Entscheidungsstichwort (Thema)
Allstimmigkeit bei baulicher Veränderung
Leitsatz (amtlich)
Bauliche Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums, durch die nicht die Rechte aller Wohnungseigentümer i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG beeinträchtigt werden, bedürfen der Zustimmung nur derjenigen Wohnungseigentümer, die von der beabsichtigten Maßnahme in ihren Rechten betroffen werden. Ein Mehrheitsbeschluß der Wohnungseigentümer ist weder erforderlich noch ausreichend.
Normenkette
WEG § 22
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 18.04.1978) |
OLG Stuttgart |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 18. April 1978 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Geschäftswert für die weitere Beschwerde wird auf 2.000 DM festgesetzt.
Gründe
Gründe:
Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer des Anwesens S. 30–32 in S. Den Antragstellern gehört eine im Erdgeschoß liegende Wohnung. Ihnen steht nach der Teilungserklärung das Recht zur ausschließlichen Benutzung einer angrenzenden Gartenfläche zu, die von einer Hecke umgeben ist. Zwischen der Hecke und der Hauswand befindet sich eine Lücke. Darin brachten die Antragsteller im Frühjahr 1976 ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer eine massive Metalltür von 1,6 m Höhe an, die an einer Seite an der Hauswand befestigt ist.
In der Versammlung vom 29. April 1977 beschlossen die Wohnungseigentümer, daß die Antragsteller die Tür zu entfernen hätten.
Die Antragsteller haben im Verfahren nach § 43 WEG rechtzeitig beantragt, diesen Beschluß für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist erfolglos geblieben. Auf die sofortige weitere Beschwerde möchte das Oberlandesgericht den Beschluß des Landgerichts aufheben und die Sache zurückverweisen. Es ist der Ansicht, die Antragsteller hätten die Tür ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer errichten dürfen, wenn deren Rechte dadurch nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt worden seien (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG); dazu müsse das Landgericht noch Feststellungen treffen. An einer entsprechenden Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht aber durch die Beschlüsse des Kammergerichts in Berlin vom 31. August 1967 (NJW 1968, 160 = OLGZ 1967, 479) und vom 19. Juni 1969 (NJW 1969, 2205 = OLGZ 1970, 58) gehindert. Das Kammergericht hält bauliche Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums im Falle des § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG nur aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Wohnungseigentümer für zulässig. Das Oberlandesgericht hat daher die sofortige weitere Beschwerde dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
I.
Die Vorlage ist statthaft (§ 43 Abs. 1 WEG i.V.m. § 28 Abs. 2 FGG). Die Antragsteller könnten mit ihrem Begehren keinesfalls durchdringen, wenn es für die von ihnen vorgenommene bauliche Veränderung eines Mehrheitsbeschlusses der Wohnungseigentümer bedürfte. Das Oberlandesgericht will das verneinen und setzt Sich damit in Widerspruch zu den angeführten Beschlüssen des Kammergerichts. Die Beurteilung des vorlegenden Gerichts, es könne über die weitere Beschwerde nicht ohne eine Stellungnahme zu der von ihm herausgestellten Rechtsfrage entscheiden, ist für den Senat bindend (BGHZ 7, 339, 341; 54, 65, 67; 71, 314, 315).
II.
Der Senat tritt der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts bei.
1. Gemäß § 21 Abs. 3 WEG können die Wohnungseigentümer eine der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Eigentums entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung durch Stimmenmehrheit beschließen, soweit die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nicht durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer geregelt ist. Nach § 21 Abs. 4 WEG kann jeder Wohnungseigentümer eine Verwaltung verlangen, die den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit solche nicht bestehen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht.
Bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, können nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht gemäß § 21 Abs. 3 beschlossen oder gemäß § 21 Abs. 4 verlangt werden, sind also nur einstimmig möglich. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG ist jedoch die Zustimmung eines Wohnungseigentümers zu solchen Maßnahmen insoweit nicht erforderlich, als durch die Veränderung dessen Rechte nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden.
2. Ob eine bauliche Veränderung, durch die nicht die Rechte aller Wohnungseigentümer im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG beeinträchtigt werden, eines Mehrheitsbeschlusses bedarf oder nicht, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Einen Mehrheitsbeschluß, an dem dann auch die durch die bauliche Veränderung in ihren Rechten nicht beeinträchtigten Wohnungseigentümer mitwirken könnten, halten für erforderlich neben dem Kammergericht (NJW 1968, 160 = OLGZ 1967, 479; NJW 1969, 2205 = OLGZ 1970, 58) Pritsch in RGRK 11. Aufl. Anm. 6 und Baur in Soergel/Siebert 11. Aufl. Rdn. 3 je zu § 22 WEG. Demgegenüber erachten mit dem vorlegenden Oberlandesgericht Stuttgart die Zustimmung nur derjenigen Wohnungseigentümer für notwendig, die von der baulichen Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums in ihren Rechten betroffen werden, selbst wenn sie die Minderheit darstellen, Bärmann/Pick 3. Aufl. Rdn. 70, Weitnauer/Wirths 5. Aufl. Rdn. 3, Erman/H. Westermann 6. Aufl. Rdn. 1, Palandt/Bassenge 38. Aufl. Anm. 1 b (je zu § 22 WEG) und Diester, Wichtige Rechtsfragen des Wohnungseigentums (1974) Rdn. 225. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Frage offengelassen (BayObLGZ 1971, 273, 282).
3. Der überwiegenden, auch vom vorlegenden Oberlandesgericht geteilten Ansicht ist zu folgen.
a) § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG weicht von dem Grundsatz des § 21 Abs. 3 WEG, daß Beschlüsse der Wohnungseigentümer über die ordnungsmäßige Verwaltung durch Stimmenmehrheit gefaßt werden können, ab und verlangt Einstimmigkeit, weil es sich bei baulichen Veränderungen und den sonstigen dort genannten Aufwendungen um Maßnahmen handelt, die über eine ordnungsmäßige Verwaltung hinausgehen. Das findet seine Rechtfertigung darin, daß insbesondere mit baulichen Veränderungen in die Rechte der Wohnungseigentümer am gemeinschaftlichen Eigentum stärker eingegriffen wird als durch Maßnahmen einer ordnungsmäßigen Verwaltung, die ohnehin unumgänglich sind. Werden nun aber Rechte einzelner Wohnungseigentümer über das in § 14 WEG festgelegte Maß hinaus gar nicht beeinträchtigt, so fehlt es an einem rechtfertigenden Grund dafür, daß auch solche Wohnungseigentümer die beabsichtigte Veränderung mitbeschließen müssen. Das wäre nicht interessengerecht. Folgerichtig bestimmt deshalb § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG, daß die Zustimmung eines von der baulichen Veränderung gar nicht beeinträchtigten Wohnungseigentümers nicht erforderlich ist. Im übrigen hat es aber dabei zu bleiben, daß alle betroffenen Wohnungseigentümer zustimmen müssen.
b) Die Vorschrift modifiziert infolgedessen lediglich das in Satz 1 für die dort aufgeführten Maßnahmen aufgestellte Erfordernis der Einstimmigkeit. Die Bestimmung kehrt nicht etwa zu dem nach § 21 Abs. 3 WEG geltenden, nur für die ordnungsmäßige Verwaltung passenden Grundsatz der Stimmenmehrheit der Wohnungseigentümer zurück, wie das Kammergericht meint. Das würde dem Sinn und Zweck der gesamten in § 22 Abs. 1 WEG getroffenen Regelung zuwiderlaufen. Denn dann wäre es zum einen möglich, daß eine bauliche Veränderung von Wohnungseigentümern verhindert würde, die von der Maßnahme in ihren Rechten überhaupt nicht beeinträchtigt wären. Zum anderen würde es nicht genügen, wenn sich die durch eine bauliche Veränderung betroffenen Wohnungseigentümer, wenn sie sich in der Minderheit befinden, über die Maßnahme einig sind. Es müßte dann auch, um einen Mehrheitsbeschluß herbeizuführen, zumindest ein Teil der nicht betroffenen Wohnungseigentümer zustimmen. Die Zustimmung solcher in ihren Rechten nicht beeinträchtigter Wohnungseigentümer soll aber nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG gerade nicht erforderlich sein.
c) Die Vorschrift kann deshalb nur so verstanden werden, daß Wohnungseigentümer, deren Rechte durch eine bauliche Veränderung nicht über das in § 14 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden, aus dem Kreis derer ausscheiden, die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG über eine bauliche Veränderung einstimmig zu entscheiden haben. Dementsprechend werden sie durch eine Maßnahme, der sie nicht zugestimmt haben, weil sie nicht zuzustimmen brauchten, gemäß § 16 Abs. 3 WEG auch nicht mit Kosten belastet. Die schutzwürdigen Belange der Wohnungseigentümergemeinschaft, zumindest der Mehrheit ihrer Mitglieder, über Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums mitzubestimmen, werden hinreichend bei der Beurteilung berücksichtigt, ob bauliche Veränderungen die Rechte der anderen Wohnungseigentümer, auch die der Gemeinschaft als solcher, beeinträchtigen. Nur wenn das nicht der Fall ist, genügt der einstimmige Beschluß der betroffenen Minderheit oder gegebenenfalls auch die Entscheidung eines einzelnen Wohnungseigentümers, falls er allein betroffen ist. Damit wird ein gerechter Interessenausgleich für alle Beteiligten erreicht.
III.
Die Antragsgegner können mithin die Entfernung der Tür nicht schon deshalb verlangen, weil die Antragsteller sie ohne einen entsprechenden Mehrheitsbeschluß eingebaut haben. Da aber die Antragsteller unstreitig die Zustimmung keines anderen Wohnungseigentümers eingeholt haben, war ihr Vorgehen nur dann rechtmäßig, wenn keiner der übrigen Wohnungseigentümer dadurch in seinen Rechten über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt worden ist (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG).
1. Nach den eigenen Angaben der Antragsteller ist die Gartentür, die sie angebracht haben, „59 cm breit und 160 cm hoch und erreicht bis zur oberen Stabilitätsumrahmung eine Gesamthöhe von 192 cm”. Sie ist an einer Seite in der Hauswand fest verankert. Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß die Errichtung einer solchen massiven Metalltür eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG darstellt.
2. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 WEG hat ein Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung hinzunehmen, durch die ihm kein Nachteil erwächst, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht. Es kommt demnach nicht darauf an, ob die Maßnahme für die Gemeinschaft zwingend erforderlich ist (so noch BayObLGZ 1971, 273, 281). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die bauliche Veränderung andere Wohnungseigentümer in vermeidbarer Weise tatsächlich benachteiligt. Soweit das nicht der Fall ist, bedarf es deren Zustimmung nicht (vgl. BayObLGZ 1975, 177, 183; OLG Hamm OLGZ 1976, 61, 62; OLG Hamburg MDR 1977, 230; Baur in Soergel/Siebert, BGB 11. Aufl. § 22 WEG Rdn. 3). Wird die bauliche Veränderung – wie hier – im Rahmen eines einem Wohnungseigentümer zustehenden Sondernutzungsrechts am gemeinschaftlichen Eigentum vorgenommen, kann es eine Rolle spielen, ob die Maßnahme einen weitergehenden Nachteil bewirkt als dieser bereits durch die Begründung des Sondernutzungsrechts bedingt und deshalb von der Gemeinschaft hinzunehmen ist (BayObLGZ 1975, 177, 183).
3. Es kann offen bleiben, ob die betroffenen Wohnungseigentümer ihre Entscheidung stets in einem förmlichen Beschluß treffen müssen, oder ob, wie das vorlegende Oberlandesgericht meint, auch die außerhalb einer Eigentümerversammlung erklärte Zustimmung genügt. Ein Beschluß wäre jedenfalls dann entbehrlich, wenn durch den Einbau der Tür kein anderer Wohnungseigentümer benachteiligt würde. Der Beschluß der Antragsteller selbst wäre eine leere Förmelei. Würden dagegen weitere Wohnungseigentümer durch die bauliche Veränderung in ihren Rechten beeinträchtigt, so handelten die Antragsteller auch dann rechtswidrig, wenn ein Beschluß nicht erforderlich wäre. Denn selbst an der formlosen Zustimmung dieser Eigentümer würde es hier fehlen.
IV.
Das Landgericht hat nicht festgestellt, ob durch die Errichtung des Gartentores andere Wohnungseigentümer in ihren Rechten über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist deshalb der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten haben, daß eine Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer auch in einer Veränderung des architektonischen Gesamteindrucks der Anlage bestehen kann (vgl. BayObLGZ 1975, 177, 183; OLG Stuttgart OLGZ 1970, 74, 76; OLG Hamburg MDR 1977, 230). Um das zu beurteilen, erscheint die vom Oberlandesgericht vermißte Einnahme eines Augenscheins zweckmäßig. Das Landgericht wird sich ferner damit befassen müssen, ob ein von den Antragsgegnern nicht hinzunehmender Nachteil darin bestehen könnte, daß dem Verwalter durch die von den Antragstellern angebrachte Gartentür der Zugang zum Öltankraum erschwert wird.
Unterschriften
Vogt, Girisch, Recken, Doerry, Bliesener
Fundstellen
Haufe-Index 731131 |
BGHZ |
BGHZ, 196 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1979, 422 |