Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Diebstahls schuldig befunden. Gegen den Angeklagten B hat es eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, gegen M eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verhängt.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts. Zum Schuldspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt; dagegen hat das Urteil bezüglich des Angeklagten B im Strafausspruch keinen Bestand. Die Revision des Angeklagten M ist auch insoweit im Ergebnis unbegründet.
Die Darlegungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB bei dem Angeklagten B verneint, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Ausgehend von den Trinkmengenangaben des Angeklagten B errechnet das sachverständig beratene Landgericht, der Angeklagte habe bis zur Tat eine Alkoholmenge von 251,6 g bis 264,8 g zu sich genommen. Da bei "geübten Trinkern" wie dem Angeklagten, der viel und häufig trinke, ein Resorptionsdefizit von 36 % zugrundegelegt werden müsse, ergebe sich hieraus bei einem individuellen Verteilungsfaktor von 0,71 ein Blutalkoholwert von 2,68 %o, der wiederum bei einem stündlichen Abbauwert von 0,2 %o zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 %o zur Tatzeit zehn Stunden nach Trinkbeginn zu einem Blutalkoholwert von 0,68 %o führe. Die Zugrundelegung eines Resorptionsdefizits von nur 10 % und eines stündlichen Abbauwerts von 0,1 %o komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der sich daraus errechnende Blutalkoholwert von 3,06 %o "einen Vollrausch B bedeutet hätte", der im Blick auf die guten psychomotorischen und kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten zur Tatzeit auszuschließen sei. Nach der Überzeugung des Sachverständigen, der sich die Schwurgerichtskammer anschließe, müsse daher von 0,68 %o als maßgeblichem Blutalkoholwert zur Tatzeit ausgegangen werden. Angesichts der uneingeschränkten psychomotorischen Fähigkeiten des Angeklagten, "vor allem (aber) seiner vergleichsweise geringen alkoholischen Beeinflussung von 0,68 %o, die für sich betrachtet keinen Anlaß zur Prüfung der Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bot", könne eine etwaige erhebliche Verminderung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit ausgeschlossen werden.
Diese Erwägungen des Landgerichts sind schon im Ansatz unzutreffend, weil es einen gesicherten Erfahrungssatz, nach dem bei "geübten Trinkern" von einem Resorptionsdefizit von 30 % oder sogar - wie hier angenommen - von 36 % auszugehen sei, nicht gibt (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 1 m.w.N.).
Ebensowenig spricht für ein hohes, mit 30 % anzusetzendes Resorptionsdefizit, verbunden mit dem höchstmöglichen stündlichen Abbauwert von 0,2 %o und einem Sicherheitsabschlag von 0,2 %o die vom Landgericht angestellte Überlegung, die bei Zugrundelegung von Minimalwerten sich errechnende Blutalkoholkonzentration von etwa 3 %o sei ersichtlich falsch, da sie mit dem Leistungsverhalten des Angeklagten nicht vereinbar sei. Ob die letztere Annahme für den trinkgewohnten Angeklagten zutrifft, erscheint bereits fraglich. Jedenfalls aber ist der vom Landgericht daraus gezogene Gegenschluß nicht zulässig. Ergibt eine Rechnung mit Werten, die zugunsten des Angeklagten niedrig angesetzt werden, eine unrealistische hohe Blutalkoholkonzentration, so dient die "Kontrollrechnung" mit höchstmöglichem Resorptionsdefizit und höchstmöglichen Abbauwerten lediglich der Überprüfung, ob die vom Angeklagten behaupteten Trinkmengen überhaupt zutreffen können (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 1, 7, 8; BGH NStZ 1986, 114). Ist dies - wie hier - der Fall, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß sich die konkrete Blutalkoholkonzentration anhand höchstmöglicher Abbauwerte bestimme. Letztere stellen vielmehr - ebenso wie das minimale Resorptionsdefizit und minimale Abbaufaktoren - abstrakt in Betracht kommende Extremwerte dar, die je nach Fragestellung zugunsten des Angeklagten angenommen werden, weil individuelle Werte, mit denen im konkreten Fall gerechnet werden könnte, nicht feststellbar sind (BGHSt 34, 29, 32, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 19). Zu Lasten des Angeklagten dürfen sie nicht herangezogen werden.
Eine deutlich über 2 %o liegende Blutalkoholkonzentration scheint daher angesichts der vom Landgericht nicht in Zweifel gezogenen Trinkmengenangaben des Angeklagten B möglich und auch unter Berücksichtigung pychodiagnostischer Gesichtspunkte nicht von vornherein ausgeschlossen. Über die Frage der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten B wird das Landgericht daher erneut zu befinden haben.
Vergleichbare Mängel, wie sie die Blutalkoholberechnung des Angeklagten B aufweist, finden sich auch bei der Blutalkoholberechnung des Angeklagten M; darauf beruht das Urteil jedoch nicht, da das Landgericht bei diesem Angeklagten, dessen Trinkmengenangaben zweifelhaft erscheinen (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 22), die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hat. Ein Ausschluß der Schuldfähigkeit kommt angesichts der Feststellungen zum Tatgeschehen und zum Nachtatverhalten bei beiden Angeklagten nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 2993531 |
NStZ 1998, 459 |
NStZ 1999, 21 (Altvater) |
NStZ-RR 1998, 305 |
NStZ-RR 1998, 359 |