Leitsatz (amtlich)
›1. Ein Rechtsanwalt, der im alten Bundesgebiet seine Kanzlei und in den neuen Bundesländern nur ein Zweitbüro unterhält, handelt schuldhaft, wenn er bei Einlegung und Begründung einer Berufung im März/April 1991 nicht berücksichtigt, daß er zur Vertretung vor dem Bezirksgericht nicht berechtigt ist (Einigungsvertrag Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 5 b), auch wenn er die Genehmigung des Ministerrats zur Eröffnung des Zweitbüros mit Erlaubnis zu anwaltschaftlicher Tätigkeit in der DDR besitzt und bei einem anderen Bezirksgericht ›registriert‹ ist.
2. Stützt der Kläger vor den Zivilgerichten seinen Anspruch gegen die verklagte Stadt auf sog. Teilungsunrecht (vgl. Senatsurt. v. 3. April 1992, AZ: V ZR 83/91 , WM 1992, 1000 f) und ist das Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz noch nicht abgeschlossen, kommt eine Entscheidung des Zivilgerichts nach § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG nicht in Betracht.‹
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der beklagten Stadt die Berichtigung des Grundbuchs und Herausgabe eines Grundstücks. Das Kreisgericht Leipzig Stadt hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 1991, zugestellt am 4. März 1991, als unzulässig abgewiesen, weil die geltend gemachten Ansprüche in den Bereich des Vermögensgesetzes fielen und dafür ein spezielles Verwaltungsverfahren vorgesehen sei. Die vom damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers fristgerecht eingelegte Berufung hat das Bezirksgericht Leipzig als unzulässig verworfen, weil der Prozeßbevollmächtigte in den neuen Bundesländern keine Kanzlei unterhalte. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat der Senat mit Beschluß vom 20. März 1992 zurückgewiesen (V ZB 7/92, WM 1992, 1047 ff; vgl. hierzu Anmerkung von Kleine/Kosack, EwiR 92, 511, 512). Mit Schriftsätzen vom 29. Januar 1992, beim Bezirksgericht Leipzig am 30. Januar 1992 eingegangen, hat der Kläger durch Rechtsanwältin Sch. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, neuerlich Berufung einlegen und diese zugleich begründen lassen. Das Bezirksgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluß vom 25. August 1992, zugestellt am 4. September 1992, zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom Kläger selbst mit Schriftsatz vom 15. September 1992 (eingegangen beim Bezirksgericht am 16. September 1992) eingelegte sofortige Beschwerde.
II. 1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (vgl. auch Einigungsvertrag Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 5 d). Sie ist nach § 238 Abs. 2 Satz 1 i.V. mit § 519 b Abs. 2 und § 567 Abs. 4 Satz 2 ZPO statthaft und auch frist- (§ 577 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO) und formgerecht (§ 569 Abs. 2 ZPO) eingelegt. Der Kläger konnte die Beschwerde selbst schriftlich einlegen; ein Anwaltszwang bestand hierfür nicht, weil der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozeß zu führen war (vgl. Thomas/Putzo, 17. Aufl., Einleitung VII, Rdn. 22; Einigungsvertrag Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 5 b). Dann aber gilt § 569 Abs. 2 Satz 2 i.V. mit § 78 Abs. 3 ZPO auch für die Berufungsinstanz, d.h. für die insoweit eingelegten Beschwerden nach § 519 b Abs. 2 ZPO (vgl. auch BGH, Beschlüsse v. 13. April 1984, IVb ZB 114/83, NJW 1984, 2413 und v. 13. Juli 1988, IVb ZB 100/88, FamRZ 88, 1159). Der Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 15. Mai 1991, XII ZB 43/91 (WM 1991, 1483) ist hier nicht einschlägig, weil er eine beim Bundesgerichtshof unmittelbar eingelegte Beschwerde betrifft.
2. Die Beschwerde ist aber sachlich nicht begründet. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß dem Kläger ein Verschulden seines früheren Prozeßbevollmächtigten zugerechnet werden muß (§ 233, § 85 Abs. 2 ZPO).
Nach dem Einigungsvertrag (Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 5 b) ist zur Vertretung vor den Bezirksgerichten nur ein Anwalt berechtigt, der in einem der neuen Länder seine Kanzlei unterhält. Diese am 28. September 1990 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Regelung mußte dem früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers bei der Berufungseinlegung und ihrer Begründung im März und April 1991 bekannt sein, weil er auch in den neuen Ländern als Anwalt tätig sein durfte und deshalb besonderen Anlaß hatte, sich mit den prozessualen Besonderheiten des Einigungsvertragsgesetzes vertraut zu machen und sie zu beachten. Er hätte dann auch erkennen müssen, daß er in B. H. seine Kanzlei unterhielt (sowohl die Berufungseinlegung als auch die Begründung weisen im Briefkopf als Kanzleisitz B. H. aus) und in B. D. nur ein Zweitbüro. Sowohl nach der Bundesrechtsanwaltsordnung als auch nach dem Rechtsanwaltsgesetz durfte er (von Ausnahmen abgesehen) nur eine Kanzlei einrichten (vgl. auch Senatsbeschl. v. 20. März 1992, V ZB 7/92, in dieser Sache). Da sowohl die §§ 27 ff BRAO als auch die ihr nachgebildeten Vorschriften der §§ 24 ff RAG von einem bestimmten Kanzleibegriff ausgehen, war anzunehmen, daß dieser Begriff auch für den Einigungsvertrag gilt und weder die dem Prozeßbevollmächtigten erteilte Genehmigung des Ministerrats zur Eröffnung eines Zweitbüros mit Erlaubnis zu anwaltschaftlicher Tätigkeit in der DDR noch seine Registrierung beim Bezirksgericht Rostock die ›Unterhaltung einer Kanzlei‹ ersetzen können. Wenn der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers dies anders beurteilte, so war dies jedenfalls fahrlässig, weil er in Anbetracht der mindestens zweifelhaften Rechtslage nicht im Interesse seiner Partei den sichersten Weg beschritt (vgl. z.B. auch BGH, Beschl. v. 9. Januar 1989, II ZB 11/88, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 3) und Berufung durch einen Rechtsanwalt einlegen ließ, der seine Kanzlei in den neuen Ländern unterhielt. Von diesem Ansatzpunkt aus trägt der Beschwerdeführer auch keine Gründe vor, die ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten ausräumen könnten. Ist aber auch nur die Möglichkeit der verschuldeten Fristversäumung gegeben, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 26. September 1991, I ZB 12/91, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 - Glaubhaftmachung 3).
Soweit der Beschwerdeführer in ›erster Linie‹ geltend macht, die Entscheidung des Kreisgerichts durch Urteil sei insofern inkorrekt gewesen, als es nach der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung von § 17 a Abs. 2 GVG nur durch Beschluß über die Verweisung des Rechtsstreits hätte entscheiden dürfen und deshalb nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung seine ›Berufung‹ als sofortige Beschwerde hätte behandelt werden müssen (für die ein Anwaltszwang nicht bestehe), ist dies schon im Ansatz verfehlt. Das Bezirksgericht hat die Berufung des Klägers verworfen, und diese Entscheidung ist mit dem Beschluß des Senats vom 20. März 1992 rechtskräftig geworden. Damit ist über das damalige Rechtsmittel des Klägers entschieden, unabhängig davon, ob es auch als Beschwerde hätte gewertet werden können. Der Kläger kann nicht mehr geltend machen, die damalige Entscheidung sei unrichtig gewesen.
Davon abgesehen kann sich der Kläger hier nicht auf den Grundsatz der sogenannten Meistbegünstigung berufen. Dieser Grundsatz kommt dann zur Anwendung, wenn ein Gericht eine Entscheidung in der falschen Form (z.B. Urteil statt Beschluß) getroffen hat. In diesem Fall steht dem Betroffenen nicht nur das Rechtsmittel zu, welches nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, sondern auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung gegeben gewesen wäre, denn einer Partei dürfen durch die fehlerhafte Entscheidungsform keine Nachteile entstehen (vgl. z.B. BGHZ 98, 362, 364, 365). Darum geht es hier aber nicht. Das Kreisgericht hat die Klage durch Urteil abgewiesen. Wäre § 17 a Abs. 2 GVG anwendbar (was hier zunächst unterstellt werden soll), dann wäre das klageabweisende Urteil nicht eine der Form nach inkorrekte Entscheidung, sondern es wäre sachlich falsch, weil lediglich die Unzulässigkeit des Rechtswegs ausgesprochen und der Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht hätte verwiesen werden dürfen. In einem solchen Fall ist kein Raum für einen prozessualen Schutz des Betroffenen im Wege der Meistbegünstigung. Der Betroffene ist vielmehr darauf verwiesen, ein sachlich falsches Urteil, wie auch in sonstigen Fällen einer inhaltlich unrichtigen Entscheidung, mit dem dafür vorgesehenen Rechtsmittel, hier der Berufung, anzugreifen.
Im übrigen verstieß die Entscheidung des Kreisgerichts auch nicht gegen § 17 a Abs. 2 GVG. Auf der Grundlage seiner zutreffenden Rechtsauffassung (die der Senat auch mit Urteil vom 3. April 1992, V ZR 83/91, WM 1992, 1000 ff bestätigt hat) kam eine Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht nicht in Betracht, weil nach dem eigenen Vortrag des Klägers noch nicht einmal das nach dem Vermögensgesetz notwendige Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist. Wie das Kreisgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt hier für den Kläger, der seine Ansprüche ausschließlich auf sogenanntes Teilungsunrecht (Entziehung seines Eigentums nach der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 und darauf beruhenden Richtlinien und Anordnungen) stützt, nur ein öffentlich-rechtlicher Rückübertragungsanspruch und das dafür vorgesehene Verwaltungsverfahren in Betracht (vgl. Senatsurt. aaO., S. 1004). Solange nicht einmal dieses Verfahren abgeschlossen ist, macht eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle keinerlei Sinn. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Zivilgerichte in solchen Fällen der durch das Vermögensgesetz sachlich-rechtlich und verfahrensrechtlich exklusiv ausgestatteten Rechtsschutzmöglichkeit dadurch Rechnung tragen, daß sie von einer Verweisung absehen. Dazu kommt hier, daß für eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle die verklagte Stadt nicht als Beklagte in Betracht kommt (§ 35 VermG).
Der Beschwerdeführer macht auch geltend, sein damaliger Prozeßbevollmächtigter habe mit Wirkung vom 1. Januar 1991 seine Kanzlei in B. D., und zwar in Sozietät mit Rechtsanwältin Sch., begründet. Soweit mit dieser Behauptung nicht nur in unzulässiger Weise eine sachliche Unrichtigkeit des Verwerfungsbeschlusses dargetan, sondern das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten in Frage gestellt werden soll, ist dies ein neuer Tatsachenvortrag, der wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) nicht mehr zulässig und darüber hinaus auch nicht glaubhaft gemacht ist (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Zwar kann im Wiedereinsetzungsverfahren nachträglich unklarer Vortrag erläutert oder ein unvollständiger Antrag ergänzt werden. In diesem Bereich hält sich der Vortrag des Klägers aber nicht, vielmehr schiebt er in unzulässiger Weise einen neuen, bisher nicht einmal angedeuteten Vortrag nach (vgl. BGH, Beschlüsse v. 25. März 1987, IVb ZB 39/87 und v. 27. September 1989, IVb ZB 73/89, BGHR ZPO § 234 Abs. 1 - Begründung 1 und Begründung 2).
Soweit der Beschwerdeführer hilfsweise bittet, sein Rechtsmittel als Gegenvorstellung auch gegen den Senatsbeschluß vom 20. März 1992 zu behandeln, kann dies keinen Erfolg haben. Dieser Beschluß ist sachlich richtig. Davon abgesehen ist der Senat in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO auch an seinen Beschluß gebunden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2993683 |
DB 1993, 376 |
NJW 1993, 332 |
BGHR GVG § 17a Abs. 2 Vermögensgesetz 1 |
BGHR ZPO § 233 Postulationsfähigkeit 1 |
BGHR ZPO § 85 Abs. 2 Postulationsfähigkeit 2 |
BGHR ZPO vor § 1 Meistbegünstigungsgrundsatz 3 |
DRsp I(125)395c |
DRsp V(525)4Nr.8 |
WM 1993, 77 |
ZIP 1993, 68 |
AnwBl 1994, 298 |
MDR 1993, 177 |
NJ 1993, 133 |
RAnB 1993, 24 (Ls) |
VersR 1993, 498 |
ZOV 1993, 57 |