Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S und B wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. Februar 1998, soweit es sie betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen in den jeweiligen Rechtsfolgenaussprüchen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten S wegen Totschlags und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und die Angeklagten B und A – letzterer hat Revision nicht eingelegt – wegen Totschlags und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Raub zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwölf Jahren (B) und zehn Jahren (A) verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten A in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten S und B die Verletzung sachlichen Rechts. Zum Schuldspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben; dagegen hat das Urteil in den jeweiligen Strafaussprüchen und insoweit keinen Bestand, als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung der Angeklagten B und S in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
1. Die Ausführungen des Landgerichts zu der Berechnung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration aus den von den Angeklagten angegebenen Trinkmengen sind rechtsfehlerhaft.
a) Bedenklich ist bereits, daß das Urteil die für die Berechnung erforderlichen Anknüpfungstatsachen nur unzureichend mitteilt. Mangels Angaben zu Trinkbeginn, Tatzeit, Körpergewicht der Angeklagten und zugrundegelegtem Reduktionsfaktor ist eine revisionsgerichtliche Nachprüfung nicht möglich.
b) Beim Angeklagten S wie auch beim Nichtrevisionsführer A hat sich dies nicht ausgewirkt, weil das Landgericht insoweit die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hat. Das Vorliegen des § 20 StGB ist auszuschließen. Durchgreifend bedenklich sind aber die Ausführungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB bei dem Angeklagten B hinsichtlich des Tötungsdelikts verneint hat. Bei der Berechnung der Tatzeit-Blutalkohol-konzentration aus der angegebenen Trinkmenge hat das Landgericht bei dem Angeklagten B „als alkoholgewöhntem Trinker ein Resorptionsdefizit von 30 % und einen Abbau von 0,2 Promille” zugrundegelegt. Dies ist schon deswegen fehlerhaft, weil es einen gesicherten Erfahrungssatz, nach dem bei alkoholgewöhnten Trinkern ein Resorptionsdefizit von 30 % und ein stündlicher Alkoholabbauwert von 0,2 Promille zugrunde zu legen sei, nicht gibt. Bei der Berechnung der Tatzeit-Blutalkohol-konzentration aus der feststehenden oder unwiderlegt angegebenen Trinkmenge im Hinblick auf die Schuldfähigkeit ist zugunsten des Angeklagten von dem geringstmöglichen Alkoholabbauwert von 0,1 Promille in der Stunde und dem geringstmöglichen Resorptionsdefizit von 10 % auszugehen (BGH NStZ 1986, 114; BGHSt 34, 29, 32; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 1 und 7). Die Zugrundelegung höherer Abbauwerte bis zu 0,2 Promille in der Stunde (zzgl. eines Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille) und eines höheren Resorptionsdefizits bis zu 30 % dient lediglich der Kontrolle, ob die vom Angeklagten behaupteten Trinkmengen zutreffen können (BGHR aaO 7 und 8). Insoweit handelt es sich um Extremwerte, die von der Rechtsprechung zugunsten des Angeklagten angenommen werden, weil individuelle Werte, mit denen im konkreten Fall gerechnet werden könnte, nicht feststellbar sind (BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 19 m.w.N.). Zu Lasten des Angeklagten – wie vorliegend – dürfen diese Extremwerte nicht angenommen werden.
Der das Tötungsdelikt betreffende Einzelstrafausspruch – nur insoweit hat das Landgericht das Vorliegen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten B verneint – und der Gesamtstrafausspruch hat damit keinen Bestand. Bei der vorliegend in Rede stehenden Trinkmenge, von der das Landgericht ausgegangen ist, erscheint die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit möglich. Schuldunfähigkeit kommt hingegen nicht in Betracht.
2. Die Begründungen, mit denen das Landgericht bei den Beschwerdeführern die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abgelehnt hat, sind ebenfalls rechtsfehlerhaft.
a) Nach Auffassung des Landgerichts ist der Angeklagte B nicht alkoholabhängig; er habe tage- und wochenlang ohne Alkohol auskommen können und in der Haft keine Entzugserscheinungen gezeigt. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB liege daher nicht vor.
Diese Ausführungen lassen befürchten, daß das Landgericht den Begriff „Hang” im Sinne des § 64 StGB verkannt hat. Hang in diesem Sinne ist nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Diese Neigung muß noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4 und 5).
Die Feststellungen legen nahe, daß bei dem Angeklagten B ein Hang in diesem Sinne besteht. Danach bekam der Angeklagte „auf seinen Arbeitsstellen wie auch beim Militär immer wieder Schwierigkeiten mit Vorgesetzten aufgrund seiner Alkoholprobleme”. Er trank regelmäßig täglich eine kleine Flasche Schnaps und diverse Biere, „in den letzten Jahren … 1 ½ große Flaschen Schnaps über den Tag verteilt”. Mit diesen Tatsachen, die ein Indiz dafür sind, daß der Angeklagte nicht in der Lage ist, kontrolliert zu trinken, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
b) Bei dem Angeklagten S hat das Landgericht die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB mit der Begründung abgelehnt, eine Gefahr, daß der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, liege nicht vor. Es hat darauf abgestellt, daß der Angeklagte „im Grunde genommen ein friedfertiger Mensch (sei), der jedem Streit aus dem Weg (gehe)”. Das Landgericht hat an anderer Stelle indes ausgeführt, der erheblich alkoholisierte Angeklagte sei bei den Tätlichkeiten gegen das Opfer am 7. und 8. August 1997 „regelrecht ‚ausgeflippt’”, ersichtlich, indem er an beiden Tagen auf das am Boden liegende Opfer sprang, und zwar am 8. August 1997 „ein- bis zweimal aus dem Stand beidbeinig auf den Brustkorb des Opfers”. Im Hinblick auf diese erheblichen Tatbeiträge hat das Landgericht – sachverständig beraten – festgestellt, der Angeklagte sei „durch den Alkohol in seiner affektiven Syntonie gestört gewesen”. Wohl deswegen hat der Tatrichter es unterlassen, das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 64 StGB unter dem Gesichtspunkt dieser alkoholbedingten Störung, die sich immerhin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen manifestiert hat, näher zu erörtern. Im Hinblick auf diese Störung kommt im übrigen dem Umstand, daß der Angeklagte als eine „sonst ruhige, eher phlegmatische und antriebsarme” Persönlichkeit in Erscheinung getreten ist, ersichtlich keine besondere Bedeutung zu.
c) Der Senat vermag nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß im Fall des Angeklagten S die verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe bei Anordnung der Maßregel niedriger ausgefallen wären. Dasselbe gilt im Falle des Angeklagten B im Hinblick auf die noch verbliebenen wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Raub verhängten Einzelstrafen.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Basdorf, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 541011 |
www.judicialis.de 1998 |