Leitsatz (amtlich)
Der Formularantrag eines Gläubigers, näher bezeichnete Ansprüche des Schuldners gegen nicht mehr als drei bestimmte Geldinstitute am Wohnort des Schuldners zu pfänden, ist grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich.
Normenkette
ZPO § 829 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 25.07.2003) |
AG Freiberg (Beschluss vom 24.06.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz v. 25.7.2003 und der Beschluss des AG Freiberg v. 24.6.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das AG Freiberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Gläubiger beantragte beim AG den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer titulierten Hauptforderung i. H. v. 502,97 Euro zzgl. Zinsen und Kosten. In einem vorformulierten Beschlussformular benannte er als Drittschuldner drei Geldinstitute, die am Wohnort des Schuldners einen Geschäftsbetrieb unterhalten. Nachdem das AG den Gläubiger erfolglos aufgefordert hatte, zum Bestehen der zu pfändenden Forderungen nähere Angaben zu machen, hat es den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit der Begründung abgelehnt, es liege eine unzulässige Ausforschungspfändung vor. Die vom Gläubiger gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Gläubigers, mit der er den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen will.
II.
Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Beschlüsse des Land- sowie des AG und Zurückverweisung der Sache an das AG.
1. Das Beschwerdegericht meint, das AG habe die Pfändung zu Recht als unzulässige Ausforschungspfändung abgelehnt, weil der Gläubiger keine ausreichenden Tatsachen für das Bestehen der zu pfändenden Forderungen und deren Pfändbarkeit vorgetragen habe. Da die Schlüssigkeitsprüfung - vor allem auf Grund der Tatsache, dass der Gläubiger gegen verschiedene Schuldner in gleicher Art und Weise mit der Benennung von drei Geldinstituten als Drittschuldner vorgegangen sei - Anhaltspunkte dafür ergeben habe, die Pfändung könne wegen Nichtbestehens der Forderungen ins Leere gehen, hätte der Gläubiger nach Aufforderung durch den Rechtspfleger darlegen müssen, aus welchen Gründen er das Bestehen der zu pfändenden Ansprüche des Schuldners gegen die benannten drei Drittschuldner behaupte. Dies folge aus der Pflicht des Vollstreckungsgerichts, auch die Interessen des Schuldners und der Drittschuldner zu wahren. Der Gläubiger müsse sich durch das Verfahren auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, welches das Gesetz für die Ausforschung vorsehe, die für die Forderungspfändung notwendigen Kenntnisse verschaffen. Jede andere Vollstreckungsmaßnahme mit identischer Zweckbestimmung sei rechtsmissbräuchlich.
2. Die Rechtsbeschwerde vertritt die Auffassung, die Angaben im Antrag auf Pfändung und Überweisung seien als hinreichend substanziierter Tatsachenvortrag anzusehen. Eine unzulässige Ausforschung liege nicht vor; auch sei das Vorgehen des Gläubigers nicht rechtsmissbräuchlich.
3. Die von der Rechtsbeschwerde vertretene Meinung ist überzeugend.
a) Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses prüft das zuständige Vollstreckungsgericht nicht, ob die zu pfändende Forderung besteht; es prüft nur, ob diese nach dem Sachvortrag des Gläubigers dem Schuldner gegen den Drittschuldner zustehen kann und ob sie nicht unpfändbar ist (BGH, Beschl. v. 27.6.2003 - IXa ZB 62/03, BGHReport 2003, 1375 = MDR 2003, 1378 = WM 2003, 1875 [1876]; vgl. Musielak/Becker, ZPO, 3. Aufl., § 819 Rz. 8; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 829 Rz. 4, 5; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 829 Rz. 20). Der Sachvortrag des Gläubigers ist dabei als wahr zu unterstellen. Da der zu pfändende Anspruch nicht begründet, sondern lediglich bezeichnet wird, darf der Rechtspfleger den Antrag nur ausnahmsweise ablehnen, wenn dem Schuldner der Anspruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen offenbar nicht zustehen kann oder ersichtlich unpfändbar ist. Deshalb pfändet das Vollstreckungsgericht auch nur die "angebliche Forderung" des Schuldners gegen den Drittschuldner (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 829 ZPO Rz. 32; Musielak/Becker, ZPO, 3. Aufl., § 819 Rz. 8; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 829 Rz. 4, 5).
b) Die Frage, ob von einem schlüssigen Sachvortrag ausgegangen werden kann, wenn der Gläubiger in einem Formular gleichzeitig die Pfändung und Überweisung von mehreren Forderungen des Schuldners gegen eine Vielzahl von an seinem Wohnort ansässigen Geldinstituten beantragt, ist streitig.
Zum Teil wird die Meinung vertreten, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, dass in einem solchen Fall der Gläubiger lediglich unsubstanziierte Behauptungen und Vermutungen aufstelle, die auf die Ausforschung von Erkenntnisquellen zielten und die beantragte Pfändung nicht rechtfertigen könnten (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 829 Rz. 5, Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rz. 485d; Alisch, DGVZ 1985, 107 ff.). Eine solche unzulässige Ausforschungspfändung ist von der Rechtsprechung bejaht worden bei der Benennung von 20 (LG Hannover JurBüro 1985, 789) oder 264 Geldinstituten (OLG München v. 1.8.1990 - 14 W 173/90, DB 1990, 1916) ohne einen weiteren Tatsachenvortrag für konkrete Geschäftsbeziehungen.
Nach der Gegenmeinung (vgl. Schulz, DGVZ 1985, 105 ff.; Münzberg, ZZP 102 [1989], 129, 131 ff.), auf die sich die Rechtsbeschwerde beruft, ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu erlassen, weil der Antrag genügend bestimmt sei, nicht der Ausforschung diene und auch nicht als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sei.
c) Für den zu entscheidenden Fall, in dem in einem vorformulierten Antrag zu pfändende Ansprüche des Schuldners gegen drei an seinem Wohnort ansässige Geldinstitute als Drittschuldner benannt sind, ist der zuletzt dargestellten Rechtsauffassung zu folgen.
Der Gläubiger hat zum Bestehen der zu pfändenden Forderungen schlüssig vorgetragen, weil diese nach Schuldner, Drittschuldner und Schuldgrund bestimmt bezeichnet sind. Zwar ist es nach der Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich, dass dem Schuldner, der es wegen einer Forderung in geringer Höhe zu Vollstreckungsmaßnahmen kommen lässt, die in dem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bezeichneten Ansprüche insgesamt oder zumindest überwiegend zustehen (vgl. LG Aurich v. 16.11.1992 - 3 T 206/92, Rpfleger 1993, 357; v. 3.12.1992 - 3 T 216/92, Rpfleger 1993, 357). Dies genügt jedoch für die Antragsablehnung nicht, weil damit das Nichtbestehen jedes der bezeichneten Ansprüche weder positiv feststeht noch offenkundig ist (vgl. Schulz, DGVZ 1985, 105 [106]; Münzberg, ZZP 102 [1989], 129, 132). Denn es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ebenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der Schuldner mit den drei Geldinstituten an seinem Wohnort in Geschäftsbeziehungen steht und insoweit die zu pfändenden Ansprüche bestehen. Die Unterhaltung von bis zu drei örtlichen Bankverbindungen bezeichnet allerdings auch die Obergrenze, die im Allgemeinen bei nicht gewerblich tätigen Schuldnern in Betracht kommt.
Mit seinem weit gefassten Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses verstößt der Gläubiger nicht gegen die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die es lediglich verbietet, Erklärungen gegen besseres Wissen abzugeben (Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 138 Rz. 3). Er darf Tatsachen behaupten, über die er keine positive Kenntnis hat und im Regelfall auch nicht haben kann, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich und möglich hält (vgl. BGH, Urt. v. 19.9.1985 - IX ZR 138/84, MDR 1986, 230 = NJW 1986, 246 [247] und ständig). Nur eine willkürliche, "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptung einer Forderung ohne jeden Anhaltspunkt für ihr Bestehen ist unbeachtlich. Davon kann bei der Bezeichnung von Ansprüchen des Schuldners gegen drei an seinem Wohnsitz tätige Geldinstitute nicht gesprochen werden.
Soweit das Vollstreckungsgericht auf Grund des gleichartigen Vorgehens des Gläubigers gegen verschiedene Schuldner in Parallelverfahren am Bestehen der zu pfändenden Forderungen gezweifelt und deshalb ergänzende Angaben verlangt hat, beruht dies auf einer unzulässigen Amtsermittlung. Die §§ 829 ff. ZPO sehen - wie oben unter 3. a) dargestellt worden ist - eine materielle Prüfung der zu pfändenden Ansprüche nicht vor, wenn diese nach dem Sachvortrag des Gläubigers im konkreten Zwangsvollstreckungsverfahren bestehen und pfändbar sein können.
Eine "Forderungspfändung auf Verdacht" ist bis zur Grenze einer Ausforschungspfändung wegen des durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Befriedigungsrechts des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung (vgl. BGH v. 25.3.1999 - IX ZR 223/97, BGHZ 141, 173 [177] = MDR 1999, 826) nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar könnte der Gläubiger zunächst die Sachpfändung durchführen und nach deren Fruchtlosigkeit im Rahmen des Verfahrens auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§§ 807, 900 ff. ZPO) ausforschen, ob und welche Ansprüche dem Schuldner gegen Geldinstitute zustehen. Bei einem solchen Vorgehen besteht aber - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist - die Gefahr, dass der Schuldner, der nach der Bezeichnung seiner Konten im Vermögensverzeichnis mit Pfändungen rechnen muss, diese räumt, so dass die spätere Pfändung ins Leere geht (vgl. Schulz, DGVZ 1985, 105 [107]).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts werden dadurch weder die schützenswerten Interessen der als Drittschuldner beteiligten Geldinstitute noch die des Schuldners in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Wer als Geldinstitut Konten führt, muss und wird sich auf Pfändungen von Guthaben einstellen. Im Normalfall ist für ein Geldinstitut, das über einen voll eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt, die Drittschuldnererklärung (§ 840 ZPO) nicht mit einem ins Gewicht fallenden zusätzlichen personellen und sachlichen Aufwand verbunden, weil es die erforderlichen Erklärungen mit Hilfe moderner Datentechnik leicht abgeben kann (vgl. Schulz, DGVZ 1985, 105 [106]). Der Schuldner, der die Ursache für die Zwangsvollstreckung gesetzt hat, muss die für ihn durch ins Leere gehende Pfändungen möglicherweise eintretenden Nachteile im vorrangigen Interesse des Gläubigers hinnehmen.
4. Nach alledem können die angefochtenen Entscheidungen keinen Bestand haben. Gemäß § 577 Abs. 5, § 572 Abs. 3 ZPO ist die Sache an das AG zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1132080 |
DB 2004, 1829 |
NJW 2004, 2096 |
BGHR 2004, 911 |
EBE/BGH 2004, 1 |
FamRZ 2004, 872 |
JurBüro 2004, 391 |
KTS 2004, 399 |
MittBayNot 2004, 463 |
WM 2004, 934 |
WuB 2004, 541 |
ZIP 2004, 1380 |
InVo 2004, 370 |
JuS 2004, 829 |
KKZ 2005, 111 |
MDR 2004, 834 |
MDR 2006, 966 |
Rpfleger 2004, 427 |
Rpfleger 2004, 572 |
BKR 2004, 315 |
VE 2004, 93 |
ZBB 2004, 317 |
ZVI 2004, 284 |
GK/Bay 2005, 361 |
GK 2005, 348 |
Kreditwesen 2004, 979 |
LMK 2004, 146 |
ProzRB 2004, 211 |