Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 10.01.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. Januar 2018 im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von zwei Jahren und drei Monaten der Strafe vor der Maßregel angeordnet sowie eine Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab für die in Litauen erlittene Auslieferungshaft getroffen. Die auf die nicht ausgeführte Rüge der Verletzung formellen Rechts sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 3
2. Hingegen hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) keinen Bestand. Zwar ist das sachverständig beratene Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Alkohol ausgegangen. Die Feststellungen tragen jedoch nicht die weitere Annahme des Landgerichts, dass zwischen diesem Hang und den abgeurteilten Taten – zwei von dem Angeklagten gemeinsam mit Mittätern verübten bewaffneten Raubüberfällen auf Juweliergeschäfte im Januar 2015 und im Juni 2015 – ein symptomatischer Zusammenhang bestehe.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat zur Begründung seiner Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs lediglich angeführt, dass der Angeklagte – der nach den Feststellungen vor beiden Raubüberfällen jeweils zwei bis drei kleine Fläschchen Wodka konsumiert hatte, um sich zur Tatbegehung zu ermutigen – die Taten im alkoholbedingt enthemmten Zustand begangen habe.
Rz. 5
b) Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt es an dem für eine Unterbringung nach § 64 StGB erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Täters und der Anlasstat, wenn der Täter sich nüchtern zur Tat entschließt und sich sodann lediglich zur Erleichterung der Tatausführung Mut antrinkt (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128; Beschluss vom 30. Juni 2016 – 3 StR 231/16, juris Rn. 5; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 45).
Rz. 6
So liegt es hier. Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass es in beiden Fällen nicht der Alkoholgenuss war, der den Tatentschluss bei dem Angeklagten auslöste. Es handelte sich vielmehr bei beiden Raubüberfällen um Taten, die der Angeklagte und seine Mittäter bereits mehrere Tage im Voraus geplant, beschlossen und vorbereitet hatten und zu deren Begehung der Angeklagte jeweils eigens aus Litauen nach Deutschland gereist war. Dass der Angeklagte sich an beiden Tattagen Mut antrank, was zu seiner alkoholbedingten Enthemmung führte, war nur noch ein von ihm gezielt eingesetztes Mittel zur Erleichterung der Tatausführung, wie dies auch bei Tätern vorkommt, die keinen Hang im Sinne des § 64 StGB aufweisen; der symptomatische Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat wird hierdurch jedoch nicht begründet.
Rz. 7
c) Die Maßregel kann deshalb keinen Bestand haben. Da es indes nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und den begangenen Raubtaten noch festgestellt wird, ist über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erneut zu befinden. Der neue Tatrichter wird jedoch die Feststellung, der Angeklagte habe vor beiden Taten Alkohol konsumiert, um sich zur Tatbegehung zu ermutigen, als bindend zugrunde zu legen haben, da es sich hierbei um eine doppelrelevante, auch für die Schuldfähigkeitsbeurteilung bedeutsame Tatsache handelt.
Rz. 8
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass bei Vorliegen besonderer Umstände in der Person des Betroffenen – etwa bei weit gehender Sprachunkundigkeit eines ausreisepflichtigen Ausländers – dem Tatgericht die Möglichkeit eingeräumt ist, auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abzusehen (vgl. BT-Drucks. 16/5137, S. 10; BGH, Urteile vom 6. Juli 2017 – 4 StR 124/17, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 4; vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 411/07, StV 2008, 138; Beschluss vom 13. November 2007 – 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73 f.). Geben die Feststellungen Anlass zu einer solchen Prüfung, hat das Tatgericht die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände für das Revisionsgericht nachprüfbar im Urteil darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2017, aaO; Beschlüsse vom 3. Februar 2016 – 4 StR 547/15, juris Rn. 8; vom 12. März 2014 – 2 StR 436/13, StV 2014, 545; vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 472/08, BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 2).
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Bender, Feilcke
Fundstellen
Dokument-Index HI11935973 |