweckten, zeigten Steckverbinder, bei denen die Kontaktpole unterschiedlicher Reihen eindeutig nicht miteinander übereinstimmend ausgeführt worden seien.

Rz. 9

Diese Beurteilung beruht nicht auf Erwägungen, die für die Patentinhaberin unvorhersehbar gewesen sind. Es entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, regelmäßig nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung offenbaren, nicht aber exakte Abmessungen (Benkard/Melullis, Patentgesetz, 10. Aufl., § 3 PatG Rz. 27; Benkard/, § 14 PatG Rz. 29; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 14 PatG Rz. 70; Schulte/Moufang, Patentgesetz, 8. Aufl., § 34 PatG Rz. 320; BPatG, Beschl. v. 17.10.2007 - 7 W (pat) 367/04, juris Rz. 42; Urt. v. 14.6.2007 - 2 Ni 32/05 (EU), juris Rz. 53; Urt. v. 13.3.2001 - 4 Ni 12/00 (EU), juris Rz. 55). Angesichts dessen konnte und durfte die Patentinhaberin nicht darauf vertrauen, dass das PatG die Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als maßstabsgerechte Konstruktionszeichnungen ansehen würde. Vielmehr lag es an der Patentinhaberin, spätestens in der Beschwerdeinstanz vorzutragen, dass die Figuren 1 bis 6 nach ihrer Auffassung isometrische Darstellungen enthalten. Besondere Umstände, aus denen sich eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Rz. 10

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 51 Abs. 1 GKG.

Rz. 11

IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).

 

Fundstellen

BlPMZ 2013, 120

EBE/BGH 2012

GRUR 2012, 1242

JZ 2012, 721

GRUR-Prax 2012, 558

IPRB 2013, 28

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