Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Verfahrensverzögerungen bei der Strafzumessung
Normenkette
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 19.11.2001) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 19. November 2001 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Einzelfreiheitsstrafen hatte es zuvor wegen Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK um jeweils sechs Monate reduziert. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die zu Gunsten des Angeklagten vorgenommene Reduzierung der Strafhöhe wegen der Annahme einer Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK beschwert ihn nicht. Soweit die Strafkammer sich dabei auf eine „mehrmonatige Verzögerung” bei der Staatsanwaltschaft bezieht, weil diese das Ermittlungsverfahren zunächst nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte und erst im Laufe eines Klageerzwingungsverfahrens zur Anklageerhebung übergegangen war, liegt hierin keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Vielmehr ist ein solcher Verfahrensgang Ausfluß einer rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15). Dabei kommt hinzu, daß die ursprüngliche Verfahrenseinstellung gerade im Interesse des Angeklagten erfolgt war, um diesen nicht einem damals für nicht aussichtsreich gehaltenen Gerichtsverfahren auszusetzen. Aber auch der durch „Überlastung der Kammer und Erledigung vorrangiger Haftsachen” verstrichene Zeitraum zwischen Anklageerhebung am 17. Januar 2001 und Beginn der Hauptverhandlung am 14. November 2001, von dem ohnehin noch die Zeitspanne für das Eröffnungsverfahren und eine angemessene Frist bis zum Beginn der Hauptverhandlung abzuziehen gewesen wäre, rechtfertigt für sich allein die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht. Dieser setzt vielmehr voraus, daß die Sache insgesamt nicht in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb eines einzelnen Verfahrensabschnittes dann nicht zu einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird (BGH MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9). Hier lag zwischen der zwei Tage nach der letzten Tat erfolgten Eröffnung des Tatvorwurfs am 29. Februar 2000 und der erstinstanzlichen Aburteilung des Angeklagten am 19. November 2001, die nunmehr durch diesen Beschluß rechtskräftig wird, lediglich eine Verfahrensdauer von einem Jahr und neun Monaten, die bei einem Tatvorwurf von vier Verbrechen nicht als unangemessen bezeichnet werden kann.
Unterschriften
Tolksdorf, Rissing-van Saan, Winkler, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 954258 |
DAR 2003, 306 |
NStZ-RR 2002, 219 |