Leitsatz (amtlich)
Die Heilung von Mängeln des Haftantrags wirkt auch im Haftaufhebungsverfahren nur für die Zukunft. Wenn zusätzliche Feststellungen des Gerichts erforderlich sind, tritt die Heilung wie im Haftanordnungsverfahren mit der Entscheidung des Gerichts ein. Behebt die beteiligte Behörde dagegen selbst durch ausreichende eigene ergänzende Angaben die Defizite des Haftantrags, tritt die Heilung schon mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein.
Normenkette
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2, § 426
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 11.04.2019; Aktenzeichen 25 T 118/19) |
AG Neuss (Beschluss vom 06.02.2019; Aktenzeichen 16 XIV (B) 15/18) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen werden der Beschluss des AG Neuss vom 6.2.2019 und der Beschluss der 25. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 11.4.2019 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Vollzug der durch den Beschluss des AG Neuss vom 31.8.2018 angeordneten Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12.11.2018 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen des Aufhebungsverfahrens nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Person des Vertrauens des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Dormagen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
Rz. 1
I. Mit Beschluss vom 31.8.2018 ordnete das AG gegen den Betroffenen, einen pakistanischen Staatsangehörigen, Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Pakistan bis zum 30.11.2018 an. Grundlage dieser Anordnung war ein seit dem 18.7.2017 vollziehbarer Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18.5.2017, durch den dieses einen Asylantrag des Betroffenen unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche und unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte.
Rz. 2
Mit am 30.9.2018 eingegangenem Schriftsatz hat sich für den Betroffenen unter Vorlage einer von diesem unterzeichneten entsprechenden Erklärung die eingangs genannte Person seines Vertrauens (fortan: Vertrauensperson) gemeldet. Diese hat sich einem etwaigen - allerdings nicht anhängigen - Beschwerdeverfahren angeschlossen und hilfsweise die Aufhebung der Haft beantragt. Der Betroffene ist am 12.11.2018 aus der Haft entlassen worden, weil die pakistanischen Behörden seine Identität nicht hatten feststellen können. Den für diesen Fall gestellten Antrag der Vertrauensperson festzustellen, dass der Betroffene durch den Vollzug der mit dem Beschluss vom 31.8.2018 angeordneten Haft in seinen Rechten verletzt worden sei, hat das AG zurückgewiesen. Die Beschwerde ist bei dem LG ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Vertrauensperson weiterhin zugunsten des Betroffenen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit dem Beschluss vom 31.8.2018 gegen diesen angeordneten Haft erreichen.
Rz. 3
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hält sowohl den ursprünglichen Aufhebungsantrag als auch den nach der Entlassung des Betroffenen aus der Haft gestellten Feststellungsantrag für zulässig. Die durch das AG angeordnete Haft sei auch rechtswidrig gewesen, weil es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde gefehlt habe. Diese habe aber die fehlenden Angaben in ihrem Schriftsatz im Aufhebungsverfahren vom 12.11.2018 nachgeholt und damit geheilt. Der Feststellungsantrag sei daher im Ergebnis unbegründet.
Rz. 5
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Vollzug der mit dem Beschluss des AG vom 31.8.2018 angeordneten Haft hat den Betroffenen in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12.11.2018 in seinen Rechten verletzt. Die Haftanordnung hätte nämlich auf den durch die Vertrauensperson des Betroffenen gestellten Antrag hin aufgehoben werden müssen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte und die gegen den Betroffenen angeordnete Sicherungshaft bis zu seiner Entlassung aus der Haft rechtswidrig war.
Rz. 6
a) Die Rechtsbeschwerde der Vertrauensperson des Betroffenen ist zulässig. Insbesondere ist diese beschwerdebefugt, weil der Betroffene sie als Vertrauensperson benannt hat (§ 429 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG). Sie war, wie nach § 429 Abs. 2 FamFG erforderlich, bereits im ersten Rechtszug beteiligt, weil sie, was trotz der noch laufenden Beschwerdefrist möglich und von der Vertrauensperson auch so beabsichtigt war, den Haftaufhebungsantrag vor dem AG gestellt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 26.7.2012 - V ZB 26/12, juris Rz. 2; v. 29.11.2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rz. 3; v. 19.5.2020 - XIII ZB 82/19 Rz. 13, z. Veröff. best.).
Rz. 7
b) Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Rz. 8
aa) Das Beschwerdegericht geht zu Recht davon aus, dass ein Antrag auf Aufhebung der Sicherungshaft nach § 426 FamFG nicht nur auf nachträglich eintretende Umstände gestützt werden kann, sondern auch darauf, dass die Haft von Anfang an rechtswidrig war (BGH, Beschl. v. 18.9.2008 - V ZB 129/08 BGHReport 2008, 1232 Rz. 18 f. - noch zum FreihEntzG; v. 28.4.2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rz. 17; v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 6 beide zum FamFG). Einem so begründeten Antrag steht die Rechtskraft der Entscheidung nicht entgegen, soweit die Aufhebung nicht für einen vor dem Eintritt der Rechtskraft und vor dem Eingang des Aufhebungsantrags bei dem AG liegenden Zeitraum beantragt wird (BGH, Beschl. v. 28.4.2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rz. 17 und 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 4). Richtig ist ferner, dass der Betroffene - und für ihn seine Vertrauensperson (BGH, Beschl. v. 29.11.2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rz. 3) - auch in einem Aufhebungsverfahren analog § 62 FamFG die Feststellung beantragen kann, durch den weiteren Vollzug der aufzuhebenden Haft in seinen Rechten verletzt worden zu sein, wenn er vor der Bescheidung des Antrags aus der Haft entlassen wird (BGH, Beschl. v. 24.9.2015 - V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56 Rz. 8; v. 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 4).
Rz. 9
bb) Mit zutreffender Begründung nimmt das Beschwerdegericht weiter an, dass die Haftanordnung des AG vom 31.8.2018 rechtswidrig war, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
Rz. 10
cc) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die mangels zulässigen Haftantrags rechtswidrige Haft bis zur Entlassung des Betroffenen nicht rechtmäßig geworden, so dass die seit dem Tag nach dem Eingang des Haftaufhebungsantrags - dem 1.10.2018 - vollzogene Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Rz. 11
(1) Mängel des Haftantrags können allerdings nach der Rechtsprechung des BGH auch im Haftaufhebungsverfahren geheilt werden (BGH, Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 15-17). Deshalb ist eine mangels zulässigen Haftantrags rechtswidrige, dessen ungeachtet rechtskräftig gewordene Haftanordnung nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen bedarf es in diesem Fall mangels einer § 420 FamFG entsprechenden Vorschrift nicht (BGH, Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 18; v. 1.6.2017 - V ZB 42/17, juris Rz. 11; v. 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 8).
Rz. 12
(2) Die Heilung wirkt indessen auch im Haftaufhebungsverfahren nur für die Zukunft (BGH, Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 16; v. 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 8). Wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist, scheidet nur die Aufhebung der Haftanordnung wegen Defiziten des Haftantrags, Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung nach § 426 FamFG aus. Die auf dieser Grundlage vollzogene weitere Haft ist dann nicht rechtswidrig. In dem bis dahin verstrichenen Zeitraum seit dem Eingang des Aufhebungsantrags bleibt die Haft dagegen rechtswidrig; sie verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, was auf seinen oder - hier - auf Antrag seiner Vertrauensperson hin festzustellen ist (BGH, Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 16 f.; v. 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 8). Wenn zusätzliche Feststellungen des Gerichts erforderlich sind, tritt die Heilung - wie im Haftanordnungsverfahren (dazu: BGH, Beschl. v. 25.1.2018 - V ZB 71/17, InfAusIR 2018, 218 Rz. 9) - erst, aber auch schon mit der Entscheidung des Gerichts ein (BGH, Beschl. v. 12.7.2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rz. 9). Behebt die beteiligte Behörde dagegen selbst durch ausreichende eigene ergänzende Angaben die Defizite des Haftantrags, tritt die Heilung schon mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein (vgl. BGH, Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rz. 16 f. und Beschl. v. 1.6.2017 - V ZB 42/17, juris Rz. 11).
Rz. 13
(3) Danach war die Haft in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12.11.2018 rechtswidrig. Denn sie beruhte in diesem Zeitraum auf einem unzulässigen Haftantrag; sie hätte deshalb gar nicht erst angeordnet und nach § 426 FamFG aufgehoben werden müssen. Der Antrag der Vertrauensperson des Betroffenen ist zwar schon am 30.9.2018 bei dem AG eingegangen. Die Vertrauensperson des Betroffenen hat aber mit ihrem Hinweis auf den Beschluss des BGH vom 24.9.2015 (V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56) zu erkennen gegeben, dass sie sich bei der Antragstellung an die in dieser Entscheidung aufgezeigten zeitlichen Grenzen der Feststellung der Rechtswidrigkeit halten und die Feststellung erst von dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung - hier von dem Ablauf des 30.9.2018 - an beantragen will. Die Haft des Betroffenen war auch bis zu dem Ablauf des Tags seiner Entlassung aus der Sicherungshaft rechtswidrig. Die Heilung hätte zwar nach den oben dargestellten Grundsätzen schon durch den am 12.11.2018 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz eintreten können, wenn dieser die Defizite des Haftantrags behoben hätte. Ob der Schriftsatz der beteiligten Behörde vom 12.11.2018 diesen Anforderungen entspricht, muss hier nicht entschieden werden. Denn die Haft war aus einem anderen Grund auch an diesem Tag rechtswidrig. Der wenige Stunden nach dem Schriftsatz eingegangenen ergänzenden Mitteilung der Behörde zufolge ist der Betroffene am gleichen Tag aus der Sicherungshaft entlassen worden, weil der Versuch, ihn nach Pakistan abzuschieben, gescheitert und ein weiterer Versuch nicht absehbar war.
Rz. 14
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2, 430 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Fundstellen
Haufe-Index 13941385 |
JZ 2020, 540 |