Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 14.09.2021; Aktenzeichen 9 U 257/20) |
LG Köln (Urteil vom 16.12.2020; Aktenzeichen 20 O 136/20) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 14. September 2021 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin gegen den beklagten Versicherungsverein Ansprüche aus einer bei diesem gehaltenen Betriebsschließungsversicherung wegen der Schließung des Restaurants der Klägerin im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zustehen.
Rz. 2
Der Versicherungsschein vom 10. Februar 2015 bestimmt, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten unter anderem nach den Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (AVB-BS) und dem Produktinformationsblatt Betriebsschließungsversicherung, jeweils Stand 1. Januar 2015, richten.
Rz. 3
Die AVB-BS lauten auszugsweise:
"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren [im Original fettgedruckt]
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb … zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; …
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden [im Original fettgedruckt], im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten: …
b) Krankheitserreger: …
…"
Rz. 4
In § 1 Nr. 2 Buchst. a und b AVB-BS werden weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgeführt.
Das zweiseitige Produktinformationsblatt lautet auszugsweise:
"Mit den nachfolgenden Informationen möchten wir Ihnen einen ersten Überblick über die angebotene Versicherung geben. Diese Informationen sind jedoch nicht abschließend. Der vollständige Vertragsinhalt ergibt sich aus dem Antrag, dem Versicherungsschein und den beigefügten Versicherungsbedingungen.
1. Art der Versicherung [im Original fettgedruckt]
Bei der angebotenen Versicherung handelt es sich um eine Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr. Grundlage sind die beigefügten Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (AVB BS), die Besonderen Bedingungen und Vereinbarungen sowie die Tarifbestimmungen.
2. Umfang der Versicherung [im Original fettgedruckt]
Die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr sichert den Inhaber eines Betriebes vor den wirtschaftlichen Folgen einer im Betrieb auftretenden Infektion ab.
Die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz = IfSG) bei Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
- den versicherten Betrieb schließt;
- Tätigkeitsverbote - auch für einzelne beschäftigte Personen - verhängt;
- die Desinfektion der Betriebsräume und Einrichtungen und/oder von Vorräten und Waren anordnet;
- Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen nach dem IfSG durchgeführt werden.
…
4. Ausschlüsse [im Original fettgedruckt]
Wir können nicht alle denkbaren Fälle versichern, denn sonst müssten wir einen unangemessen hohen Beitrag verlangen. Deshalb haben wir einige Fälle aus dem Versicherungsschutz herausgenommen. Nicht versichert sind
…
Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Einzelheiten und weitere Ausschlussgründe entnehmen Sie bitte dem § 3 der beigefügten AVB-BS.
…"
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage, mit welcher die Klägerin Versicherungsleistungen für die vereinbarte Haftzeit von 30 Tagen, an denen sie ihr Restaurant - in streitigem Umfang - schließen musste, geltend macht, abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
Rz. 6
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt die Auslegung der Versicherungsbedingungen, dass sich das Leistungsversprechen des Versicherers ausschließlich auf die dort explizit genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger erstrecke und demnach COVID-19 beziehungsweise SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz der Betriebsschließungsversicherung umfasst seien. Abweichendes ergebe sich nicht aus den Angaben im Produktinformationsblatt. Im Hinblick auf den in diesem mehrfach und gleich zu Beginn enthaltenen Hinweis auf die maßgebliche Geltung der Versicherungsbedingungen werde der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer erkennen, dass sich die Details zu dem versicherten Risiko aus den speziellen Versicherungsbedingungen ergäben; Einzelheiten und Abgrenzungsfragen sollten erkennbar diesen Detailregelungen vorbehalten bleiben.
Rz. 7
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf Versicherungsleistungen weiter.
Rz. 8
II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 9
1. Mit Urteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344) hat der Senat entschieden, dass bei einer Bedingungslage wie der dort maßgeblichen Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen besteht, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem in dem Klauselwerk aufgeführten Katalog (dort in § 2 Nr. 2 der "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008" (ZBSV 08)), der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Die dortigen Ausführungen gelten im Streitfall entsprechend, dem im Wesentlichen vergleichbare Bedingungen zugrunde liegen.
Rz. 10
Damit ist die hier entscheidungserhebliche Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung geklärt, und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gegebene Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist entfallen.
Rz. 11
2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsurteil steht in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil. Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die Rüge, die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass die Beschreibung des Versicherungsschutzes im Produktinformationsblatt, welches durch die Bezugnahme im Versicherungsschein Bestandteil des Vertrages geworden sei, den Versicherungsschutz umfassend und ohne das Erfordernis einer näheren Konkretisierung beschreibe. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, der klarstellende Hinweis im Produktinformationsblatt darauf, dass die Informationen nicht abschließend seien und sich der vollständige Vertragsinhalt aus dem Antrag, dem Versicherungsschein und den beigefügten Versicherungsbedingungen ergebe, wie auch der Umstand, dass der nachfolgende Absatz auf die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (AVB-BS) als Grundlage der angebotenen Versicherung verweise, machten deutlich, dass Einzelheiten und Abgrenzungsfragen diesen Versicherungsbedingungen vorbehalten bleiben sollten.
Rz. 12
Ein davon abweichendes Verständnis, wonach die Beschreibung des Umfangs der Versicherung im Produktinformationsblatt wegen dessen Inbezugnahme im Versicherungsschein gleichrangig neben dem durch die Versicherungsbedingungen ausgeformten Leistungsversprechen stehe, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer - anders als die Revision meint - bereits aufgrund des - nach § 4 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VVGInfoV in der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung gebotenen - allgemeinen Hinweises auf den Zweck des Produktinformationsblatts nicht in Erwägung ziehen. Dieses soll ihm - wie der Hinweis verdeutlicht - lediglich einen "ersten Überblick über die angebotene Versicherung" vermitteln und damit gerade keine erschöpfende Darstellung der Informationen beinhalten, sondern dem Versicherungsnehmer lediglich die Möglichkeit geben, sich anhand der erteilten Informationen weiter gehende Kenntnisse vom Inhalt des Vertrages unschwer zu verschaffen (Begründung zur VVG-InfoV, abgedruckt in VersR 2008, 183, 190: "erste Orientierungshilfe"). Dass die Umschreibung des Umfangs der Versicherung im Produktinformationsblatt, anders als die Information über Ausschlüsse, keinen ergänzenden Hinweis auf die insoweit maßgebliche Bestimmung der Versicherungsbedingungen enthält, ändert hieran - entgegen der Auffassung der Revision - nichts.
Rz. 13
Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 - I ZR 255/02, NJW-RR 2005, 650 unter II 1 [juris Rn. 6 f.]).
Prof. Dr. Karczewski |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Piontek |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.
Fundstellen
Dokument-Index HI15636633 |