Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Notwendige Wohlverhaltenszeit nach Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls und Strafverurteilung wegen Veruntreuung von Mandantengeld und Steuerdelikten
Normenkette
BRAO § 7 Nr. 5, § 14 Abs. 2 Nrn. 2, 7; StGB § 266 Abs. 1; AO § 370
Verfahrensgang
Brandenburgischer AGH (Urteil vom 29.06.2020; Aktenzeichen AGH I 9/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 29. Juni 2020 verkündete Urteil des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger wurde 1992 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er war ab 1995 Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom 23. September 2011 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Widerspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos (Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - AnwZ (Brfg) 66/18, juris).
Rz. 2
Der Kläger wurde durch Urteil des Amtsgerichts C. vom 9. März 2015 wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und Untreue zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm für die Dauer von drei Jahren die Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt verboten. Auf die Berufung des Klägers hob das Landgericht C. - unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Klägers - mit rechtskräftigem Urteil vom 25. September 2017 das Urteil des Amtsgerichts C. hinsichtlich der Anordnung des Berufsverbots auf und änderte die Gesamtfreiheitstrafe auf ein Jahr und acht Monate. Es befand den Kläger für schuldig, im Zeitraum bis 2010 von ihm entrichtete Einkommensteuer nebst Solidaritätszuschlag verkürzt und im Jahr 2009 Fremdgelder einer Mandantin in Höhe von 1.000 € veruntreut zu haben.
Rz. 3
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 30. Oktober 2017 die erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Mit Bescheid vom 20. Juni 2019 wies die Beklagte den Antrag zurück, da der Kläger den Tatbestand des unwürdigen Verhaltens i.S.v. § 7 Nr. 5 BRAO erfülle. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers beschied sie nicht. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 2019 und Verpflichtung der Beklagten, ihn zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen, abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 4
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Rz. 5
1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG, NJW 2017, 3704 Rn. 25; Senat, Urteile vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 11 und AnwZ (Brfg) 70/17, BRAK-Mitt. 2019, 90 Rn. 10 sowie vom 2. Juli 2018 - AnwZ (Brfg) 54/17, juris Rn. 7; Beschluss vom 20. August 2020 - AnwZ (Brfg) 12/20, juris Rn. 8). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt (vgl. BVerfG aaO; Senat, Urteile 14. Januar 2019 und vom 2. Juli 2018; Beschlüsse vom 20. August 2020, aaO und vom 10. Februar 2015 - AnwZ (Brfg) 55/14, juris Rn. 5). Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BVerfG, aaO; Senat, Urteile vom 14. Juli 2019 und vom 2. Juli 2018; Beschluss vom 20. August 2020; jew. aaO).
Rz. 6
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist (vgl. BVerfG, aaO Rn. 27, 29), ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der (Wieder-)Zulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (Senat, Urteile vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 11 (AnwZ (Brfg) 70/17) und Rn. 12 (AnwZ (Brfg) 50/17); vom 2. Juli 2018, aaO Rn. 8; Beschlüsse vom 20. August 2020, aaO Rn. 9 und vom 10. Februar 2015, aaO; vgl. auch Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 7 Rn. 41). Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten (Senat, Urteile vom 14. Januar 2019; vom 2. Juli 2018 und vom 10. Oktober 2011; Beschluss vom 20. August 2020; jeweils aaO). Wurde die Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der Begehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat (Senat, Urteile vom 14. Januar 2019 und vom 2. Juli 2018, jew. aaO; Beschlüsse vom 20. August 2020, aaO und vom 10. Februar 2015, aaO Rn. 6).
Rz. 7
2. Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Er hat eine Gesamtabwägung vorgenommen, in welche er die vom Kläger begangenen Straftaten einerseits und dessen berechtigte Interessen an einer beruflichen und sozialen Wiedereingliederung als Rechtsanwalt andererseits eingestellt hat.
Rz. 8
Die Einwände, welche der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags erhebt, sind unberechtigt.
Rz. 9
a) Zutreffend ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass es sich bei den vom Kläger im Zeitraum bis 2010 begangenen Delikten um gravierende Straftaten im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung handelt, aufgrund derer ein Abstand zwischen den die Unwürdigkeit begründenden Straftaten des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren erforderlich erscheint. Die im Jahr 2009 begangene Veruntreuung von Mandantengeld betrifft den Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts und wiegt daher im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden Abwägung besonders schwer. Die Tat kann zudem nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat - zu berücksichtigen, dass der Kläger in dem Zeitraum der von ihm begangenen Untreue bis in das Jahr 2010 auch erhebliche Steuerstraftaten begangen hat. Letztere wurden zwar nicht zum Nachteil von Mandanten begangen und wiegen daher in vorliegendem Zusammenhang - isoliert betrachtet - nicht so schwer wie die Veruntreuung von Mandantengeldern. Sie begründen jedoch in der Gesamtschau mit der zum Nachteil einer Mandantin begangenen Untreue die Bewertung, dass die vom Kläger bis 2010 begangenen Straftaten insgesamt gravierend sind.
Rz. 10
b) Die weiteren vom Kläger in der Begründung des Zulassungsantrages vorgebrachten Gesichtspunkte rechtfertigen in der Gesamtabwägung zwischen den berechtigten Interessen des Klägers an einer beruflichen und sozialen Wiedereingliederung und dem durch das Berufsrecht geschützten Interesse insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes sowie der in diesem Rahmen erforderlichen Prognoseentscheidung jedenfalls keine entscheidungserhebliche Unterschreitung eines Zeitraums von 15 Jahren seit den die Unwürdigkeit begründenden Straftaten des Klägers um fünf oder mehr Jahre.
Rz. 11
aa) Zwar ist - wie auch der Anwaltsgerichtshof nicht verkannt hat - zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass der im Jahr 2009 von ihm veruntreute Betrag von 1.000 € verhältnismäßig gering war und dem Kläger nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts C. vom 25. September 2017 zudem Gegenansprüche gegen die betroffene Mandantin aus anwaltlicher Tätigkeit von mindestens 1.000 € zustanden. Andererseits war nach den Feststellungen des vorgenannten Urteils die geschädigte Mandantin dringend auf die vom Kläger auszuzahlenden Gelder angewiesen und dem Kläger bekannt, dass ihr die Unterbrechung der Stromzufuhr zu ihrer Wohnung drohte. Dennoch hat er noch nicht einmal den insofern erforderlichen und von ihr erbetenen Teilbetrag von 230 € an sie ausgekehrt. Von einer "leichten" Straftat der Untreue kann daher entgegen der Auffassung des Klägers nicht ausgegangen werden.
Rz. 12
bb) Soweit nach der Senatsrechtsprechung (siehe vorstehend zu 1) zu berücksichtigen ist, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat, ergibt sich im Hinblick auf den Kläger ein uneinheitliches Bild.
Rz. 13
Einerseits ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand zugrunde zu legen, dass der Kläger seit der letzten, im Jahr 2010 begangenen Straftat nicht wieder straffällig geworden ist und seinen Beruf bis zur Bestandskraft des Widerrufsbescheides vom 23. September 2011 im Jahr 2019 beanstandungsfrei ausgeübt hat. Weitere Untreuestraftaten, hinsichtlich derer die Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt wurden, können mangels entsprechender Feststellungen nicht in die vorzunehmende Prognoseentscheidung zum Nachteil des Klägers eingestellt werden. Gleiches gilt für die von der Beklagten dem Kläger zur Last gelegten Pflichtverstöße im Zusammenhang mit der Abwicklung seiner Kanzlei.
Rz. 14
Andererseits hat der Kläger nach den von ihm nicht angegriffenen Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs noch in jüngerer Zeit (2017) im Hinblick auf die Veruntreuung von Mandantengeld keine Einsicht in das Unrecht seines Tuns gezeigt und sein Vorgehen für berechtigt gehalten. In Abwägung dieser Umstände erscheint eine Prognose in vorstehendem Sinne, die eine entscheidungserhebliche Unterschreitung des vorgenannten Zeitraums von 15 Jahren um fünf oder mehr Jahre rechtfertigen könnte, nicht möglich.
Rz. 15
c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Beklagte schließlich auch nicht aufgrund widersprüchlichen Verhaltens daran gehindert, ihm die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Unwürdigkeit i.S.v. § 7 Nr. 5 BRAO zu versagen. Daraus, dass sie nach Kenntnis des Urteils des Landgerichts C. vom 25. September 2017 nicht unmittelbar die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft - erneut - widerrief, kann nicht hergeleitet werden, dass sie in den vom Kläger begangenen Straftaten seinerzeit keine Unwürdigkeit i.S.v. § 7 Nr. 5 BRAO sah. Einer solchen Annahme steht bereits entgegen, dass der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO in den Widerrufsgründen des § 14 Abs. 2 und 3 BRAO keine Entsprechung findet. Soweit die Beklagte nach Kenntnisnahme von dem Urteil des Landgerichts C. keine weiteren Maßnahmen ergriffen hat, liegt im Übrigen nahe, dass sie zunächst abwarten wollte, ob das gerichtliche Verfahren betreffend ihren früheren Widerrufsbescheid vom 23. September 2011 - wie sodann auch geschehen - zu dessen Bestandskraft führen würde.
III.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert wurde nach § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO festgesetzt.
Limperg |
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Schmittmann |
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