Entscheidungsstichwort (Thema)
sexuelle Nötigung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 26. Mai 2000 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Einschränkung des Schuldumfangs und infolgedessen zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in dem Zeitraum von 1989 bis 1994 in acht Fällen sexuelle Handlungen an seiner im Jahre 1979 geborenen Nichte M. M. vorgenommen. Diese Handlungen bestanden insbesondere darin, daß er die Brüste der Geschädigten betastete, mit einer Hand an der unbedeckten Scheide manipulierte und dabei bis zum Samenerguß onanierte. In zwei Fällen (II. 2. und 7. der Urteilsgründe) mußte die Geschädigte ihn selbst mit der Hand bis zum Samenerguß befriedigen. In zwei weiteren Fällen (II. 5. und 8. der Urteilsgründe) legte sich der Angeklagte zusätzlich auf die Geschädigte und rieb seinen Penis an deren Scheide.
2. Der Angeklagte hat die sexuellen Handlungen bestritten. Das Landgericht stützt sich bei seiner Überzeugungsbildung im wesentlichen auf die belastenden Bekundungen der Geschädigten, die es – in Übereinstimmung mit dem Glaubwürdigkeitsgutachter – für glaubhaft hält. Die Zeugin habe zwar – was auf eine histrionische Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sei – mehrfach wahrheitswidrig zu ihrem Nachteil begangene Straftaten – auch sexueller Art – bei der Polizei angezeigt, und es habe sich auch die Darstellung der Zeugin als unwahr herausgestellt, daß der Angeklagte mit mehreren Fingern oder mit dem Penis in ihre Scheide eingedrungen sei. Im Umfang der getroffenen Feststellungen sei jedoch den Angaben der Zeugin auf Grund ihres Aussageverhaltens, der im Gegensatz zu den vorgetäuschten Straftaten detailhaften Schilderungen und gewichtiger außerhalb der Zeugenaussage liegender Indizien zu folgen.
II.
1. Anklage und Eröffnungsbeschluß sind wirksam; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift Bezug genommen.
2. Die von der Revision erhobene Sachrüge gibt keinen Anlaß zur Beanstandung des Schuldspruchs. Jedoch hat das Landgericht die Frage, ob der Angeklagte in den Fällen II. 5., 7. und 8. zusätzliche Tatmodalitäten erfüllt hat, nicht rechtsfehlerfrei behandelt. Dieser Fehler berührt indessen nur den Schuldumfang und damit den Strafausspruch.
Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st.Rspr., vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 108). Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muß der Tatrichter jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im übrigen dennoch zu glauben (BGHSt 44, 153, 158; 44, 256, 257).
a) Diesen erhöhten Anforderungen ist das angefochtene Urteil zwar zu der grundsätzlichen Frage, ob in den einzelnen zur Entscheidung stehenden Fällen überhaupt sexuelle Übergriffe des Angeklagten gegenüber der Zeugin M. M. stattgefunden haben, noch gerecht geworden.
Die insoweit ausführliche Glaubwürdigkeitsprüfung läßt relevante Lücken nicht erkennen. Die Strafkammer hat insbesondere die hier durchaus naheliegende Möglichkeit einer auf die histrionische Persönlichkeitsstörung der Zeugin zurückzuführenden bewußt unwahren Aussage mit rechtlich nicht zu beanstandender Begründung ausgeschlossen. Sie begründet dies nicht nur mit dem Aussageverhalten der Zeugin in der Hauptverhandlung und den im Gegensatz zu den vorgetäuschten Straftaten detailhaften Schilderungen, sondern vor allem auch mit außerhalb der Zeugenaussage liegenden gewichtigen Indizien. Hierzu zählen die für glaubhaft erachteten Bekundungen des Zeugen A. M. über Angaben der Zeugin zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten, die diese ihm gegenüber bereits als Acht- oder Neunjährige und damit vor Entwicklung der Persönlichkeitsstörung gemacht hatte. Ferner hat die Kammer die Feststellungen zu vergleichbaren Übergriffen auf die Zeugin S. und auf C. H., die Tochter der Zeugin S. H. , herangezogen, die auf die Angaben der Zeugin S. zu derartigen Übergriffen und auf der – durch weitere Beweisanzeichen bestätigten – Aussage der Zeugin S. H. zu einem Bericht ihrer Tochter C. gestützt werden. Weitere Indizien ergeben sich aus den Angaben der Zeugin Dr. Me. über Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch und des Zeugen Z. über Rufe der Geschädigten im Schlaf.
Wenn die Strafkammer in der Gesamtschau dieser Indizien zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin gelangt ist, läßt dies insoweit einen Rechtsfehler nicht erkennen, als es um die Frage geht, ob es in den zur Entscheidung stehenden Fällen überhaupt zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten gekommen ist.
b) Das Landgericht hält indessen über die Grundstruktur alle angeklagten Fälle – Betasten des nackten Körpers des Opfers und Onanieren – hinausgehend auch für erwiesen, daß in den Fällen II. 2. und 7. M. M. zusätzlich den Angeklagten mit der Hand befriedigen mußte und daß in den Fällen II. 5. und 8. der Angeklagte sich zusätzlich auf M. M. legte und seinen Penis an deren Scheide rieb. Hierbei stützt es sich allein auf die Aussage der Geschädigten. Diese weitergehenden Tatmodalitäten erfahren in keiner anderen Zeugenaussage eine Bestätigung. Die Zeuginnen S. und S. H. sprechen hinsichtlich der vergleichbaren anderen sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber Kindern ausdrücklich nur von einem Onanieren im Beisein des jeweiligen Tatopfers. Auch der Zeuge A. M. bestätigt nur, die Geschädigte habe ihm bereits früher erzählt, der Angeklagte habe sie „im Brustbereich betatscht und ihr zwischen die Beine gelangt”. Objektive Indizien für weitergehende sexuelle Handlungen fehlen.
Das Urteil genügt daher insoweit nicht den für derartige Fallgestaltungen geltenden Grundsätzen der Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem widersprüchlich, wenn dieses keinen Zweifel an den weitergehenden, sich nur aus der Aussage der Geschädigten ergebenden Tatmodalitäten hat, obwohl es selbst davon ausgeht, daß die Geschädigte im Hinblick auf die histrionische Persönlichkeitsstörung bei der Schilderung der sexuellen Übergriffe zu Übertreibungen – insbesondere hinsichtlich der Intensität der Übergriffe – neigt (UA S. 22).
Der aufgezeigte Fehler betrifft nicht den Schuldspruch insgesamt, sondern nur den Schuldumfang. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin hinsichtlich des Grundgeschehens aller acht sexuellen Übergriffe wird dadurch, daß ihr hinsichtlich zum Teil weitergehender Tathandlungen nicht geglaubt werden kann, nicht in Frage gestellt.
c) Daß in einer neuen Hauptverhandlung zu den Fällen II. 2., 5., 7. und 8. weitergehende Feststellungen getroffen werden können, kann ausgeschlossen werden. Der Senat sieht deshalb – was zudem auch dem Gedanken des Opferschutzes entgegenkommt (BGH NStZ 1995, 178; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Sachentscheidung 5) – von einer Aufhebung des Schuldspruchs auch nur in diesem Umfang und einer entsprechenden Zurückverweisung zur neuen Verhandlung zum Schuldspruch ab (vgl. Senatsbeschluß vom 25. März 1997 – 1 StR 93/97) und schränkt den Schuldumfang dahin ein, daß dem Angeklagten nicht angelastet wird, daß in den Fällen II. 2. und 7. die Geschädigte ihn mit der Hand befriedigen mußte und daß in den Fällen II. 5. und 8. der Antragsteller sich auf die Geschädigte legte und seinen Penis an deren Scheide rieb.
Da das Landgericht diese weitergehenden Tatmodalitäten bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten gewertet hat, ist davon auszugehen, daß es bei einem geringeren Schuldumfang mildere Strafen verhängt hätte. Diese sind, wie auch die Gesamtstrafe, neu zu bemessen.
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Der neue Tatrichter wird die Einzelstrafen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen haben, ohne gegebenenfalls an ergänzenden Feststellungen gehindert zu sein.
Unterschriften
Schäfer, Nack, Schluckebier, Kolz, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 556599 |
NStZ 2001, 161 |