Verfahrensgang
LG Neuruppin (Urteil vom 11.12.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 11. Dezember 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten erzielt einen Teilerfolg. Sie ist zum Schuldspruch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Hingegen hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Der Angeklagte und sein Opfer H. waren aus Vietnam stammende Asylbewerber. Im wesentlichen auf Grund der Einlassung des Angeklagten und des Gutachtens der rechtsmedizinischen Sachverständigen hat das Landgericht folgenden Tathergang festgestellt: Nach einem Streit über die Zulässigkeit des Konsums von Alkohol und Drogen drohte der alkoholisierte H. dem Angeklagten, ihn nicht mehr im Heim für Asylbewerber oder in Berlin wohnen zu lassen. H. schlug dem Angeklagten eine gefüllte Thermoskanne gegen die Stirn, ohne eine erhebliche Verletzung zu bewirken. Der Angeklagte erfaßte zur Abwehr weiterer Angriffe ein unter der Couch befindliches Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 18 cm und kündigte dessen Einsatz für den Fall weiterer Schläge an. H. setzte seine Angriffe mit der Kanne fort. Der Angeklagte versuchte mit der linken Hand den Schlag abzuwehren und stieß mit dem Messer 10 cm tief – nicht tödlich – in den linken Oberbauch des Angreifers. Während eines folgenden Gerangels versuchte H. weiter, den Angeklagten mit der Kanne auf den Kopf zu schlagen. Schließlich obsiegte der Angeklagte, dem es gelungen war, seinen Gegner in Richtung Zimmertür zu schieben und ihm die Kanne aus der Hand zu schlagen. Kurz drauf verlor H. das Gleichgewicht; er griff reflexartig mit der rechten Hand an den Nacken des Angeklagten und zog diesen im Fallen mit zu Boden. Der Angeklagte stieß dann – mit bedingtem Tötungsvorsatz – mit voller Wucht das Messer in seiner ganzen Länge über dem unteren Brustbeinteil in den Bauch des H. Nicht mehr beherrschbare innere Blutungen führten noch in der Tatnacht zum Tod des Opfers.
2. Das Landgericht hat den ersten Messerstich als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen. Die – für den tödlichen Messerstich – auf ein Unfallgeschehen abhebende Einlassung des Angeklagten hat es mit rechtsfehlerfreien Feststellungen widerlegt. Dagegen begegnet die Begründung, mit der das Schwurgericht die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 213 StGB verneint hat, durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht hat darauf abgestellt, daß der – eine willentliche Verletzung verneinenden – Einlassung des Angeklagten keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen seien, daß der Angeklagte durch die Mißhandlung und den Versuch weiterer Mißhandlungen zum Zorn gereizt war. Damit stützt sich das Schwurgericht zu Unrecht auf die in diesem Punkt als widerlegt angesehenen Angaben des Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 442/98) und unterläßt es, den fehlerfrei festgestellten Sachverhalt eines vorsätzlichen Tötungsdelikts auch im Hinblick auf eine für das Maß der Schuld relevante Motivation des Angeklagten zu würdigen. Der Umstand, daß der Angeklagte zunächst berechtigt Notwehr ausgeübt hatte, hindert nicht die Anwendung der ersten Alternative des § 213 StGB (BGH NStZ 2001, 477, 478); unmittelbar anschließend setzte das Opfer sogar noch seine Angriffe fort und zog den Angeklagten mit zu Boden. Der dann mit großer Heftigkeit vom Angeklagten geführte tödliche Stich dürfte – nicht fernliegend – dann auch aus spontanem Zorn über diese weiteren Angriffe geführt worden sein (vgl. BGH aaO m. w. N.).
3. Der Senat kann nicht ausschließen, daß bei rechtsfehlerfreier Prüfung des § 213 StGB das Schwurgericht zu einer geringeren Strafe gelangt wäre. Über die Straffrage muß daher erneut entschieden werden. Eine Heranziehung generalpräventiver Erwägungen liegt hier fern (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 3 und 7).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558277 |
StraFo 2004, 243 |