Verfahrensgang
AnwGH Frankfurt (Entscheidung vom 07.09.2020; Aktenzeichen 2 AGH 1/20) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 2. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 7. September 2020 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin ist seit 1992 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 2
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rz. 3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - AnwZ (Brfg) 66/18, juris Rn. 5).
Rz. 4
Entsprechende Zweifel vermag die Klägerin nicht darzulegen. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.
Rz. 5
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4 und vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 5; jeweils mwN).
Rz. 6
b) Das Vorbringen der Klägerin begründet keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass sich die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids in Vermögensverfall befunden hat.
Rz. 7
Zu diesem Zeitpunkt war das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird der Vermögensverfall der Klägerin deshalb widerlegbar vermutet. Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls ist im Falle eines Insolvenzverfahrens nach ständiger Senatsrechtsprechung erst dann widerlegt, wenn ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (vgl. nur Senatsbeschluss vom 27. August 2019 - AnwZ (Brfg) 35/19, juris Rn. 19 mwN).
Rz. 8
Zutreffend ist der Anwaltsgerichtshof vor diesem Hintergrund im Hinblick auf das laufende Insolvenzverfahren davon ausgegangen, dass die Klägerin die Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt hat. Denn sie hat weder in erster Instanz noch im Zulassungsantrag dargelegt, dass die oben genannten, für die Widerlegung der Vermutung erforderlichen Voraussetzungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vorlagen. Die Vermutung ist auch nicht dadurch widerlegt, dass der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin freigegeben hat (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO; vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2020 - AnwZ (Brfg) 19/20, juris Rn. 5 mwN).
Rz. 9
Das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsantrag, sie könne im Berufungsverfahren nachweisen, dass sich ihre finanzielle Situation konsolidiert habe, ist nicht erheblich. Zum einen ist ihr Vortrag nicht hinreichend, um die oben genannten Voraussetzungen für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens darzulegen. Zum anderen kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit des Widerrufs auf den Zeitpunkt der Widerrufsverfügung an, so dass die Beurteilung einer etwaigen späteren Konsolidierung einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten ist.
Rz. 10
Nicht erheblich ist auch das Vorbringen der Klägerin, wonach die von der Insolvenzverwalterin genannte Gesamtforderungshöhe unzutreffend sei. Nicht die konkrete Höhe der offenen Forderungen, sondern die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin begründete hier die - von der Klägerin nicht widerlegte - Vermutung des Vermögensverfalls, die Grund des Widerrufs war. Auch der Vortrag der Klägerin, dass es nicht ihr Verschulden sei, dass die Gläubiger nicht in absehbarer Zeit befriedigt werden können, da das Insolvenzverfahren von der Insolvenzverwalterin über lange Zeit nicht bearbeitet worden sei, ändert nichts an dem Vorliegen eines Vermögensverfalls. Abgesehen davon, dass die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten war, ist für den Widerruf nicht entscheidend, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat oder nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Mai 2021 - AnwZ (Brfg) 38/20, juris Rn. 16 und vom 8. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 23 mwN).
Rz. 11
c) Das Vorbringen der Klägerin begründet auch keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden vorliegt. Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Rz. 12
2. Dem Anwaltsgerichtshof ist schließlich kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insbesondere hat der Anwaltsgerichtshof den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Die Klägerin rügt insoweit, dass ihr die Beklagte und der Anwaltsgerichtshof den ihr unbekannten, im Widerrufsbescheid und im erstinstanzlichen Urteil genannten Sachstandsbericht der Insolvenzverwalterin vom 17. Juni 2019, in dem die Höhe der Gesamtforderung mit 104.264,74 € angegeben worden sei, trotz entsprechenden Antrags nicht vorgelegt hätten und ihr auch die beantragte Akteneinsicht nicht gewährt worden sei, weshalb sie nicht habe Stellung nehmen können. Die genannte Höhe der Gesamtforderung sei für die Klägerin nicht prüfbar und stimme nicht mit den Angaben ihr gegenüber überein.
Rz. 13
Ein Gehörsverstoß ergibt sich hieraus nicht. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klägerin bezüglich ihres Akteneinsichtsgesuchs darauf hingewiesen, dass die Senatsakte nur ihre Klage nebst Anlagen beinhalte und sie sich für die Einsicht in die bei der Rechtsanwaltskammer geführte Personalakte an die Beklagte wenden solle. Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, dass sie sich umgehend um einen Termin hierfür bemühen und danach abschließend vortragen werde. Die Klägerin hat nicht vorgebracht, dass diese - von der Beklagten im Verfahren auch ausdrücklich angebotene - Akteneinsicht trotz entsprechender Bemühungen ihrerseits nicht ermöglicht wurde. Ebenso ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Klägerin, die auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, zu einem späteren Zeitpunkt im erstinstanzlichen Verfahren nochmals die fehlende Akteneinsicht und ihre weiterhin fehlende Kenntnis von dem Sachstandsbericht der Insolvenzverwalterin vom 17. Juni 2019 geltend gemacht hat. Vor diesem Hintergrund durfte der Anwaltsgerichtshof davon ausgehen, dass die Klägerin die von ihr begehrte Akteneinsicht erhalten und dadurch Kenntnis von dem Sachstandsbericht der Insolvenzverwalterin vom 17. Juni 2019 erlangt hat. Ein Gehörsverstoß scheidet mithin aus. Ohnehin ist nicht ersichtlich, dass der geltend gemachte Gehörsverstoß erheblich sein könnte, nachdem - wie ausgeführt - bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von der konkreten Höhe der angemeldeten Forderungen die Vermutung des Vermögensverfalls begründete und die oben genannten Voraussetzungen für die Widerlegung dieser Vermutung nicht vorlagen.
III.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
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Fundstellen
Haufe-Index 15127521 |
ZInsO 2022, 652 |