Entscheidungsstichwort (Thema)
Verunglimpfung des Staates. Vorlegungsbeschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 25. August 1999 … I … 60/99 … 2 Ss 61/99
Tenor
Die Sache wird an das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg zurückgegeben.
Gründe
I.
Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg wegen Verunglimpfung des Staates (§ 90 a Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden. Ihr wird vorgeworfen, als verantwortliche Redakteurin im Januar 1996 zwei Druckschriften veröffentlicht zu haben, die sich mit dem Polizeieinsatz zur Festnahme von der Mitgliedschaft in der RAF Verdächtigen in Bad Kleinen im Sommer 1993 und insbesondere mit den Umständen des Todes von Wolfgang Grams befaßten und in denen die Bundesrepublik Deutschland beschimpft worden sein soll. Ihre Berufung führte zu einer Änderung im Strafausspruch. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg möchte auf die Revision der Angeklagten hin das angefochtene Urteil aufheben, weil die Bestrafung ohne Rücksicht auf die Wahrheit oder Unwahrheit der festgestellten Äußerungen der Angeklagten erfolgt ist. Es sieht sich an einer solchen Entscheidung gehindert durch das (zu dem inhaltsgleichen, damals geltenden § 96 Abs. 1 Nr. 1 StGB ergangenen) Urteil des BGH vom 20. Juli 1961 – 3 StR 21/61 (NJW 1961, 1932 f.), in dem ausgeführt ist, daß es auf die Unwahrhaftigkeit der Äußerung nicht ankomme. Es hat deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung der Rechtsfrage vorgelegt:
Kommt es für die Anwendung des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB auf die Wahrheit oder Unwahrheit der Äußerung an?
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
„Bei Tatsachenbehauptungen kommt es für die Anwendung des § 90a Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB auf die Wahrheit der Äußerung an, sofern die angebliche Tatsache nicht ausschließlich das Mittel für böswillige Schmähungen darstellt.”
II.
Der Senat ist zur Entscheidung über die Vorlage zuständig. Zu den die Zuständigkeiten des 3. Strafsenats begründenden Katalogtaten des § 74 a GVG zählt zwar ausdrücklich nur die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats in den Fällen des § 90 aAbs. 3 StGB. Aus dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs ergibt sich auch nicht unmittelbar eine Zuständigkeit für Fälle des § 90 aAbs. 1 StGB. Der Senat hat deshalb eine Entscheidung des Präsidiums eingeholt. Danach fällt die Sache in die Zuständigkeit des 3. Strafsenats, da das dem 3. Strafsenat durch Abschnitt II des Geschäftsverteilungsplans zugewiesene Rechtsgebiet des Staatsschutzstrafrechts kraft Sachzusammenhangs auch die Zuständigkeit für die Auslegung des Tatbestandes des § 90 a Abs. 1 StGB jedenfalls dann erfaßt, wenn es um die Abweichung von einer Entscheidung geht, die der 3. Strafsenat kraft seiner Staatsschutzzuständigkeit zu § 90 a Abs. 3 StGB (bzw. § 90 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.) getroffen hat.
III.
Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG liegen nicht vor. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat nicht dargelegt, daß die Vorausssetzungen erfüllt sind, unter denen die Vorlegungsfrage für den abgeurteilten Fall entscheidungserheblich ist. Es hat weder dargetan, daß die Voraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen, noch hat es näher ausgeführt, ob die prozessualen Voraussetzungen für die Erhebung eines Wahrheitsbeweises gegeben wären. Auch kann der Senatsentscheidung NJW 1961, 1932 f. nicht entnommen werden, daß der Bundesgerichtshof den Wahrheitsbeweis bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuläßt.
1. Die Vorlegungsfrage kann erst dann eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffen, wenn die übrigen Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sind, die Strafbarkeit der Angeklagten mithin von der Entscheidung der vorgelegten Frage abhinge.
Der Vorlagebeschluß enthält keine nachvollziehbare Prüfung des Tatbestandes des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Zwar führt das Oberlandesgericht aus, daß die Strafkammer die Tatbestandsvoraussetzungen ohne Rechtsfehler bejaht hat, und insbesondere dem Gesamtzusammenhang der beiden Veröffentlichungen ein täterschaftliches Beschimpfen der Angeklagten entnommen werden könne. Dem Beschluß läßt sich aber nicht entnehmen, aus welchen Gründen das Oberlandesgericht die Merkmale der Strafvorschrift für gegeben erachtet, denn auch das landgerichtliche Urteil, auf das sich das Oberlandesgericht weitgehend bezieht, enthält keine, einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhaltende umfassende rechtliche Würdigung des abgeurteilten Sachverhalts.
a) Da das Amtsgericht zwei Fälle des Verunglimpfens des Staates angenommen hat, hätten Landgericht und Oberlandesgericht für jeden Artikel getrennt die Strafbarkeit der Angeklagten beurteilen müssen. Daran fehlt es im landgerichtlichen Urteil, wenn nach einer Aufzählung aus dem Zusammenhang gerissener Sätze und Satzteile die Schlußfolgerung gezogen wird, daß ein Szenario behauptet werde, das typisch für einen totalen Staat sei, ohne daß deutlich gemacht wird, aus welchem Artikel welche Behauptung stammt und ob die in jedem der beiden Artikel aufgestellten einzelnen Behauptungen oder der Gesamtzusammenhang in jedem Artikel die Voraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen.
Die in dem Vorlagebeschluß verwendete Formulierung, daß das Oberlandesgericht „insbesondere dem Zusammenhang der beiden in ‚Wir-Form’ geschriebenen Veröffentlichungen ein täterschaftliches Beschimpfen” entnimmt, läßt besorgen, daß auch das vorlegende Gericht nicht beide Fälle getrennt voneinander rechtlich bewertet hat.
b) § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, daß „die Bundesrepublik Deutschland, eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung” beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht wird. Landgericht und Oberlandesgericht halten – ohne nähere Begründung – die Tatbestandsalternative des Beschimpfens der Bundesrepublik Deutschland für gegeben. Das versteht sich indes angesichts des Wortlauts und des Inhalts der beiden inkriminierten Artikel nicht von selbst. Denn Schutzgut der Vorschrift (vgl. hierzu BVerfGE 47, 198, 231; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 90 a Rdn. 2 m.w.Nachw.) ist das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber das von Staatsorganen, der Bürokratie oder einzelner Beamter (vgl. BGHSt 11, 11 f.; 7, 110 f.; 6, 324 f.); ob es betroffen ist, ist Tatfrage (vgl. BGHSt 11, 11). Da beide Artikel überwiegend Behauptungen enthalten, die sich gegen einzelne Bundesminister, den Generalbundesanwalt, gegen den Verfassungsschutz und die GSG 9 und einzelne Beamte richten, kam es auf diese Prüfung auch an; diese betrifft jedoch eine Tat- und keine Rechtsfrage.
c) Ebenfalls ohne nähere Begründung bejahen Landgericht und Oberlandesgericht von den beiden möglichen Tathandlungen das Beschimpfen. Beschimpfen ist eine nach Form oder Inhalt besonders verletzende Mißachtungskundgebung, wobei das besonders Verletzende entweder äußerlich in der Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich im Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens liegen kann (BGHSt 7, 110). Dabei kann – was ebenfalls offen bleibt – das Beschimpfen in einzelnen Formulierungen, aber auch im Gesamtzusammenhang liegen, wobei harte politische Kritik (BVerfGE 69, 257, 271), sei sie auch offenkundig unberechtigt, unsachlich oder uneinsichtig (BGHSt 19, 317), noch kein Beschimpfen darstellt (Tröndle/Fischer aaO Rdn. 3 m.w.Nachw.). Mit dieser Abgrenzung, auf die es aber für die Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit entscheidend ankommt (vgl. auch BVerfGE 47, 198, 231; 69, 257, 269; BGHR StGB § 90 a Kunstfreiheit 1), haben sich Landgericht und Oberlandesgericht nicht auseinandergesetzt, obwohl erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß jedenfalls einige der beanstandeten Äußerungen der Angeklagten nur harte politische Kritik darstellen. Für diese hätte dann weiter geprüft werden müssen, ob sie nicht deshalb den Tatbestand des Beschimpfens erfüllen, weil sie sich ausschließlich als Mittel für eine böswillige Schmähung darstellen.
2. Auch für den Fall, daß das Vorlagegericht alle übrigen Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB rechtlich nachvollziehbar bejaht hätte, wären die Voraussetzungen für eine Vorlage nicht erfüllt. Denn als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung hätte das Oberlandesgericht darlegen müssen, daß es im vorliegenden Fall auch nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen auf die Erhebung des Wahrheitsbeweises ankam. Dazu genügt es nicht, daß der Generalstaatsanwalt und wohl auch das Oberlandesgericht mehrere näher aufgeführte Verfahrensrügen, darunter auch Aufklärungsrügen, für unzulässig hält (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Oberlandesgericht hätte darstellen müssen, welche Anträge gestellt worden sind, welche davon zulässig und welche unter dem Gesichtspunkt des Wahrheitsbeweises möglicherweise begründet gewesen wären.
3. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts und eines Teils der Literatur (Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 90 a Rdn. 5 i.V.m. § 90 Rdn. 2; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 90 a Rdn. 3; Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. § 90 a Rdn. 9 m.w.Nachw.) kann der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 1961, 1932 f. auch nicht entnommen werden, daß er den Wahrheitsbeweis bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuläßt. Denn der vom Oberlandesgericht angeführte Satz aus jener Entscheidung „Entgegen der Auffassung der Revision kommt es weder auf eine Formalbeleidigung noch auf eine Unwahrhaftigkeit der Äußerung an (RGSt 61, 308)” bezieht sich nicht auf eine konkrete, mit Mitteln des Beweisrechts überprüfbare Tatsachenbehauptung, sondern auf wertende Aussagen, die den Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens und Zustandes enthalten und die in ihrer Verallgemeinerung dem Wahrheitsbeweis gar nicht zugänglich sind. Ersichtlich deshalb hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß es auf die Unwahrhaftigkeit der Äußerung nicht ankomme. Auch der in diesem Zusammenhang zitierten Reichsgerichtsentscheidung RGSt 61, 308 kann nichts anderes entnommen werden, denn auch dieser liegt lediglich ein Werturteil und keine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung des damaligen Angeklagten zugrunde.
Soweit das vorlegende Oberlandesgericht auf den von ihm abgelehnten Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NStZ-RR 1996, 135 f.) abhebt, bemerkt der Senat, daß sich auch dieser Entscheidung nicht entnehmen läßt, das Bayerische Oberste Landesgericht lasse den Wahrheitsbeweis bei Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich nicht zu. Denn es hat lediglich im Rahmen des subjektiven Tatbestandes ausgeführt, daß die Unwahrheit der beanstandeten Äußerung (der deutsche Staat hat 19 Personen, darunter das RAF-Mitglied Wolfgang Grams „ermordet”) evident sei.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 512521 |
NStZ 2000, 643 |
StV 2001, 679 |