Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 04.04.2003) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. April 2003 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Der Hilfsantrag des Angeklagten, die Entscheidung über die Revision bis zur Entscheidung des 2. Senates des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 625/01 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kranken in Einrichtungen in vier Fällen (§ 174 a Abs. 2 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn in einem weiteren Fall freigesprochen. Es hat gegen den Angeklagten ein Berufsverbot für den medizinischen Bereich, soweit es um weibliche Patientinnen geht, für die Dauer von drei Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Nebenklägerin N. ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 EUR zuzüglich Zinsen zu zahlen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
A.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war seit 1985 an der neurologischen Universitätsklinik K. tätig, seit 1995 ist er dort als Oberarzt und außerplanmäßiger Professor angestellt. Von Ende 1999 bis April 2000 nahm er an vier Patientinnen im Rahmen von neurologischen Untersuchungen und von Therapien sexuelle Handlungen vor, inbesondere täuschte er Untersuchungshandlungen an den Brüsten und im Genitalbereich vor, die zum Teil mit einer Stimmgabel, zum Teil mit den Fingern durchgeführt wurden; einer Patientin griff er bei einer Therapiesitzung in die Schamhaare. Der Verurteilung liegen Taten an drei Patientinnen zugrunde, die stationär in der neurologischen Universitätsklinik aufgenommen waren; hinsichtlich der bei einer ambulanten Untersuchung an einer weiteren Patientin vorgenommenen sexuellen Handlungen ist der Angeklagte aus Rechtsgründen freigesprochen worden.
Entscheidungsgründe
B.
Die Nachprüfung des Urteils hat einen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten nicht ergeben. Der näheren Erörterung bedürfen nur die Befangenheitsrügen aus der Revisionsschrift des Verteidigers Rechtsanwalt L. (I.) und der Schuldspruch nach § 174 a Abs. 2 StGB (II.); im übrigen nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. November 2003 Bezug.
I. Rügen der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO
1. Ablehnungsgesuch vom 24. September 2002
a) Der Angeklagte lehnte am ersten Hauptverhandlungstag vor seiner Einlassung zur Sache die Berufsrichter der erkennenden Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil sie die Anklageschrift unverändert zugelassen hätten, obwohl die Anklagevorwürfe vom Ermittlungsergebnis teilweise nicht gedeckt gewesen seien, weil sie das Hauptverfahren eröffnet hätten, obwohl der Sachverständige Prof. Dr. Kr. seinen Gutachten eine fehlerhafte Fragestellung zugrunde gelegt und sich herabwürdigend über den Angeklagten geäußert habe, und weil der Vorsitzende eine Äußerung des Gutachters fehlerhaft uminterpretiert habe.
Das Landgericht hat das Ablehnungsbegehren durch Beschluß gemäß § 26 a StPO als unzulässig zurückgewiesen, weil die Mitwirkung am Eröffnungsbeschluß und die Äußerung einer Rechtsansicht keine Befangenheit begründeten.
Der Angeklagte ist der Ansicht, sein Ablehnungsgesuch sei – wie auch die späteren – vom Landgericht willkürlich als unzulässig zurückgewiesen worden. Die willkürliche Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 2 Satz 2 GG auf Entscheidung seines Gesuchs durch den gesetzlichen Richter. Das Revisionsgericht dürfe in diesem Fall nicht nach Beschwerdegrundsätzen sachlich selbst entscheiden, sondern müsse das Urteil aufheben.
b) Die Rüge entspricht nicht dem Formerfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist daher nicht zulässig erhoben. Der Umstand, daß die Behandlung des Ablehnungsantrags nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall bedenklich erscheint (vgl. BGH NJW 1984, 1907), ändert nach den Grundsätzen von BGHSt 23, 265 an der umfassenden Vortragspflicht nichts (vgl. BGH NStZ 2003, 563 Nr. 27).
Nach ständiger Rechtsprechung muß der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, daß das Revisionsgericht aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweiswürdigung 3, Beweisantragsrecht 2).
Diesem Erfordernis wird der Sachvortrag nicht gerecht, weil der Beschwerdeführer in seiner Revisionsbegründung nicht den vollständigen Inhalt der Zeugenaussagen, aus denen sich zum einen ergeben soll, daß die Anklageschrift vom Ermittlungsergebnis nicht gedeckt sei, und zum anderen methodische Fehler des Sachverständige Prof. Dr. Kr. belegt werden sollen, mitgeteilt hat, sondern nur einzelne zusammenhanglose Zitate; die Berechtigung seiner Rüge insoweit kann aber nicht ohne Kenntnis des gesamten Aussageinhalts beurteilt werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
c) Im übrigen wäre die Rüge aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen auch unbegründet.
2. Ablehnungsgesuch vom 15. Januar 2003
a) In der Hauptverhandlung am 15. Januar 2003 lehnte der Angeklagte die erkennenden Berufsrichter und die Schöffen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem der Vorsitzende den Sachverständigen Prof. Dr. S. … über den Inhalt der Aussagen der Zeuginnen W. und H. informiert hatte. Der Bericht habe eine verfälschende Wiedergabe der Zeugenaussagen enthalten und den Eindruck einer endgültigen Bewertung der Aussageinhalte durch die abgelehnten Richter erweckt.
Das Landgericht hat das Ablehnungsbegehren durch Beschluß gemäß § 26 a StPO als unzulässig zurückgewiesen, weil das Ablehnungsverfahren nicht dazu bestimmt sei, einen Streit über das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme auszutragen.
b) Die Revisionsrüge ist schon deshalb unbegründet, weil das Landgericht den Befangenheitsantrag zu Recht nach § 26 a StPO abgelehnt hat. Die Gründe, auf die der Angeklagte die Ablehnung zu stützen versucht, sind aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet. Eine solche völlig ungeeignete Begründung ist rechtlich wie das Fehlen der Begründung zu behandeln (BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 2, 7, 9; BGH NStZ 1999, 311). So verhält es sich hier. Der Ort, um entscheidungserheblichen Inhalt der Beweisaufnahme festzustellen, ist das Urteil. Deshalb kann das, was ein Zeuge aussagte oder wie das Ausgesagte zu verstehen ist, nicht in derselben Hauptverhandlung zum Beweisgegenstand gemacht werden (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 7 und 12; Rissing-van Saan MDR 1993, 310, 311; Herdegen in KK-StPO 5. Aufl. § 244 Rdn. 67). Auch im Revisionsverfahren sind Rügen ausgeschlossen, die eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzen würden (st. Rspr., u. a. BGHSt 17, 351, 352; 29, 18, 20; 31, 139, 140; BGH NJW 1992, 2840; NStZ 1997, 296; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 23, 26, 34). Der Grundsatz des § 261 StPO verbietet ausnahmslos, Aufzeichnungen, die ein Prozeßbeteiligter über die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung abweichend von den tatrichterlichen Feststellungen gemacht hat, zu deren Widerlegung im Revisionsverfahren heranzuziehen (BGHSt 15, 347). Diese verfahrensrechtliche Situation kann nicht dadurch umgangen werden, daß der Angeklagte in der laufenden Hauptverhandlung auf seine abweichende Wiedergabe und Würdigung von Zeugenaussagen einen Befangenheitsantrag stützt. Die ureigene Aufgabe des erkennenden Richters, Zeugenaussagen inhaltlich festzustellen und zu würdigen, kann nicht mittels eines Befangenheitsantrags auf andere Richter verlagert werden, die hierüber nicht ohne eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme entscheiden könnten.
3. Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003
a) In der Hauptverhandlung vom 28. März 2003 lehnte der Angeklagte alle Mitglieder der erkennenden Strafkammer ab, weil sie durch Ablehnung eines Beweisantrags auf erneute Begutachtung zweier Zeuginnen zu erkennen gegeben hätten, daß sie den Angeklagten in diesen Fällen bereits verurteilt hätten. Das Landgericht wies den Ablehnungsantrag gemäß § 26 a StPO als unzulässig zurück, weil die Begründung des Antrages aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuches völlig ungeeignet sei. Hierauf stützte der Angeklagte einen weiteren Befangenheitsantrag, der von der erkennenden Kammer aus denselben Gründen als unzulässig verworfen wurde.
b) Die Rügen, die erkennende Strafkammer habe die beiden Befangenheitsanträge nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sind unbegründet. Die Strafkammer hat den Beweisantrag des Angeklagten sachgemäß beschieden. Die Ablehnung des Beweisantrages bot für einen vernünftigen Angeklagten keinen Anlaß, die erkennenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Mit seinen wiederholten Befangenheitsanträgen ging es dem Angeklagten offenbar nicht tatsächlich um die Befangenheit der Richter, sondern nur darum, das Verfahren zu verschleppen. Die Strafkammer hätte den Antrag daher nach § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verwerfen können. Auch die Zurückweisung des zweiten Ablehnungsantrags durch die erkennende Strafkammer ist deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Im übrigen waren die Ablehnungsgesuche auch in der Sache nicht begründet. Das hat der Senat nach Beschwerdegrundsätzen nachzuprüfen (st. Rspr., vgl. BGHSt 23, 265 ff; BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 9). Diese Prüfung ergibt, daß der Angeklagte bei verständiger Würdigung des Sachverhalts keinen Grund hatte, an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Richter zu zweifeln.
4. Hilfsweise hat der Angeklagte beantragt, die Entscheidung über seine Revision bis zur Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 625/01 auszusetzen, in welchem sich der dortige Beschwerdeführer gegen die Befugnis des Revisionsgerichts zur Sachentscheidung bei rechtswidriger Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig wende. Der Senat hält die bisherige ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dieser Frage für verfassungsgemäß; zu einer Aussetzung des Verfahrens besteht daher keine Veranlassung.
II.
Das Landgericht hat in den Fällen W., N. und P. zu Recht den Tatbestand des § 174 a Abs. 2 StGB als erfüllt angesehen.
Allerdings wird in der Literatur verbreitet die Auffassung vertreten, daß ein Mißbrauch des Kranken nicht vorliege, wenn eine Handlung unter dem Deckmantel medizinischer Betreuung vorgenommen werde, der sich der Kranke freiwillig, in der Annahme, sie sei medizinisch indiziert, unterwerfe (Laufhütte in LK 11. Aufl. § 174 a Rdn. 16; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 174 a Rdn. 10; Horn in SK-StGB § 174 a Rdn. 18; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 174 a Rdn. 8). Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 24. Mai 1977 – 5 Ss 128/77 – (NJW 1977, 1499) das Merkmal „unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit” nicht nur dann als erfüllt angesehen, wenn der Patient bedingt durch seinen krankhaften Zustand in seiner Willenskraft geschwächt ist und deshalb die Vornahme sexueller Handlungen ermöglicht hat, sondern auch schon bei jedem Ausnutzen der mit der Krankheit verbundenen besonderen Situation des Opfers durch das Betreuungspersonal im Rahmen der vorgesehenen stationären Behandlung. Das Tatbestandsmerkmal ist nach dieser Auffassung schon dann erfüllt, wenn
der stationär untergebrachte Patient unter Vortäuschung einer erforderlichen Untersuchung zur Duldung sexueller Handlungen durch den behandelnden Arzt veranlaßt wird. Der Senat hält die Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm für zutreffend. Die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers wird auch dann verletzt und die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ausgenutzt, wenn dem Opfer die Notwendigkeit einer Maßnahme aus Anlaß der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit nur vorgespiegelt wird, denn das Opfer, selbst wenn es vor der Entlassung aus dem Krankenhaus steht, duldet eine ärztliche Handlung nur, weil es sich dadurch Hilfe erhofft. Letztlich kann die Frage hier jedoch offen bleiben. Denn auch das in der Literatur geforderte Beruhen der Einwilligung auf einer Schwächung der Willenskraft, auf Hilfsbedürftigkeit oder auch schon auf dem Gefühl des Ausgeliefertseins an das Anstaltspersonal (vgl. Laufhütte aaO) liegt hier vor; aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich unzweifelhaft, daß alle drei Patientinnen unter dem Eindruck der Symptome ihrer – schweren – Krankheiten sowie zum Teil unter dem Schock der Diagnosen in ihrer Willenskraft geschwächt waren, als sie die Handlungen des Angeklagten erduldeten.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558141 |
NStZ 2004, 630 |