Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 22.02.2019; Aktenzeichen 2670 Js 6232/18 6 Ks) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 22. Februar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und eine Selbstladepistole mit Magazin eingezogen. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
1. Die Tochter D. K. des Angeklagten wollte den Nebenkläger heiraten. Damit war der Angeklagte nicht einverstanden. Bei einem Treffen des Angeklagten mit dem Nebenkläger am 26. Dezember 2017 kam es zu einem Streit, wobei der Nebenkläger den Angeklagten „massiv beleidigte”. Nach dem Vorfall sprach die Tochter D. K. nicht mehr mit dem Angeklagten, worunter dieser litt. Die Familie des Angeklagten hatte auch Angst vor Repressalien. Der Angeklagte schätzte den Nebenkläger und dessen Familie, die in S. wohnten, als gewaltbereit ein. Vermittlungsversuche durch Bekannte scheiterten. Im Januar 2018 kaufte D. K. die Hochzeitsausstattung, wofür sie von dem Nebenkläger und vom Angeklagten Geld erhielt. Der Imam Ka. aus S. wollte den Angeklagten treffen, lehnte es aber ab, den Nebenkläger mitzubringen, worauf der Angeklagte erklärte: „Dann komme ich am Sonntag”.
Rz. 4
Der Angeklagte machte nunmehr Schießübungen mit einem Luftgewehr beim G. Schützenverein. Dann besorgte er sich eine Pistole im Kaliber 7,65 mm mit vier Schuss Munition und eine Luftpistole. Die Waffen trug er verdeckt im Hosenbund und begab sich damit am Sonntag, dem 11. Februar 2018, nach S. zum Gebetshaus. Gegen 17.00 Uhr betrat er die Moschee, in der sich auch der Nebenkläger aufhielt. Der Angeklagte forderte diesen auf, mit ihm nach draußen zu kommen. Vor der Moschee standen sich die beiden in zwei bis drei Metern Entfernung gegenüber. Der Nebenkläger fragte den Angeklagten, was sein Problem mit der Hochzeit sei. Der antwortete: „Mach dir keine Sorgen. Das klären wir gleich. Du wirst das schon verstehen. Lass uns an einen Ort gehen, wo es ruhiger ist als hier.” Als der Nebenkläger dies ablehnte, zog der Angeklagte die Waffen und richtete sie auf den Nebenkläger. Dieser hielt die Waffen nicht für echt und sagte zu dem Angeklagten, dass er doch schießen solle. Darauf gab der Angeklagte, der spätestens jetzt beabsichtigte, den Nebenkläger zu töten, vier Schüsse aus der Selbstladepistole ab. Zwei dieser Schüsse trafen den Nebenkläger in den Bauch, zwei gingen fehl. Der Nebenkläger bekam keine Luft mehr und taumelte. Er ergriff eine leere Flasche aus einem Altglascontainer und warf sie in Richtung des Angeklagten, den er jedoch verfehlte. Dann gab der Angeklagte mehrere Schüsse aus der Luftpistole ab, die den Nebenkläger an Stirn und Oberschenkeln trafen, worauf dieser floh. Der Angeklagte sandte ihm zwei Schüsse aus der Luftpistole nach, die ihn im Nacken und hinter dem Ohr trafen. Der Angeklagte entfernte sich zuerst, lief dann aber dem Geschädigten hinterher und rief, dieser solle stehen bleiben, da er noch nicht mit ihm fertig sei. Der Angeklagte ging davon aus, dass er dem Nebenkläger tödliche Verletzungen beigebracht hatte und floh vom Tatort.
Rz. 5
2. Das Landgericht hat die Tat als versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung beurteilt. Ein freiwilliger Rücktritt vom Tötungsversuch habe nicht vorgelegen, weil die Munition aus der gefährlichen Selbstladepistole verbraucht gewesen sei, ohne dass der Angeklagte auch in die Luft geschossen habe, und die Luftpistole als Tatwerkzeug zur Tötung des Nebenklägers nicht geeignet gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt. Jedenfalls die Beweiswürdigung zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom Versuch der Tötung des Nebenklägers begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 7
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält. Wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung in zutreffender Einschätzung der durch die Tathandlung verursachten Gefährdung des Opfers den Erfolgseintritt für möglich hält, ist der Versuch beendet. Entsprechendes gilt, wenn der Täter den Erfolgseintritt in Verkennung der Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält. Ein strafbefreiender Rücktritt setzt in solchen Fällen voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt verhindert oder sich jedenfalls ernsthaft darum bemüht, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt. Rechnet der Täter nach der letzten Ausführungshandlung noch nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der verursachten Gefährdung des Opfers, ist der Versuch unbeendet, sofern die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist. In Fällen unbeendeten Versuchs genügt ein bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung und Nichtweiterhandeln, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen. Abzugrenzen von den Fällen des unbeendeten und beendeten Versuchs sind die Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs, in denen entweder der Erfolgseintritt, wie der Täter erkennt, nicht mehr möglich ist, oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält. Dann ist ein Rücktritt ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.).
Rz. 8
b) Der Rücktrittshorizont kann in engen Grenzen auch noch nachträglich korrigiert werden. Erkennt der Täter, der nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf, dass er sich geirrt hat, kann er durch Abstandnahme von weiteren möglichen Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten. Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor (BGH, Urteil vom 15. März 2018 – 4 StR 397/17).
Rz. 9
2. Mit diesen Möglichkeiten hat sich das Landgericht nicht erschöpfend auseinandergesetzt, obwohl die Feststellungen dazu Anlass bieten.
Rz. 10
a) Das Landgericht ist von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen, weil die Selbstladepistole leergeschossen war, es entgegen seiner Einlassung in einer Verteidigererklärung keine Schüsse des Angeklagten damit in die Luft gegeben habe und die Luftpistole kein taugliches Tatwerkzeug gewesen sei.
Rz. 11
b) Die Ausführungen hierzu sind lückenhaft.
Rz. 12
aa) Zeugenangaben zur Schussabgabe sind vom Landgericht nicht abschließend bewertet worden. Der Zeuge C. hat nach seiner Darstellung zuerst zwei Schüsse gehört, ist daraufhin zum Fenster gegangen und hat dann drei weitere Schüsse in gleicher Lautstärke gehört. Ähnlich haben der Zeuge T. und die Zeugin Sc. ausgesagt, es seien zuerst zwei, kurz darauf noch zwei oder drei laute Schüsse gefallen. Nur der Zeuge E. hat erklärt, es habe „plötzlich dreimal sehr laut geknallt”. Das Landgericht meint hiernach: „Die Einlassung des Angeklagten, dass er zunächst zwei oder drei Mal mit der scharfen Waffe auf den Nebenkläger und später – als der Nebenkläger floh – damit ein oder zwei Mal in die Luft geschossen habe, ist damit widerlegt.” Diese Bemerkung greift zu kurz, weil zumindest ein Teil der Zeugen von zwei akustisch wahrgenommenen Schussserien gesprochen hat und die nicht ebenso hörbaren, aber optisch wahrnehmbaren Schüsse mit der Luftpistole, auch gegenüber dem fliehenden Nebenkläger, davon zu unterscheiden wären. Eine differenzierende Bewertung der Zeugenaussagen hierzu hat das Landgericht nicht vorgenommen.
Rz. 13
Warum der Angeklagte die weiteren Schüsse mit der Luftpistole, die den fliehenden Nebenkläger im Nacken und am Kopf getroffen haben, abgegeben hat, wird im Urteil nicht im Zusammenhang mit der Frage seines Rücktrittshorizonts erörtert.
Rz. 14
bb) Lag kein rechtsfehlerfrei festgestellter Fehlschlag des Tötungsversuchs vor, bleibt der Rücktrittshorizont des Angeklagten von Bedeutung. Die Ausführungen des Landgerichts dazu sind lückenhaft.
Rz. 15
(1) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte sich zuerst entfernt, um danach dem Nebenkläger nachzulaufen und ihm zuzurufen, er solle stehen bleiben, weil er, der Angeklagte, „noch nicht mit ihm fertig sei”. Das kann für einen „korrigierten Rücktrittshorizont” sprechen. Darauf ist das Landgericht nicht eingegangen.
Rz. 16
Zudem steht die Äußerung des Angeklagten, er sei noch nicht mit dem Nebenkläger „fertig”, inhaltlich in einem Widerspruch zu der Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte sei bereits davon ausgegangen, dass er den Nebenkläger tödlich verletzt habe. Dieser Widerspruch wird im Urteil nicht aufgelöst.
Rz. 17
(2) Die Behauptung des Angeklagten im Rahmen der für ihn abgegebenen Verteidigererklärung, er habe sich angesichts des Weglaufens des Nebenklägers nicht vorstellen können, dass dieser schon tödlich getroffen gewesen sei, ist, unbeschadet des reduzierten Beweiswerts einer Verteidigererklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 5 StR 578/08, NStZ-RR 2009, 145 f.), jedenfalls plausibel. Warum sie nicht zutreffend sein soll, ist anhand der Urteilsgründe ebenfalls nicht nachzuvollziehen.
Rz. 18
3. Ist daher die Verurteilung wegen versuchten Mordes rechtlich zu beanstanden, muss der Senat auch die Verurteilung wegen einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung aufheben.
Unterschriften
Franke, Eschelbach, Zeng, Meyberg, Wenske
Fundstellen
Haufe-Index 13687953 |
JuS 2020, 465 |
NStZ-RR 2020, 102 |
StV 2021, 90 |