Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 17.11.2020; Aktenzeichen 23 KLs (26/20) 731 Js 10717/20) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 17. November 2020 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wir die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Von der Verhängung einer Jugendstrafe hat es nach § 5 Abs. 3 JGG abgesehen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen traf der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte die sechsjährige Geschädigte zufällig auf der Straße, schenkte ihr Blumen, fragte sie, „ob er sie küssen dürfe”, was sie erlaubte, und lief mit ihr zu einer außerhalb des Ortskerns gelegenen Wiese. Dort forderte er das Mädchen auf, sich am Unterleib zu entkleiden, zog es auf sich und leckte an der unbedeckten Scheide. Dem Wunsch des Angeklagten nach Oralverkehr kam das Mädchen nach. Anschließend führte der Angeklagte seinen Penis in die Vagina ein und versuchte, auch in den Anus einzudringen. Auf die Angabe des Mädchens, „keine Lust mehr” zu haben und nach Hause zu wollen, begaben sich beide gemeinsam sogleich auf den Rückweg, wo sie einem Zeugen begegneten, der sich an der Suche nach der bereits als vermisst gemeldeten Geschädigten beteiligt hatte.
Rz. 3
Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte an einer Autismusspektrum-Störung des Schweregrades II leide, pädophile Neigungen habe und eine leichte Intelligenzminderung aufweise. Aufgrund dessen sei seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert gewesen. Der Angeklagte sei auch gefährlich. Wegen seiner Erkrankung verbunden mit einer Neigung für junge Mädchen seien erneut sexuelle Missbrauchstaten zu erwarten.
Rz. 4
2. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies setzt die Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26; Beschlüsse vom 23. Januar 2018 – 1 StR 523/17, NStZ-RR 2018, 239; vom 6. August 2019 – 3 StR 46/19).
Rz. 6
Daran fehlt es hier. Zwar hat das Landgericht ausgeführt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung bei der Tat erheblich vermindert war (UA S. 5). Sie hat dieses Ergebnis aber nicht tragfähig begründet. Das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen, das sich das Landgericht zu eigen gemacht hat, kommt nur zu dem Ergebnis, dass die Steuerungs- und Hemmungsfähigkeit des Angeklagten mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit” zur Tatzeit erheblich vermindert gewesen sei (UA S. 18). Weitere Ausführungen, die die Feststellung der Strafkammer belegen könnten, lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.
Rz. 7
b) Zudem ist die Einschätzung der Strafkammer, dass vom Angeklagten erneut vergleichbare Taten zu erwarten seien, nicht tragfähig begründet. Der Hinweis auf seine hohe Masturbationsfrequenz und seine sexuellen Phantasien ist im Hinblick darauf unzulänglich, dass er nicht vorbestraft und in der Vergangenheit weder durch aggressives noch eindeutig sexualisiertes Verhalten aufgefallen ist (UA S. 20).
Rz. 8
Soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte seit 2016 durch „unangemessenes Nachschauen und Hinterherlaufen gegenüber deutlich jüngeren Mädchen in Erscheinung getreten sei, was von diesen teilweise als bedrängend und punktuell auch beängstigend empfunden” worden sei (UA S. 20), durfte sie hieraus keine Schlüsse ziehen, weil sie zu diesen Vorkommnissen keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2020 – 4 StR 556/19, vom 8. September 2020 – 6 StR 247/20).
Rz. 9
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit lässt den Schuldspruch unberührt, weil auf der Grundlage der Feststellungen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ausgeschlossen werden kann. Er macht aber eine Aufhebung der Maßregelanordnung erforderlich. Dadurch verliert auch die auf § 5 Abs. 3 JGG gestützte Entscheidung zum Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe ihre Grundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2015 – 5 StR 311/15). Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO, der nach § 2 Abs. 2 JGG Anwendung findet, nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 311).
Rz. 10
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Unterschriften
Sander, Schneider, König, Fritsche, von Schmettau
Fundstellen
Dokument-Index HI14487950 |