Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterleitungsverpflichtung des offensichtlich unzuständigen Beschwerdegerichts. Ordentlicher Geschäftsgang. Anspruch des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verzögerung der Weiterleitung durch das unzuständige Gericht
Leitsatz (amtlich)
a) Ist für das Beschwerdegericht ohne Weiteres zu erkennen, dass die an es adressierte Beschwerdeschrift gem. § 64 FamFG an das AG hätte gerichtet werden müssen, hat es sie an letzteres im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten (im Anschluss an BGH Beschl. v. 24.6.2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rz. 7 f. und Urt. v. 1.12.1997 - II ZR 85/97, NJW 1998, 908; BGH v. 15.6.2011 - XII ZB 468/10 - juris Rz. 12 zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch BVerfG NJW 2006, 1579).
b) Wäre der fristgerechte Eingang der Beschwerdeschrift beim AG bei der gebotenen Weiterleitung zu erwarten gewesen, ist dem Rechtsmittelführer bei unterbliebener Weiterleitung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das gilt auch dann, wenn er vom AG zutreffend über die Einlegung der Beschwerde belehrt worden ist.
Normenkette
FamFG §§ 39, 63 Abs. 1, § 64 Abs. 1; ZPO §§ 233, 237
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 03.01.2011; Aktenzeichen 19 UF 31/10) |
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 20.05.2010; Aktenzeichen 145 F 17688/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des KG in Berlin als Senat für Familiensachen vom 3.1.2011 aufgehoben.
Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG - FamG - Tempelhof-Kreuzberg vom 20.5.2010 gewährt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 10.483 EUR.
Gründe
A.
Rz. 1
Der Antragsteller begehrt die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist.
Rz. 2
Das AG hat dessen Antrag auf Abänderung des Unterhalts mit Beschluss vom 20.5.2010, dem Antragsteller am 26.5.2010 zugestellt, zurückgewiesen. Die Entscheidung beruht auf den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben sei, die beim AG innerhalb eines Monats schriftlich eingegangen sein müsse.
Rz. 3
Hiergegen hat der Antragsteller mit einem an das KG adressierten Schriftsatz vom 14.6.2010 "Beschwerde" eingelegt, der dort am 15.6.2010 eingegangen ist. Nach Eingang der Gerichtsakte beim KG am 1.7.2010 hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 5.7.2010 den Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Beschwerde beim AG hätte eingelegt werden müssen. Mit Beschluss vom 3.1.2011 hat das KG schließlich die Beschwerde des Antragstellers als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers vom 12.7.2010 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde.
B.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
I.
Rz. 5
Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Annahme des Beschwerdegerichts, es sei zu einer Weiterleitung der Beschwerde an das zuständige AG vor Eingang der Gerichtsakten nicht verpflichtet gewesen, weshalb dem Antragsteller wegen der mittlerweile eingetretenen Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, verletzt den Antragsteller in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH Beschl. v. 11.1.2011 - VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177 Rz. 3 m.w.N.).
II.
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Beschwerdegericht hätte dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen und deshalb die Beschwerde nicht als unzulässig verwerfen dürfen.
Rz. 8
1. Das KG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der in § 63 Abs. 1 FamFG bestimmten Beschwerdefrist von einem Monat eingelegt worden sei. Da der Beschluss dem Antragsteller am 26.5.2010 zugestellt worden sei, hätte die Beschwerde spätestens am 28.6.2010 (einem Montag) beim AG eingehen müssen, was nicht geschehen sei.
Rz. 9
Wiedereinsetzung könne dem Antragsteller nicht gewährt werden, weil die Versäumung der Beschwerdefrist nicht unverschuldet gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei die Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Beschluss nicht mehrdeutig, sondern weise unmissverständlich darauf hin, dass eine beabsichtigte Beschwerde beim AG einzulegen sei. Im Übrigen sei der Antragsteller anwaltlich vertreten, weshalb ein Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet sei und einer Wiedereinsetzung entgegenstehe.
Rz. 10
Entgegen der Ansicht des Antragstellers sei die Ursächlichkeit des Verschuldens seines Verfahrensbevollmächtigten für die Fristversäumung auch nicht deshalb zu verneinen, weil die fehlerhaft adressierte Beschwerdebegründung nicht innerhalb der Beschwerdefrist an das AG weitergeleitet worden sei. Abweichend von den vom BVerfG und BGH entschiedenen Fällen, in denen die beim Ausgangsgericht fälschlicherweise eingegangenen Rechtsmittel an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten seien, sei vorliegend das Beschwerdegericht, bei dem die Rechtsmittelschrift eingegangen sei, mit der Sache zuvor nicht befasst gewesen. Deshalb entfalle der Aspekt der nachwirkenden Fürsorgepflicht, auf den das BVerfG in seiner Entscheidung maßgeblich abstelle. Das Gericht habe ohne weitere Ermittlung nicht beurteilen können, ob die Beschwerdeschrift wegen der Regelung des § 64 Abs. 1 FamFG an das AG hätte adressiert werden müssen. Es hätte hier auch deshalb besonderer Ermittlungen bedurft, weil die Frage der richtigen Adressierung davon abhängig gewesen sei, ob das neue oder das bis zum 30.9.2009 in Familiensachen geltende Verfahrensrecht anzuwenden gewesen wäre. Der Antragsteller habe seinem Rechtsmittel zwar eine Kopie der angefochtenen Entscheidung beigefügt, jedoch habe die Prüfung des anzuwendenden Verfahrensrechts erst anhand der zu diesem Zeitpunkt dem Gericht noch nicht vorliegenden Sachakte erfolgen können. Der Partei und ihrem Verfahrensbevollmächtigten müsse die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden; dies gelte erst recht, wenn die der Entscheidung des Erstgerichts beigefügte Rechtsmittelbelehrung darüber zutreffend aufkläre, an welches Gericht ein beabsichtigtes Rechtsmittel zu adressieren sei und die Partei darüber hinaus von einem Rechtsanwalt vertreten werde.
Rz. 11
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 12
a) Allerdings ist das KG zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerde mangels Einhaltung der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG verfristet ist.
Rz. 13
b) Jedoch hat das Beschwerdegericht den Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht zurückgewiesen.
Rz. 14
aa) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG sind in Familienstreitsachen, wozu gem. § 112 Nr. 1 FamFG auch das hier streitgegenständliche Unterhaltsverfahren gehört, die §§ 233 ff. ZPO anzuwenden.
Rz. 15
Entgegen der von der Antragsgegnerin im Ausgangsverfahren geäußerten Rechtsauffassung hat der Antragsteller den Wiedereinsetzungsantrag auch beim zuständigen Gericht gestellt. Denn gem. § 237 ZPO entscheidet über den Antrag auf Wiedereinsetzung das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht; deshalb ist das Wiedereinsetzungsgesuch an das Beschwerdegericht zu richten (Nickel MDR 2010, 1227, 1230; Hk-ZPO/Saenger 4. Aufl., § 236 Rz. 2).
Rz. 16
Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers ist auch in der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO von zwei Wochen eingegangen. Nachdem das Beschwerdegericht den Antragsteller am 5.7.2010 auf die Verfristung hingewiesen hatte, hat er mit am 14.7.2010 beim KG eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung beantragt.
Rz. 17
bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts liegen auch die materiellen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor.
Rz. 18
(1) Allerdings hat das Beschwerdegericht zu Recht und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass der Antragsteller, der sich das Verhalten seines Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen muss, die Fristversäumung verschuldet hat. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann von einer Mehrdeutigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung keine Rede sein. Vielmehr ist ihr eindeutig zu entnehmen, dass die Beschwerde innerhalb von einem Monat beim AG einzulegen ist. Im Übrigen war der Antragsteller anwaltlich vertreten, weshalb ein möglicher Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet ist (BGH v. 23.6.2011 - XII ZB 82/10, FamRZ 2010, 1425 Rz. 11).
Rz. 19
(2) Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdegericht allerdings, soweit es die Ursächlichkeit des Verschuldens für die Fristversäumung bejaht, obgleich es die fehlerhaft adressierte Beschwerde nicht an das zuständige AG weitergeleitet hat.
Rz. 20
(a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die Verpflichtung des Richters, das Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Insbesondere sei der Richter allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten sei, könne sich aber nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern müsse auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden müsse. Danach müsse der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen falle etwa dann zugunsten des Rechtsuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig, jedoch vorher mit dem Verfahren befasst gewesen sei. Gleiches gelte für eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Rechtsbehelfsschrift. In diesen Fällen der offensichtlichen eigenen Unzuständigkeit stelle es für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine übermäßige Belastung dar, in Fürsorge für die Verfahrensbeteiligten einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschehe dies nicht, könne die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden gehen und es sei Wiedereinsetzung zu gewähren (BVerfG NJW 2006, 1579; s. auch BVerfG NJW 1995, 3173).
Rz. 21
(b) Dieser Rechtsprechung hat sich der BGH angeschlossen (s. etwa BGH, Urt. v. 1.12.1997 - II ZR 85/97, NJW 1998, 908; BGH v. 15.6.2011 - XII ZB 468/10 - juris Rz. 12 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Rz. 22
Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden, besteht zwar keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne Weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen ist (vgl. BGH Beschl. v. 24.6.2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rz. 7 f.; vgl. auch BVerfG NJW 2006, 1579 für den Fall einer "leicht und einwandfrei als fehlgeleitet" erkennbaren Rechtsbehelfsschrift).
Rz. 23
(c) Diese Grundsätze sind gleichermaßen auf den vorliegenden Fall anzuwenden, in dem die Beschwerde in einer Familienstreitsache anstatt an das gem. § 64 Abs. 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständige AG an das Beschwerdegericht adressiert wurde. Das angerufene Gericht hat die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das AG weiterzuleiten, wenn ohne Weiteres die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erkennbar und - damit regelmäßig - die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist (vgl. auch BeckOK Hahne/Munzig/Gutjahr FamFG § 63 Rz. 46; derselbe FPR 2006, 433, 434; MünchKomm/ZPO/Koritz 3. Aufl., § 64 Rz. 2; Musielak/Borth/Grandel FamFG 2. Aufl., § 63 Rz. 4; Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 5. Aufl., § 64 FamFG Rz. 2). Denn auch in diesen Fällen der offensichtlichen eigenen Unzuständigkeit stellt es für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine übermäßige Belastung dar, in Fürsorge für die Verfahrensbeteiligten einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. BVerfG NJW 2006, 1579).
Rz. 24
Daran ändert auch die mit § 39 FamFG eingeführte Rechtsbehelfsbelehrung nichts. Zwar wird durch sie regelmäßig für den Beschwerdeführer hinreichende Klarheit darüber geschaffen, bei welchem Gericht er sich gegen die erstinstanzliche Entscheidung wenden kann (BT-Drucks. 16/6308, 206). Legt der Beschwerdeführer trotz zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung sein Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht ein, spricht das - unbeschadet einer anwaltlichen Vertretung - für sein Verschulden i.S.d. § 233 ZPO. Davon unberührt bleibt jedoch die Verpflichtung des Gerichts, bei entsprechender Erkennbarkeit die Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. auch BVerfG NJW 1995, 3173, 3175, wonach bei einer unterbliebenen Weiterleitung der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren ist, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht). Bei Vorliegen der angefochtenen Entscheidung wird dem Gericht die Erkennbarkeit seiner eigenen Unzuständigkeit durch die Rechtsbehelfsbelehrung vielmehr noch erleichtert.
Rz. 25
Das angerufene Gericht wird seine Unzuständigkeit regelmäßig ohne Weiteres erkennen können, wenn der Rechtsmittelführer mit der Beschwerde eine Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung einreicht. Dabei ist maßgeblich, welches Recht das Ausgangsgericht angewandt hat. Ist dieses - wie im Streitfall - von der Anwendung neuen Rechts, also des FamFG, ausgegangen, so hat das Beschwerdegericht (zunächst) von der Anwendung diesen Rechts auszugehen. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass das Ausgangsgericht tatsächlich altes Recht hätte anwenden müssen mit der Folge, dass das angerufene Gericht für den Eingang der Beschwerde zuständig gewesen wäre, ist dies für die Zulässigkeit des Rechtsmittels unschädlich. Denn zum einen ändert die Weiterleitung des Rechtsmittels an das Ausgangsgericht nichts an der Tatsache, dass jenes rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen ist. Zum anderen greift nach der Rechtsprechung des Senats in solchen Fällen der sog. Meistbegünstigungsgrundsatz (Senatsbeschluss v. 6.4.2011 - XII ZB 553/10, FamRZ 2011, 966). Danach wird die Rechtsmittelfrist auch durch die Einlegung einer Beschwerde beim Ausgangsgericht gewahrt.
Rz. 26
Unterbleibt allerdings die Vorlage einer entsprechenden Ausfertigung, die gem. § 64 FamFG keine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt, liegt dem Beschwerdegericht also allein die Beschwerdeschrift vor und lässt sich dieser nicht entnehmen, dass es unzuständig ist, ist es nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen anzustellen. Sofern sich allerdings aus den angeforderten Gerichtsakten seine Unzuständigkeit ergeben sollte, ist das Gericht verpflichtet, nach Eingang der Akten die Beschwerdeschrift an das zuständige Gericht weiterzuleiten, vorausgesetzt, die Frist kann noch im ordentlichen Geschäftsgang gewahrt werden.
Rz. 27
Weitere Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist, dass die bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang verbleibende Zeit für die Fristwahrung ausreichend ist.
Rz. 28
(3) Gemessen an diesen Anforderungen hätte das KG die Beschwerdeschrift an das AG weiterleiten müssen und demgemäß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen.
Rz. 29
Für das Beschwerdegericht war anhand der vom Beschwerdeführer eingereichten Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung ohne Weiteres erkennbar, dass das AG nach dem neuen Verfahrensrecht entschieden hat. So hat das KG selbst ausgeführt, dass sich aus der angefügten Rechtsbehelfsbelehrung unmissverständlich ergebe, dass die Beschwerde beim AG einzulegen sei. Im Übrigen ist der recht kurz gehaltenen Entscheidung des AG eindeutig zu entnehmen, dass dieses die Vorschriften des FamFG angewandt hat. Entgegen der Auffassung des KG war es bei dieser Sachlage nicht gehalten zu überprüfen, ob das AG zu Recht das neue Verfahrensrecht angewandt hat. Deshalb durfte es den Eingang der Gerichtsakten, der am 1.7.2010 und damit für eine Weiterleitung zu spät erfolgte, nicht abwarten. Dafür, dass der Antragsteller das nach § 58 FamFG statthafte Rechtsmittel einlegen wollte, spricht im Übrigen der Umstand, dass er sein Rechtsmittel als "Beschwerde" und nicht etwa als Berufung bezeichnet hat.
Rz. 30
Schließlich wäre die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige AG im ordentlichen Geschäftsgang auch möglich gewesen. Denn die Beschwerdeschrift war bereits am 15.6.2010 beim KG eingegangen. Demgegenüber lief die Beschwerdefrist erst am 28.6.2010 (einem Montag), also knapp zwei Wochen später ab.
III.
Rz. 31
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben.
Rz. 32
Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, konnte der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ursächlichkeit des Verschuldens lediglich noch auf einer rechtlichen Bewertung beruht.
Rz. 33
In der Sache selbst ist es dem Senat allerdings verwehrt, abschließend zu entscheiden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Das KG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Die von ihm hilfsweise zur Begründetheit gemachten Ausführungen sind im Rechtsbeschwerderechtszug regelmäßig als in keiner Hinsicht verbindlich und als nicht geschrieben zu behandeln (vgl. BGHZ 46, 281, 285). Insoweit war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gem. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zurückzuverweisen.
Fundstellen