Verfahrensgang
LG Baden-Baden (Urteil vom 27.04.2007) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 27. April 2007 aufgehoben, soweit festgestellt ist, dass der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Rechte der Verletzten unterbleibt, und der Umfang des aus den Taten Erlangten bezeichnet ist (Ziff. 6 des Tenors). Diese Feststellungen entfallen.
2. Im Übrigen werden die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betrugstaten zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Die Angeklagten hatten als Täter und Gehilfen für (vermeintliche) ausländische Finanzgesellschaften gegen eine Vorauszahlung Verträge über selbsttilgende Darlehen vermittelt; während die Darlehnsvaluta niemals ausgekehrt worden war, hatten die Angeklagten die Zahlungen der Darlehnsnehmer „abgeschöpft”.
Rz. 2
1. Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachbeschwerde den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Es entspricht zwar § 111i Abs. 2 StPO nF, dass der Tatrichter im Urteil feststellen kann, dass nur deshalb nicht auf Verfall erkannt worden ist, weil Ansprüche des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer solchen Anordnung entgegenstehen, und er in diesem Fall das aus der Tat Erlangte oder dessen Wert im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a StGB zu bezeichnen hat. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht jedoch § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere alte Recht gilt (vgl. schon den Hinweis in BGH NStZ 2006, 621). Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO nF hat trotz der systematischen Verortung in der Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter; die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO nF stellt die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich. Eine allein auf die Anordnung nach § 111i Abs. 3 StPO nF (Aufrechterhaltung von der Rückgewinnungshilfe dienenden Maßnahmen um drei Jahre) gerichtete, beschränkte Feststellungsentscheidung ist dem Tatrichter in Altfällen nicht möglich. Nach dem Gesetzeszweck sind nämlich die verlängerte Rückgewinnungshilfe nach Absatz 3 und der Auffangrechtserwerb nach Absatz 5 gerade aufeinander bezogen (ausführlich zum Ganzen, BGH, Urt. vom 7. Februar 2008 – 4 StR 502/07 m.w.N.). Auch nach dem Willen des Gesetzgebers bilden die neu eingefügten Absätze 2 bis 8 von § 111i StPO im Hinblick auf § 2 StGB ein einheitliches Regelungsgefüge mit auch materiell-rechtlichem Charakter. Er führt diesbezüglich aus, hinsichtlich der „sich aus § 111i Abs. 2 bis 8 StPO-E ergebenden möglichen Belastungen (sei) für den Verurteilten § 2 StGB anwendbar und … es (handele) sich ansonsten um Änderungen des Verfahrensrechts” (BTDrucks. 16/700 S. 20).
Rz. 3
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 29. Oktober 2007 dargelegten Gründen keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Anlass zu ergänzenden Ausführungen besteht nur hinsichtlich des Vorgehens der Strafkammer im Zusammenhang mit der nachträglich erhobenen Anklage gegen die Angeklagten R. und S. (Anklageschrift vom 28. Februar 2007):
a) Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:
Rz. 4
Am 18. Hauptverhandlungstag war gegen die Angeklagten R. und S. Nachtragsanklage erhoben worden. Diese betraf den Vorwurf der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Laut Anklageschrift vom 28. Februar 2007 hätten die beiden Angeklagten den Mitangeklagten W. in einer Hotelsuite festgehalten und ihn dazu gezwungen, eine Vollmacht zu unterzeichnen, die der Angeklagte R. dem Tatplan entsprechend der Mitangeklagten Wa. vorgelegt und so von dieser 1.017.000,– EUR aus betrügerischen Geschäften der B. erhalten habe. Die Angeklagten stimmten allerdings einer Einbeziehung der Nachtragsanklage nicht zu. Daraufhin wurde in einem neu eingeleiteten Verfahren die Anklageschrift vom 28. Februar 2007 zugestellt und „das Hauptverfahren eröffnet”, die Anklage „zur Hauptverhandlung zugelassen” und dieses Verfahren „zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu dem … anhängigen Verfahren … verbunden”.
Rz. 5
Am 20. Hauptverhandlungstag verzichteten die Angeklagten und ihre Verteidiger auf Einhaltung einer Ladungsfrist zu der weiteren Anklage und der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz. Am 22. Hauptverhandlungstag erteilte die Strafkammer unter anderem folgenden Hinweis: „Die Angeklagten … S. und … R. werden darauf hingewiesen, dass anstelle einer Verurteilung wegen einer mittäterschaftlichen Beteiligung bezüglich B. bzw. einer Verurteilung wegen räuberischer Erpressung bzw. Erpressung (Anklageschrift vom 28.02.2007) gegebenenfalls auch eine Verurteilung der Angeklagten … S. und … R. wegen Beihilfe zum Betrug – in einem besonders schweren Fall – gemäß §§ 263 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 und 2, 27 StGB in Betracht kommt, und zwar aufgrund der Entgegennahme der von der Angeklagten Wa. bis 14.09.2006 für B. eingezogenen Vorauszahlungen.” Am 24. Hauptverhandlungstag erging nach der Urteilsverkündung folgender Beschluss: „Das Verfahren gegen die Angeklagten R. und … S. wird hinsichtlich der Anklage vom 28.02.2007 abgetrennt.”
Rz. 6
Das Urteil wertet die in der Anklageschrift vom 28. Februar 2007 geschilderte prozessuale Tat für beide Angeklagten als Beihilfehandlung zum Betrug. Die Strafkammer hat die „Einzelheiten” des Geschehens in der Hotelsuite nicht aufzuklären vermocht. Ebenso wenig hat sie sich eine Überzeugung davon bilden können, „welche im Hintergrund wirkenden Personen als verantwortliche Organisatoren der Firma B. … fungierten” (UA S. 102). Zu Gunsten der Angeklagten R. und S. hat die Kammer angenommen, dass es sich hierbei nicht um diese selbst handelte, jedoch die – revisionsrechtlich nicht zu beanstandende – Feststellung getroffen, dass sie, um selbst finanziell zu profitieren, jedenfalls fördernde Beiträge zu den Betrugstaten der für die B. … Verantwortlichen leisteten, indem sie das Bargeld bei der Mitangeklagten Wa. abholten (UA S. 102 f., 171 f.).
Rz. 7
b) Das Vorgehen der Strafkammer im Zusammenhang mit der nachträglich erhobenen Anklage begründet kein Verfahrenshindernis (nachfolgend aa); auch die Beanstandungen in der Revision des Angeklagten S. bleiben ohne Erfolg (nachfolgend bb).
Rz. 8
aa) Stimmt in der Hauptverhandlung der Angeklagte der Einbeziehung einer Nachtragsanklage nicht zu (vgl. § 266 Abs. 1 StPO), so steht es dem Tatrichter grundsätzlich im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung frei, in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft die zusätzlichen Vorwürfe nach Erhebung einer hierauf bezogenen weiteren Anklage durch Eröffnung und Verbindung zum Gegenstand einer einheitlichen Hauptverhandlung zu machen. So ist dies hier geschehen, wobei die Verbindung, da sie auch auf „eine gemeinsame Entscheidung” zielte, gemäß §§ 3, 4 StPO – nicht gemäß § 237 StPO – erfolgte. Das Hauptverfahren wurde auch in Bezug auf die weitere Anklage, was von Amts wegen zu prüfen ist, ordnungsgemäß eröffnet.
Rz. 9
Ob der Tatrichter gehalten ist, mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen, wenn er bei fehlender Zustimmung zur Einbeziehung einer Nachtragsanklage die zusätzlichen Vorwürfe – wie hier – durch Eröffnung der „herkömmlichen” Anklage mit inhaltsgleichem Anklagesatz und durch Verfahrensverbindung zum Gegenstand dieser Hauptverhandlung macht (so BGH [5. Strafsenat] NStZ-RR 1999, 303 [nichttragend]), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Beschwerdeführer haben insoweit keine Verfahrensrüge erhoben; in der Hauptverhandlung verzichteten sie sogar auf die Einhaltung von Ladungsfristen.
Rz. 10
bb) Entgegen der in der Revision des Angeklagten S. geäußerten Auffassung bedurfte es hinsichtlich der nachträglich erhobenen Anklage keines Teilfreispruchs. Ein solcher hat zu unterbleiben, wenn die angeklagte Tat nur rechtlich anders gewürdigt wird (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 260 Rdn. 10). Dies ist hier der Fall: Zu der in der Anklageschrift vom 28. Februar 2007 geschilderten prozessualen Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO gehörte auch das Abholen der 1.017.000,– EUR bei der Mitangeklagten Wa. auf Grund der vom Mitangeklagten W. erteilten Vollmacht. Die – von der Strafkammer abweichend von der unverändert zugelassenen Anklage als Beihilfe zum Betrug beurteilte (vgl. § 264 Abs. 2 StPO) – Tat war somit Gegenstand der Urteilsfindung; der Urteilsspruch hat auch insoweit die Anklage erschöpfend erledigt. Der nach der Urteilsverkündung ergangene Abtrennungsbeschluss geht freilich ins Leere; der Fortführung des abgetrennten Verfahrens stünde das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs entgegen.
Rz. 11
Auch die vom Angeklagten S. erhobenen übrigen verfahrensrechtlichen Beanstandungen (unzutreffender rechtlicher Hinweis, fehlendes rechtliches Gehör, Verletzung der Aufklärungspflicht wegen der Gefahr nochmaliger Verurteilung) dringen nicht durch, wie schon der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. Zwar war der Abtrennungsbeschluss verfahrensfehlerhaft; er ist jedoch gegenstandslos und kann auf Grund des Zeitpunkts seiner Verkündung das Verteidigungsverhalten zuvor nicht beeinflusst haben.
Rz. 12
3. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Beschwerdeführer – teilweise – von den durch ihre Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2560301 |
wistra 2008, 193 |
NStZ-RR 2011, 225 |
NStZ-RR 2011, 230 |
NStZ-RR 2011, 265 |
StV 2008, 226 |