Leitsatz (amtlich)
Zur Einrichtung einer Betreuung nach griechischem Recht.
Normenkette
BGB § 1896; ErwSÜ Art. 5; ErwSÜ §§ 13, 22 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 12.03.2021; Aktenzeichen 8 T 22/21) |
AG Alzey (Entscheidung vom 06.01.2021; Aktenzeichen 1 XVII 387/20) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des LG Mainz vom 12.3.2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die 94-jährige, in Deutschland wohnende Betroffene leidet an einer Alzheimerkrankheit mit spätem Beginn sowie Demenz bei Alzheimerkrankheit, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Am 14.1.2018 erteilte sie dem Beteiligten zu 1), ihrem Sohn, umfassende Vorsorgevollmacht.
Rz. 2
Die in Griechenland geborene und aufgewachsene Betroffene ist griechische Staatsbürgerin und verfügt in Griechenland über Immobilien und weiteres Vermögen. Im Hinblick darauf hatte sich der Sohn im Jahr 2020 um eine vom griechischen Konsulat zu beglaubigende Generalvollmacht in griechischer Sprache bemüht. Dies scheiterte daran, dass im Beglaubigungstermin vor dem Konsulat keine eindeutige und zweifelsfreie Willensbekundung der Betroffenen mehr festzustellen war.
Rz. 3
Auf Anregung des Sohns hat das AG eine Betreuung für den Aufgabenkreis "Verwaltung und Verkauf von Immobilien und Grundstücken in Griechenland sowie die Vertretung bei allen Bankgeschäften in Griechenland" eingerichtet und den Sohn zum Betreuer bestimmt.
Rz. 4
Dagegen hat der Sohn im eigenen Namen Beschwerde eingelegt, mit der er das Ziel verfolgt hat, dass er zum Betreuer nach griechischem Recht bestellt und ebenfalls gemäß griechischem Recht ein Überwachungsausschuss, bestehend aus näher bezeichneten Angehörigen der Betroffenen, eingerichtet werde. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und ihres Sohns.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 6
1. Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beschwerde des im ersten Rechtszug gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beteiligten Sohns sei im Interesse der Betroffenen zulässig. Sie sei jedoch unbegründet, da kein Anspruch auf eine inhaltliche Ausgestaltung der Betreuung nach griechischem Recht bestehe. Die Frage des anwendbaren Rechts richte sich nach Art. 24 EGBGB. Danach unterlägen zwar die Entstehung, die Änderung und das Ende der gesetzlichen Betreuung dem Recht des Staates, dem der Betroffene angehöre, vorliegend also griechischem Recht. Dessen materielle Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung seien auch erfüllt. Jedoch unterliege der Inhalt der Betreuung gem. Art. 24 Abs. 3 EGBGB dem Recht des anordnenden Staates und damit deutschem Recht. Dieses kenne das Institut eines Überwachungsausschusses nicht.
Rz. 7
2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Zu Recht hat das LG seine internationale Gerichtszuständigkeit angenommen. Sie richtet sich nach Art. 5 Abs. 1 des Haager Übereinkommens vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Haager Erwachsenenschutzübereinkommen - ErwSÜ; BGBl. 2007 II S. 323, 324), wonach die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig sind, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen.
Rz. 9
Der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens ist gegeben, da es sich um einen internationalen Sachverhalt bezüglich des Schutzes eines Erwachsenen handelt, der aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen (Art. 1 Abs. 1 ErwSÜ). Der persönliche Anwendungsbereich ist gem. Art. 2 Abs. 1 ErwSÜ gegeben, da es sich bei der Betroffenen um eine erwachsene Person handelt, die das 18. Lebensjahr vollendet hat. Der Schutzbereich des Übereinkommens ist betroffen, weil es um eine Maßnahme betreffend die Vormundschaft, die Pflegschaft oder eine entsprechende Einrichtung i.S.d. Art. 3 lit. c ErwSÜ geht.
Rz. 10
Unbeachtlich ist demgegenüber, dass Griechenland das Übereinkommen bisher nicht ratifiziert hat. Denn in einem Vertragsstaat sind die Schutzvorschriften des Übereinkommens auch dann anzuwenden, wenn die im Inland gewöhnlich aufhältige Person die Staatsangehörigkeit eines Nichtvertragsstaates besitzt (MünchKomm/BGB/ 8. Aufl. Vorbem. Art. 5 ErwSÜ Rz. 8; FamRZ 2008, 1995, 1998; vgl. auch BGH BGHZ 217, 165 = FamRZ 2018, 457 Rz. 12, 31).
Rz. 11
b) Gemäß Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ wenden die Behörden der Vertragsstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II des Übereinkommens grundsätzlich ihr eigenes Recht an (sog. Gleichlaufprinzip). Soweit es der Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen erfordert, können sie gem. Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ jedoch ausnahmsweise das Recht eines anderen Staates anwenden oder berücksichtigen, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung hat. Nach Art. 18 ErwSÜ ist diese Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn das darin bestimmte Recht das eines Nichtvertragsstaats ist. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob Griechenland das Übereinkommen seinerseits ratifiziert hat (vgl. BGB [2019] Vorbem. Art. 24 EGBGB Rz. 11 m.w.N.; MünchKomm/BGB/ 8. Aufl. Vorbem. Art. 13 ErwSÜ Rz. 10).
Rz. 12
Diese Ausweichklausel des Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ ist allerdings als Ausnahmevorschrift konzipiert (MünchKomm/BGB/ 8. Aufl. Art. 13 ErwSÜ Rz. 6) und deshalb eng auszulegen ( BGB [2019] Art. 13 ErwSÜ Rz. 2 m.w.N.).
Rz. 13
c) Auf vorstehender Rechtsgrundlage hätte das LG die Einrichtung einer Betreuung nach griechischem Recht (Art. 1666 ff. des Griechischen Zivilgesetzbuchs) unter Bestellung eines Überwachungsausschusses gem. Art. 1634 des Griechischen Zivilgesetzbuchs prüfen müssen.
Rz. 14
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen zum griechischen Recht nicht selbst treffen kann.
Rz. 15
Bei der Prüfung der Ausweichklausel des Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ wird das LG zu berücksichtigen haben, dass eine Anwendung des griechischen Rechts nur dann in Betracht kommen dürfte, wenn die danach ergehende Entscheidung, die den Sohn zur Vornahme besonderer Rechtshandlungen im Namen der Betroffenen in Griechenland befähigen soll, von der Rechtsordnung dieses Staates auch anerkannt würde. Die Frage der Anerkennung der betreuungsgerichtlichen Entscheidung eines deutschen Gerichts durch griechische Behörden ergibt sich indessen nicht bereits aus Art. 22 Abs. 1 ErwSÜ, da Griechenland das Übereinkommen bisher nicht ratifiziert hat und es in Griechenland mithin noch keine Anwendung findet. Sie beurteilt sich vielmehr nach griechischem Recht in seiner konkreten Ausgestaltung in der griechischen Rechtspraxis (vgl. etwa BGH, Urt. v. 10.9.2015 - IX ZR 304/13 - NZI 2016, 93 Rz. 15 m.w.N.). Hierzu hat das LG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen, was es nachzuholen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 14800358 |
FuR 2021, 668 |
BtPrax 2021, 227 |
MDR 2021, 1535 |
Rpfleger 2021, 694 |
ErbR 2021, 1082 |
FF 2021, 465 |
FamRB 2021, 8 |
FamRB 2022, 152 |
NZFam 2021, 6 |