Leitsatz (amtlich)
a) Von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 12.11.2014 - XII ZB 289/14 2015, 349 und BGH Beschl. v. 8.5.2018 - VI ZB 5/17-RR 2018, 958).
b) Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt (im Anschluss an BGH Beschl. v. 17.11.2015 - VI ZB 38/13, WM 2016, 895).
Normenkette
FamFG § 63 Abs. 1; ZPO § 233 S. 1 Gc, § 236 Abs. 2 S. 1 C, § 294 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 26.06.2019; Aktenzeichen 12 UF 641/19) |
AG Rosenheim (Beschluss vom 12.04.2019; Aktenzeichen 8 F 2032/18) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG München vom 26.6.2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 10.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin ist die ehemalige Schwiegermutter des Antragsgegners und nimmt diesen auf Rückzahlung eines Darlehens i.H.v. 10.000 EUR in Anspruch. Das AG hat dem Antrag mit Beschluss vom 12.4.2019, dem Antragsgegner zugestellt am 23.4.2019, stattgegeben.
Rz. 2
Mit beim OLG per Fax am 21.5.2019 eingegangenem Rechtsanwaltsschriftsatz hat der Antragsgegner hiergegen Beschwerde eingelegt. Nachdem er vom OLG mit Verfügung vom 5.6.2019, zugegangen am 11.6.2019, darauf hingewiesen worden war, dass die Beschwerde beim unzuständigen Gericht eingelegt sei, hat er am 19.6.2019 Beschwerde beim AG eingelegt und mit Schriftsatz vom gleichen Tag beim OLG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, seiner Verfahrensbevollmächtigten sei der Beschwerdeschriftsatz am 20.5.2019 von der zuverlässigen Kanzleiangestellten zur Prüfung und Unterschrift vorgelegt worden. Die Verfahrensbevollmächtigte habe die falsche Adressierung festgestellt, den Adressaten durchgestrichen, das richtige AG danebengeschrieben, die Kanzleiangestellte beauftragt, die erste Seite des Schriftsatzes mit der richtigen Adresse zu versehen, und den Schriftsatz auf der zweiten Seite unterschrieben. Die Kanzleiangestellte habe jedoch versehentlich die erste Seite des Schriftsatzes nicht ausgetauscht.
Rz. 3
Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die gem. §§ 112 Nr. 3, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Rz. 6
1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 7
Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die behauptete handschriftliche Korrektur tatsächlich erfolgt sei. Nach dem Sachvortrag der Kanzleiangestellten habe sie die nicht korrigierte erste Seite versehentlich gefaxt. Daher hätte auf dem beim OLG eingegangenen Fax erkennbar sein müssen, dass die ursprüngliche Adressierung durchgestrichen sei. Das sei nicht der Fall. Zudem sei die Verfahrensbevollmächtigte verpflichtet gewesen, sich den Sendebericht für das Fax vorlegen zu lassen und diesen daraufhin zu überprüfen, ob die richtige Faxnummer verwendet und der Schriftsatz an das zuständige Gericht übersandt worden sei. Übernehme das eine Kanzleiangestellte, genüge der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Organisation nur, wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Faxübermittlung anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden sei. Eine entsprechende Organisation und Überprüfung sei nicht vorgetragen. Schließlich fehle es an Sachvortrag dazu, dass die versäumte Handlung fristgerecht nachgeholt worden sei, weil nicht dargelegt sei, wann der Fehler in der Kanzlei erkannt worden sei.
Rz. 8
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Antragsgegner hat zwar die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG versäumt. Die Begründung des OLG, mit der es den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewiesen hat, ist jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 9
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des OLG. Danach ist ein einem Beteiligten zuzurechnendes Verschulden seines Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt seine Angestellte anweist, die falsche Bezeichnung des Beschwerdegerichts zu korrigieren, und er die Beschwerdeschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat. Wird die Anweisung nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät. Hierzu genügt es, wenn der Rechtsanwalt seine Korrekturanweisung auf dem zu korrigierenden Schriftsatz schriftlich vermerkt (vgl. BGH Beschl. v. 16.9.2015 - V ZB 54/15-RR 2016, 126 Rz. 11 m.w.N. und BGH, Beschl. v. 5.6.2013 - XII ZB 47/10-RR 2013, 1393 Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 10
Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hat behauptet, so vorgegangen zu sein, indem sie die Kanzleiangestellte angewiesen und auf dem ihr zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz handschriftlich die Korrekturen zum Adressaten vorgenommen habe.
Rz. 11
b) Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde indes gegen die Auffassung des OLG, dem Antragsgegner sei mangels Glaubhaftmachung dieses Wiedereinsetzungsgrunds gem. § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 233 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Beschwerdefrist zu versagen.
Rz. 12
aa) Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hat die Richtigkeit ihrer Angaben anwaltlich versichert. Von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens, die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist (BGH, Beschl. v. 12.11.2014 - XII ZB 289/14 2015, 349 Rz. 14 m.w.N. und BGH Beschl. v. 8.5.2018 - VI ZB 5/17-RR 2018, 958 Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 13
Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt. Ist das der Fall, liegt in der Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (BGH Beschl. v. 17.11.2015 - VI ZB 38/13, WM 2016, 895 Rz. 9 m.w.N.; vgl. auch BGH Beschl. v. 8.5.2018 - VI ZB 5/17-RR 2018, 958 Rz. 12 und BGH, Beschl. v. 24.2.2010 - v. 24.11.2009 - XII ZB 129/09, FamRZ 2010, 726 Rz. 10 f. m.w.N.).
Rz. 14
bb) Dem wird die Vorgehensweise des OLG nicht gerecht. Vielmehr hat sich dieses mit der anwaltlichen Versicherung bereits nicht befasst und damit nicht alle Mittel der Glaubhaftmachung i.S.d. § 294 Abs. 1 ZPO berücksichtigt, derer sich der Antragsgegner bedient hatte. Schon deshalb kann seine Beurteilung keinen Bestand haben.
Rz. 15
Der Auseinandersetzung mit der anwaltlichen Versicherung war das OLG auch nicht etwa deshalb enthoben, weil die zur Glaubhaftmachung ebenfalls vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten den von der Verfahrensbevollmächtigten vorgetragenen und anwaltlich als richtig versicherten Ablauf teilweise nicht zu stützen scheint. Die Kanzleiangestellte hatte u.a. erklärt, "nach Anweisung nur die erste Seite des Schriftsatzes ausgetauscht mit dem richtigen Adressaten" und "versehentlich die ursprüngliche erste Seite des Schriftsatzes mit dem ‘falschen' Adressaten gefaxt und zur Post gebracht" zu haben. Selbst wenn dies aus Sicht des OLG der anwaltlichen Versicherung widersprach, war noch nicht die Annahme gerechtfertigt, es sei ausgeschlossen, den anwaltlich versicherten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Vielmehr wäre gem. § 139 Abs. 1 ZPO zuvor ein Hinweis auf diese erkennbar unklaren Angaben veranlasst gewesen (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 25.9.2013 - XII ZB 200/13 2014, 77 Rz. 5 f.). Der Antragsgegner macht mit der Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise geltend (vgl. BGH Beschl. v. 16.10.2018 - VI ZB 68/16-RR 2019, 502 Rz. 7 m.w.N.), auf einen solchen hier nicht erfolgten Hinweis wäre klarstellender - und durch weitere eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemachter - Vortrag erfolgt, wonach (sinngemäß) mit der ursprünglichen ersten Seite nicht deren Original, sondern die in der EDV gespeicherte erste Fassung gemeint gewesen sei. Die Kanzleiangestellte habe nämlich am PC die Adressänderung im Schriftsatz vorgenommen, diese Änderung aber nicht gespeichert und letztlich versehentlich die Ursprungsfassung der ersten Seite ausgedruckt und versandt.
Rz. 16
c) Die angefochtene Entscheidung wird auch nicht von der Erwägung des OLG getragen, es fehle an Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten zu organisatorischen Vorkehrungen für die Kontrolle, ob ein gefaxter Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden sei.
Rz. 17
Zwar genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Telefaxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, z.B. bereits in den Schriftsatz eingefügten Nummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, um auch Fehler bei der Ermittlung aufdecken zu können (BGH, Beschl. v. 1.6.2016 - XII ZB 382/15 FamRZ 2016, 1355 Rz. 19 m.w.N. und BGH Beschl. v. 2.2.2016 - II ZB 8/15 - juris Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 18
Mit einer entsprechenden Anweisung wird der Anwalt seiner Pflicht gerecht, durch organisatorische Vorkehrungen Fehler bei der Ermittlung der Telefaxnummer sowie ihrer Übertragung in den Schriftsatz und ihrer Eingabe in das Faxgerät auszuschließen (vgl. BGH vom 27.8.2014 - XII ZB 255/14 FamRZ 2014, 1915 Rz. 9 und BGH Beschl. v. 14.11.2019 - IX ZB 18/19 - juris Rz. 11 m.w.N.). Die der Versendung nachgelagerte Kontrolle bezieht sich mithin allein darauf, ob das Fax an das als Adressat benannte Gericht übermittelt wurde. Gegenstand der von den Kanzleimitarbeitern durchzuführenden Prüfung ist hingegen nicht, ob dieses Gericht auch das zuständige ist.
Rz. 19
d) Entgegen der Annahme des OLG ist damit auch nichts dafür ersichtlich, dass das Versehen in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners vor Zugang des gerichtlichen Hinweises am 11.6.2019 bemerkt wurde, so dass der Wiedereinsetzungsantrag binnen der Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO gestellt und die versäumte Verfahrenshandlung fristgerecht i.S.d. § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO nachgeholt worden ist.
Rz. 20
3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das OLG zurückzuverweisen. Dieses wird die Frage der Glaubhaftmachung einer i.S.v. § 233 Satz 1 ZPO unverschuldeten Versäumung der Beschwerdefrist - ggf. unter Vernehmung von Verfahrensbevollmächtigter und Kanzleiangestellter (vgl. BGH, Beschl. v. 24.2.2010 - Senat v. 24.11.2009 - XII ZB 129/09, FamRZ 2010, 726 Rz. 10 f. m.w.N. und BGH Beschl. v. 8.5.2018 - VI ZB 5/17-RR 2018, 958 Rz. 12 m.w.N.) - neu zu prüfen haben.
Fundstellen