Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 07.06.2004) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 7. Juni 2004 wird, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet, mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, daß der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 672 Fällen schuldig ist.
2. Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten, soweit sie sich gegen die in dem genannten Urteil angeordnete Maßregel richtet, sowie über die Kosten des Rechtsmittels, wird einer abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
1. Die auf die nicht ausgeführte und daher unzulässige Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision ist im Ergebnis unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet.
a) Daß das Landgericht der Einlassung des Angeklagten, er habe die Gesamtmenge des von ihm überwiegend in Kleinstmengen verkauften Rauschgifts in vier Teilmengen bezogen, nicht gefolgt ist, sondern angenommen hat, er habe sich die verkauften Mengen in jedem Einzelfall – teilweise mehrmals täglich – „nach Bedarf besorgt” (UA S. 7), ist hier als Ergebnis der Beweiswürdigung noch hinzunehmen. Allerdings lag diese Annahme ersichtlich nicht nahe; sie wird auch nicht von der Erwägung getragen, 1.000 Euro für den Erwerb einer Vorratsmenge seien „ein fast unerreichbarer Betrag für Menschen ohne feststellbares Einkommen” (UA S. 7). Das ist mit den Feststellungen, der Angeklagte habe 500 bis 600 Euro im Monat als Pizzabäcker verdient, vor und nach dieser Tätigkeit von den Einnahmen aus seinen Drogengeschäften gelebt (UA S. 4) und insgesamt 12.577,50 Euro umgesetzt (UA S. 8), nicht vereinbar; es läßt überdies die Möglichkeit eines Erwerbs auf Kommissionsbasis außer Betracht. Die Würdigung des Landgerichts kann jedoch hier letztlich noch hingenommen werden, da der Angeklagte selbst offenbar keine näheren Angaben zu den Umständen seiner Einkäufe gemacht hat und eine ausreichende Konkretisierung daher zweifelhaft blieb.
b) Der Schuldspruch war aber insoweit klarzustellen, als das Landgericht den Angeklagten wegen Handel mit Betäubungsmitteln in (nur) 668 Fällen verurteilt hat. Dem liegt, wie sich aus den Feststellungen des Urteils ergibt (UA S. 4 bis 6), ein offensichtlicher Zählfehler des Tatrichters zugrunde; festgestellt sind nämlich insgesamt 675 Fälle. Darüber hinaus hat der Tatrichter versäumt, die festgestellten drei Fälle der Qualifikation gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im Urteilstenor zu bezeichnen. Der Tenor war entsprechend klarzustellen.
c) Die Jugendstrafe von drei Jahren und zwei Monaten begegnet aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
2. Die Entscheidung über die Revision gegen die Anordnung der Maßregel gemäß § 69 a StGB war zurückzustellen und einer späteren abschließenden Entscheidung vorzubehalten. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat ausgeführt:
„Über Teile einer Revision kann ausnahmsweise vorab entschieden werden, wenn dies im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz geboten ist (BGH, Urt. vom 6. Juli 2004 – 4 StR 85/03, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Senat, Beschlüsse vom 20. August 2004 – 2 StR 434/03 und 2 StR 211/04). Dies gilt gleichermaßen für das Urteilsverfahren wie für das Beschlussverfahren gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO.
Die Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden die Anordnung einer Maßregel gemäß §§ 69, 69a StGB zulässig ist, wenn die Feststellung charakterlicher Mängel auf die Begehung von Straftaten der allgemeinen Kriminalität unter mißbräuchlicher Verwendung eines Kraftfahrzeugs gestützt wird, ohne dass ein Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB vorliegt und ohne dass ein die Sicherheit des Straßenverkehrs konkret gefährdendes Verhalten des Angeklagten festgestellt wurde, ist zwischen den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs streitig.
Der erkennende Senat hat sich im Urteil vom 26. September 2003 (2 StR 161/03 = NStZ 2004, 144 ff.) dem vom 4. Strafsenat in mehreren Entscheidungen angesprochenen und im Anfragebeschluss vom 16. September 2003 (4 StR 85/03, 4 StR 155/03, 4 StR 175/03 = NStZ 2004, 86) näher ausgeführten Vorschlag einer einschränkenden Auslegung angeschlossen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21. Januar 2004 – 2 ARs 347/03), ebenso der 3. Strafsenat (Beschluss vom 13. Januar 2004 – 3 ARs 30/03) und der 5. Strafsenat (Beschluss vom 28. Oktober 2003 – 5 ARs 67/03 = NStZ 2004, 148); der 1. Strafsenat ist dem entgegengetreten (Beschluss vom 14. Mai 2003 – 1 StR 113/03 = NStZ 2003, 658; Beschluss vom 13. Mai 2004 – 1 ARs 31/03; vgl. dazu auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl., § 69 Rdn. 42 ff. m.w.N).
Der 4. Strafsenat hat mit Beschluss vom 26. August 2004 – 4 StR 85/03 – die vorgenannte Rechtsfrage gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt.
Auf die streitige Rechtsfrage kommt es im vorliegenden Fall auch an. Verkehrsspezifische Straftaten oder konkrete Gefährdungen der Sicherheit des Straßenverkehrs sind nicht festgestellt; jedoch verwendete der Angeklagte sein Kraftfahrzeug zum Verkauf des Rauschgifts und gebrauchte dieses als „fahrenden Kaufladen” (UA S. 13). Auch benutzte er seinen Roller und den Pkw des Zeugen N. zur Aufbewahrung von zum Verkauf bestimmten Betäubungsmitteln (UA S. 13). Er missbrauchte daher Kraftfahrzeuge zur Begehung sehr zahlreicher und teilweise auch schwerwiegender Straftaten, so dass auf der Grundlage der bisherigen Rechtssprechung die verhängte Maßregel als rechtsfehlerfrei anzusehen wäre (BGH StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3; BGH NStZ 1992, 586; Senat NStZ 2000, 26f.; BGH NStZ 2003, 658 ff.). Würden hingegen konkrete, sich aus dem Tatgeschehen ergebende Anhaltspunkte für die Bereitschaft zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit vorausgesetzt (Senat NStZ 2004, 144ff.), so begegnete die Maßregelanordnung hier rechtlichen Bedenken.
Die vom 4. Strafsenat (Urteil vom 6. Juli 2004 – 4 StR 85/03) und dem erkennenden Senat (Beschlüsse vom 20. August 2004 – 2 StR 434/03 und 211/04) genannten Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung über die entscheidungsreifen Teile der Revision sind gegeben. Mit einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen ist voraussichtlich nicht vor Mitte des Jahres 2005 zu rechnen (Senat, Beschluss vom 20. August 2004 – 2 StR 434/03). Zudem befindet sich der Angeklagte seit Anfang September 2003 in Haft, so dass
der Beschleunigungsgrundsatz es gebietet, das Revisionsverfahren durch eine Teilentscheidung über den Schuld- und Strafausspruch zu fördern.”
Dem tritt der Senat bei.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558126 |
DAR 2005, 288 |