Verfahrensgang
StA München I (Entscheidung vom 13.04.2007) |
LG München I (Urteil vom 30.10.2006) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Oktober 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 21. Juni 2007 und den in sachgerechter Weise die prozessualen Abläufe darstellenden Ausführungen der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft München I vom 13. April 2007 bemerkt der Senat:
Die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die damalige Zeugenvernehmung des jetzigen Angeklagten vom 16. März 2004 verwertet, bleibt ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Rüge in zureichender Weise ausgeführt worden ist; jedenfalls ist die Rüge unbegründet.
Rechtsfehlerhaft wäre die Verwertung dann, wenn bei der Vernehmung vom 16. März 2004 der als Zeuge belehrte Vernommene bereits damals die Stellung eines Beschuldigten gehabt hätte und deshalb nicht nach § 55 StPO, sondern nach § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO zu belehren gewesen wäre.
Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive und objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft setzt – subjektiv – den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich – objektiv – in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 52. Lfg. Vor § 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (eingehend: Urteil des Senats vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Dieser Grundsatz gilt auch für Vernehmungen. Allerdings ergibt sich bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Urteil des Senats vom 3. Juli 2007 aaO; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Beschuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann – abhängig von der objektiven Stärke des Tatverdachts – unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663 f.; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei Becker]; 2004, 368; Beschluss vom 25. Februar 2004 – 4 StR 475/03).
Andererseits kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde – zu-mal bei Tötungsdelikten – erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann (Senat aaO).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ergibt sich, dass zum Zeitpunkt der Vernehmung am 16. März 2004 der Geschädigte zwar bereits über einen Monat als vermisst gemeldet war, sein Tod war den ermittelnden Beamten jedoch noch nicht bekannt geworden. Vielmehr konnte, wie sich aus dem Vermerk des KHK K. vom 26. Juni 2004 ergibt, auch noch mehr als drei Monate nach der fraglichen Vernehmung mangels weiterer Erkenntnisse weder ein Unglücksfall noch eine Straftat ausgeschlossen werden. Letztlich blieb damals sogar die Möglichkeit offen, dass der Geschädigte noch lebte und lediglich unbekannten Aufenthalts war, da sein Tod den deutschen Ermittlungsbehörden erst im August 2004 bekannt wurde.
Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass bei der Vernehmung am 16. März 2004 keine Beschuldigtenbelehrung erfolgte.
Der Schriftsatz der Verteidigung vom 13. Juli 2007 lag dem Senat bei der Entscheidung vor.
Unterschriften
Wahl, Boetticher, Kolz, Hebenstreit, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2553617 |
NStZ 2008, 48 |
ZAP 2008, 359 |
StRR 2007, 202 |
StRR 2007, 301 |
VRR 2007, 323 |