Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 27. Juni 2024 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 12. Juli 2016 wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung des - noch nicht durch die in dieser Sache erlittene Untersuchungshaft vollstreckten - Restes der Freiheitsstrafe hat es mit Beschluss vom 4. Januar 2018 gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, eine Bewährungszeit von fünf Jahren bestimmt, den Verurteilten für deren Dauer der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm mehrere Weisungen erteilt. Mit Beschluss vom 2. Dezember 2021 hat das Oberlandesgericht die Bewährungszeit im Hinblick auf eine Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen sowie Verstößen gegen die ihm erteilten Weisungen um ein Jahr auf insgesamt sechs Jahre verlängert.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 27. Juni 2024 hat das Oberlandesgericht die Strafaussetzung zur Bewährung im Hinblick auf eine erneute Verurteilung durch das Landgericht Darmstadt vom 23. Mai 2024 wegen in den Jahren 2020 und 2021 und damit innerhalb der Bewährungszeit begangenen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge widerrufen. Der Beschwerdeführer ist durch das Landgericht Darmstadt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden; dieses Urteil ist seit dem 31. Mai 2024 rechtskräftig.
Rz. 3
Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 1. Juli 2024 richtet sich der Beschwerdeführer gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. Juni 2024. Er rügt, dass es sich bei den dem neuerlichen Urteil zugrundeliegenden Taten - anders als in der Verurteilung vom 12. Juli 2016 - nicht um politisch motivierte, sondern um Betäubungsmitteldelikte und damit nicht einschlägige Straftaten gehandelt habe. Zudem macht er geltend, dass er sich komplett vom radikal-islamistischen Umfeld gelöst habe. Dasselbe beabsichtige er nun, hinsichtlich des „BtM-Milieus“ umzusetzen. Ein Bewährungswiderruf bedeute, dass er aufgrund des der Verurteilung zugrundeliegenden Kriegsverbrechens im Vollzug besonderen Sicherheitsmaßnahmen unterworfen werde, die ihn bei Ausbildungsmöglichkeiten und einer Arbeitsaufnahme einschränkten.
Rz. 4
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Rz. 5
Die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 5 Satz 1, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB liegen vor.
Rz. 6
a) Der Verurteilte hat durch die Begehung der Betäubungsmittelstraftaten gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist in diesem Zusammenhang eine neue Prognose anzustellen und ein Widerruf anlässlich solcher Neutaten zulässig, in denen angesichts der aktuellen Lebensumstände des Verurteilten - also unter Berücksichtigung etwaiger positiver Veränderungen nach der Begehung der neuen Tat - zum Ausdruck kommt, dass er seine kriminelle Lebensführung nicht geändert hat (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. April 2020 - 1 Ws 31/20, juris Rn. 14; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2015 - 22 Ws 19/15, juris Rn. 21; OLG Dresden, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 2 Ws 201/09, juris Rn. 11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Juli 1995 - 1 Ws 555/95, JMBl NW 1996, 8, 9; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 1995 - 1 Ws 965-966/95, NStZ-RR 1996, 185; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Februar 1993 - 3 Ws 6/93, Justiz 1993, 387, 388; OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Mai 1982 - 1 Ws 222/82, StV 1982, 526, 527; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Oktober 1974 - 1 Ws 510/74, VRS 62, 263, 264; siehe auch LK-StGB/Hubrach, 13. Aufl., § 56f Rn. 14). Die Strafaussetzung beruht auf einer Erwartung vollständiger Straffreiheit. Dementsprechend müssen die frühere Tat und das neue Delikt nicht einen kriminologischen Zusammenhang aufweisen oder nach Art und Schwere miteinander vergleichbar sein (vgl. Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 14. März 2011 - 2 Ws 26 - 27/11 u.a., juris Rn. 35; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 17. September 2019 - 1 Ws 111/19, juris Rn. 8; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 Ws 31/14, juris Rn. 8; KG, Beschluss vom 16. Februar 2023 - 2 Ws 1/23, juris Rn. 11; KG, Beschluss vom 2. April 2001 - 1 AR 164/01 - 5 Ws 113/01, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 26. März 1980 - StB 10/80 zu dem Nichterfordernis einer Vergleichbarkeit nach Art und Schwere; ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 Ws 484/08, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Februar 1993 - 3 Ws 6/93, Justiz 1993, 387, 388 bezüglich des Nichterfordernisses eines kriminologischen Zusammenhangs; offengelassen hinsichtlich eines kriminologischen Zusammenhangs BGH, Beschluss vom 24. November 1995 - StB 89/95, BGHR StGB § 56f Abs. 1 Straftat 1). Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzessystematik geben für eine solche Einschränkung einen Anhalt. Denn bereits der Wortlaut der allgemeinen Vorschriften des § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Strafaussetzung zur Bewährung und des § 57 Abs. 1 und 2 StGB zur Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe stellt ganz allgemein auf die Erwartung ab, dass der Verurteilte - ohne die Einwirkung des Strafvollzugs - keine Straftaten begehen wird. Gleiches gilt für die vorliegend einschlägige Regelung des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB. Es kommt hinzu, dass auch Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht für eine einschränkende Auslegung der Norm streiten. Ihre ratio legis besteht in der Berichtigung der ursprünglich günstigen Kriminalprognose (Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56f Rn. 1 mwN; Dölling/Duttge/Rössner/Braasch, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl., § 56f Rn. 1; weitergehend im Sinne einer Bestrafung für den Bewährungsbruch SSW-StGB/Claus, StGB, 6. Aufl., § 56f Rn. 2; MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, § 56f Rn. 3) und - wie aus § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zur Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe deutlich wird - zudem in dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit. Die Erwartung künftiger Straffreiheit wird aber durch jede neue Tat in Frage gestellt, mithin auch durch eine solche, die mit der ursprünglichen nicht in einem Zusammenhang steht. Die gegenteilige Auffassung, die für den Widerruf der Strafaussetzung einen kriminologischen oder inneren Zusammenhang zwischen der früheren und der in der Bewährungszeit begangenen Straftat verlangt (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Mai 1982 - 1 Ws 222/82, StV 1982, 527, 528; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Mai 1983 - 1 Ws 254/83, StV 1983, 337, 338; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 1995 - 1 Ws 516/95, JMBl NW 1995, 248, 249; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2013 - 2 Ws 494 - 495/13 u.a., juris Rn. 10 freilich jeweils ohne nähere Begründung), wird vor diesem Hintergrund dem gesetzlichen Regelungsgefüge nicht gerecht.
Rz. 7
b) Im Übrigen nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug. Soweit der Verurteilte in seiner Stellungnahme vom 2. September 2024 geltend macht, er werde sich zukünftig vollständig aus dem „BtM-Milieu“ zurückziehen und davon distanzieren, vermag ein solches Versprechen eine positive Prognose nicht zu begründen. Denn der Verurteilte hat in der Vergangenheit gezeigt, dass auch eine laufende Bewährung mit Weisungen ihn nicht von der Begehung weiterer, schwerer Straftaten abhalten konnte.
Schäfer Hohoff Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 16668618 |
NJW-Spezial 2024, 761 |